„Alles tun, um die Erderwärmung zu bremsen – und die Menschen nicht auf der Strecke lassen“!

Foto: Johannes Gress

Geht Klimaschutz immer automatisch zu Lasten der Beschäftigten? Dieser weitverbreiteten These widerspricht Sylvia Leodolter vehement. Für Gewerkschaften müsse auch weiterhin „das gute Leben für Alle“ im Zentrum stehen – „das widerspricht sich nicht mit Klimaschutz!“, betont die Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.

KOMPETNZ: Laut einem unlängst veröffentlichten Greenpeace-Report verursachen die reichsten zehn Prozent in Österreich doppelt so viele Treibhausgase wie DurchschnittsverdienerInnen. Sie fordern seit jeher, dass Klimapolitik immer auch sozial gerecht sein muss. Wie kann so etwas aussehen?

Sylvia Leodolter: Es stimmt, die Reicheren haben einen sehr viel größeren CO2-Fußabdruck als die Ärmeren – aber so einfach ist es nicht. Es kommt auf die konkreten Lebensumstände an. Sozial gerechte Gestaltung heißt immer, zu schauen, was jede einzelne Maßnahme verteilungspolitisch bedeutet, wen sie trifft und welche Maßnahmen man zur Abfederung treffen kann? Und dann muss man sich anschauen, was so eine Maßnahme für die Sicherheit des Arbeitsplatzes und des Einkommens bedeutet: welche fallen weg, wo entstehen vielleicht neue? Und das ist alles andere als trivial: Wenn Jobs in der Automobilindustrie wegfallen, können diese Personen nicht von heute auf morgen im Pflegebereich anfangen. Sozial gerechte Klimapolitik braucht also immer gleich ein ganzes Maßnahmenbündel.

„Die Vision lautet: Niemand soll ein Auto haben müssen!“

Sylvia Leodolter

KOMPETENZ: Machen wir es konkret: Wie lässt sich der Verkehrsbereich ökologischer gestalten, ohne dass das zu Lasten der GeringerverdienerInnen geht?

Sylvia Leodolter: Das Allerwichtigste ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, es braucht ein umfassendes Angebot. Es soll möglich sein, dass jede und jeder einen maximal kurzen Zugang zu einem leistbaren und attraktiven öffentlichen Verkehrsmittel hat. Das ist natürlich in einer großen Stadt einfach, am flachen Land wird’s schwierig. 33 Prozent der ÖsterreicherInnen haben keinen ausreichenden Zugang zum öffentlichen Verkehr, 15 Prozent haben nicht einmal an Schultagen eine ÖV-Mindestversorgung. Hier braucht es neue Ideen und Angebote!

Gerade in Corona-Zeiten ist zu betonen, dass der öffentliche Verkehrssektor einer ist, der wachsen muss und der auch mehr Beschäftigte verträgt. Das ist ein Sektor, wo wir Leute brauchen und der Perspektiven für neue Jobs bietet: zum Beispiel von Opel oder MAN zur ÖBB oder den Wiener Linien!

KOMPETENZ: Wie steht es um die umstrittene PendlerInnenpauschale?

Sylvia Leodolter: Es gibt Menschen, die sich aufgrund der fragwürdigen Raumordnungspolitik hierzulande aus Kostengründen nur am Rand oder weit weg von den Arbeitsplätzen eine Wohnung leisten können. Das heißt, es braucht auch eine Unterstützung für PendlerInnen. Die PendlerInnenpauschale ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, sondern sollte jene unterstützen, die sie brauchen, aber eben mit einem klaren Anreiz in Richtung Nutzung des Öffentlichen Verkehrs und ohne die hohen Einkommen so wie jetzt zu bevorzugen. Das bedeutet, dass der Staat einfach sehr viel mehr in den öffentlichen Verkehr investieren muss. Die Vision lautet: Niemand soll ein Auto haben müssen! Aber davon sind wir noch weit entfernt.

KOMPETENZ: In der öffentlichen Debatte gelten Klimaschutz und Arbeitsplätze oftmals als Widerspruch. Befinden Sie sich hier als Gewerkschafterin tatsächlich öfters in einer Zwickmühle?

Sylvia Leodolter: Ich glaube, der ÖGB ist genauso wie die meisten Menschen der Meinung, dass es um ein gutes Leben für alle geht. Das ist nicht nur Wachstum um jeden Preis und den Erhalt eines jeden einzelnen Industriearbeitsplatzes. Wichtig ist, dass es Alternativen für die Menschen gibt: Jobs, die gut bezahlt sind und gute Arbeitsbedingungen bieten. Unabhängig von jeglicher klimapolitischen Maßnahme ist es faktisch so, dass wir uns ständig in einem Strukturwandel befinden – es ist nichts Neues, dass manche Industriezweige in Schwierigkeiten kommen, denn viele Dinge haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Deshalb brauchen Gewerkschaften auf betrieblicher, regionaler und landesweiter Ebene Möglichkeiten, aktiv mitzugestalten und rechtzeitig Lösungen einzufordern.

Das heißt ganz klar, ich sehe den Widerspruch von Klimapolitik und Arbeitsplätze in dieser Form nicht. Denn in einer Welt, in der alle gut leben können sollen, ist es notwendig, dass wir auch gute und ausreichend viele Arbeitsplätze haben. Auch Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung von Reich nach Arm spielen eine wesentliche Rolle. Es geht um eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik, bei denen das gute Leben für alle im Zentrum stehen muss – das spießt sich nicht mit Klimaschutz, ganz im Gegenteil.

„Mit dem zunehmenden Bewusstsein dafür, dass es den Klimawandel gibt – und dass er massiv ist – ist das Thema innerhalb von Gewerkschaften in den letzten Jahren noch einmal präsenter geworden.“

Sylvia Leodolter

KOMPETENZ: Sie sind schon einige Jahrzehnte bei der Gewerkschaft. Bedeutete „das gute Leben für alle“ früher etwas anderes als heute?

Sylvia Leodolter: Ich habe bereits vor rund 30 beim ÖGB im Bereich Umwelt gearbeitet. Damals war das Thema präsent, aber nicht in den großen Zusammenhängen wie heute. ArbeitnehmerInnen sind natürlich auch heute noch in unmittelbarer Abhängigkeit von dem, was mit ihrer Firma passiert. Aber ich denke trotzdem, dass mittlerweile allen bewusst geworden ist, dass man die Frage der Endlichkeit natürlicher Ressourcen nicht einfach so ausblenden kann. Ich denke, hier hat ein Umdenken stattgefunden. Mit dem zunehmenden Bewusstsein dafür, dass es den Klimawandel gibt – und dass er massiv ist – ist das Thema innerhalb von Gewerkschaften in den letzten Jahren noch einmal präsenter geworden. Für uns heißt das: Wir müssen alles tun, um die Erderwärmung zu bremsen – aber dabei die Menschen nicht auf der Strecke lassen!

Foto: Johannes Gress

KOMPETENZ: Welche Rolle muss eine Gewerkschaft in einer sozial-ökologischen Transformation denn spielen?

Sylvia Leodolter: Eine ganz zentrale, aktive. Es kommt vielleicht nicht unter diesem Titel daher, aber die Gewerkschaften tun es, sie tun es laufend, seit vielen Jahren. Sie sind es, die vor Ort konkret nach Lösungen suchen. In den großen Fragen dieser Transformation – beispielsweise die zukünftige Rolle der Automobilindustrie – ist es notwendig, Maßnahmen von der Regierung einzufordern. Im Moment beispielsweise hast du, bevor du arbeitslos bist, kaum eine Möglichkeit dich beruflich umzuorientieren oder weiterzubilden. Die Arbeitsmarktpolitik greift nur während der Arbeitslosigkeit. Hier kann die Gewerkschaft einiges tun. Ich denke, wir sind hier auf einem ganz guten Weg, müssen uns aber weiterhin wirklich aktiv einbringen. Denn das Problem ist, dass die ArbeitgeberInnen- und Regierungsseite, das Thema als weniger zentral erachtet. Deswegen sind wir es, die laut darauf hinweisen müssen.

Zur Person:
Sylvia Leodolter, 58, ist Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien und Chefredakteurin des Magazins „Wirtschaft&Umwelt“.

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