Petra Draxl, Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, über die Herausforderungen in Folge der Corona-Krise. Besonders Jugendliche und Frauen will sie in Ausbildung bringen, um sie für den Arbeitsmarkt fit zu machen.
KOMPETENZ: Wie sehen die aktuellen Zahlen in Wien aus, gibt es Anlass zu vorsichtigem Optimismus?
Petra Draxl: Die Arbeitslosigkeit in Folge von Corona ist in Wien weniger stark angestiegen als in den Bundesländern, nämlich um 40 Prozent, in einigen Bundesländern waren es mehr. Wir beobachten seit dem Höhepunkt im April, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, sowohl in Wien, wie auch in allen Bundesländern. Zugleich steigen die Schulungen, d.h. hier kann ich momentan eine positive Tendenz sehen.
KOMPETENZ: Wie geht es weiter mit der Kurzarbeit?
Petra Draxl: Bei der Kurzarbeit ist es leider nicht einfach, gesicherte Prognosen zu erstellen. Derzeit nehmen in Wien weniger als 10.000 Betriebe Kurzarbeit in Anspruch. Wir können aber nicht vorhersagen, wie viele es im Herbst sein werden. Unsere Sorge ist: Hier könnte es tatsächlich noch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Wenn beispielsweise Hotels plötzlich doch ihr Haus für sechs Monate schließen, weil es sich einfach nicht lohnt, offen zu halten, und erst nach Corona wieder öffnen – anstatt weiterhin Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen.
KOMPETENZ: Befürchten Sie, dass die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten wieder ansteigen wird?
Petra Draxl: Es gibt sehr viele offene Fragen. Die klassische Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft im Winter zum Beispiel hängt vom Wetter ab. Daher ist es schwierig, eine Prognose abzugeben. Noch dazu ist ein warmer Winter zwar gut für die Bauwirtschaft, aber schlecht für den Tourismus im Westen.
„Corona hat in vielen Unternehmen die Arbeitsorganisation verändert, und das kann nun auch zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.“
Petra Draxl
Dazu kommt, dass Corona möglicherweise als Vorwand oder Mitnahmeeffekt gebraucht wird, wenn Firmen Personal abbauen wollen. Betriebe, die ihre Arbeitseffizienz steigern, modernisieren, Homeoffice einführen. Corona hat in vielen Unternehmen die Arbeitsorganisation verändert, und das kann nun auch zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.
KOMPETENZ: Bereitet Ihnen der kommende Winter Sorgen?
Petra Draxl: Ja, wir sehen noch mit einem sorgenvollen Auge in den Herbst und Winter, natürlich auch, was die Infektionszahlen betrifft. Wenn der Wintertourismus im Westen hoffentlich wieder gute Nächtigungszahlen schreibt, dann wirkt sich das auch positiv auf den Wiener Arbeitsmarkt aus, weil viele in den Westen zur Saisonarbeit gehen. Doch auch hier wissen wir derzeit noch nicht, ob die Arbeitslosigkeit wieder ansteigen wird und wenn ja, um wieviel.
Die Arbeitslosigkeit wird in Krisenzeiten leider auch verfestigt. Aber andererseits – und hier setzen wir an, hier sind wir zurzeit sehr aktiv – können die Menschen solche Phasen auch gut nutzen, um sich weiterzubilden und um Schulungen zu besuchen.
KOMPETENZ: Was sind die Strategien des Wiener AMS gegen die Krise?
Petra Draxl: Wir werden mit Corona noch eine Weile leben müssen. Für mich heißt das: Auch wenn es schwierige Zeiten sind, nutzen wir sie, machen wir das Beste daraus! Investieren wir in Weiterbildungen und Qualifizierungen. Sobald es eine Impfung gibt, wird auch die Wirtschaft wieder anziehen, die Menschen werden wieder reisen und der Tourismus wird wieder aufleben. Doch bis dahin sollten wir in Qualifizierungen investieren.
Wir stocken momentan unser ganzes Repertoire auf, um den Menschen konkret die Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden. Und damit meine ich: alles, vom Deutschkurs bis zur Fachhochschule. Wir wollen, dass die Menschen zuallererst Deutsch lernen, dann nach Möglichkeit einen Pflichtschulabschluss machen, eine Lehre abschließen.
Wir schreiben aber auch z.B. MaturantInnen an, um sie auf Fachhochschulen zu bringen. Wir fördern zahlreiche Projekte mit Perspektive, im ökologischen Kontext, bei den erneuerbaren Energien, oder aber im Bereich der Pflege. Nehmen Sie beispielsweise ein sozialökonomisches Projekt wie die Wiener ‚Radstation’. Radfahren boomt, es gibt einen großen Bedarf, solche Projekte haben Zukunft!
KOMPETENZ: Besonders viele jungen Menschen unter 25 sind durch Corona arbeitslos geworden. Welche Angebote gibt es für sie?
Petra Draxl: Ein wichtiges Projekt für die Jugendlichen ist der Qualifikationspass, den wir gemeinsam mit der Stadt Wien auf die Beine gestellt haben. Er richtet sich zwar grundsätzlich an Menschen jedes Alters, wir nutzen ihn jetzt aber speziell für junge Leute bis 25, um sie zu motivieren, eine Ausbildung zu machen, konkret: einen Lehrabschluss. Wir beraten gemeinsam mit dem waff und einer externen Organisation. Hier kommen wir sehr gut voran, wir haben schon über 3.000 Jugendliche kontaktiert, knapp 2.000 haben ein waff-Training besucht und es wurden 1.000 Qualifikationspässe ausgestellt. Unser Ziel ist es, 5.000 junge Menschen zu kontaktieren und 3.000 Pässe auszustellen.
Weiters wird heuer im Winter das ‚U25’ eröffnet. Wir haben mit der Stadt gemeinsam drei Jahre lang an diesem Konzept gearbeitet, Vorbild dafür waren die deutschen Jugendbeschäftigungsagenturen. Insgesamt werden wir damit dann zwei Geschäftsstellen für Jugendliche unter einem Dach haben und dazu noch das Zentrum des Magistrats. Das neue U25 in Meidling hätte schon im April eröffnet werden sollen, leider hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Geben wird es dort ein fokussiertes Angebot für Jugendliche unter 25, es ist als zentrale Anlaufstelle konzipiert, als One-Stop-Shop. Das AMS, die MA40, der Fonds Soziales Wien und SozialarbeiterInnen – gemeinsam wollen wir dort die unter 25-Jährigen in Ausbildung bringen, ihnen helfen, Qualifikationen zu erwerben und eine Lehre abzuschließen.
KOMPETENZ: Eine andere stark von Corona betroffene Gruppe sind die Frauen. Sie mussten im Frühjahr zu Hause die Kinder betreuen und das Homeschooling übernehmen. Viele haben dadurch ihren Job verloren.
„Unser Ziel ist es, die Frauen rauszuholen aus Heim und Herd! Homeoffice, Homeschooling, das alles ist eine Renaissance des ‚Daheim‘.“
Petra Draxl
Petra Draxl: Homeschooling und fehlende Kinderbetreuungsangebote schaden der Erwerbstätigkeit von Frauen. Was daher enorm wichtig ist: Die Schulen müssen geöffnet bleiben! Ich bin sehr froh über die Schnelltests. Alles, was garantiert, dass die Schulen und die Kinderbetreuung geöffnet bleiben können, ist für unsere Arbeit essentiell.
Unser Ziel ist es, die Frauen rauszuholen aus Heim und Herd! Homeoffice, Homeschooling, das alles ist eine Renaissance des „Daheim“. Meine Devise ist: Raus aus dem Wohnzimmer! Frauen müssen an den Arbeitsplatz oder in die Weiterbildung.
KOMPETENZ: Für welche anderen Gruppen gibt es verstärkt Angebote?
Petra Draxl: Zwei Drittel der Arbeitslosen in Wien haben Migrationshintergrund. Wir waren vor Corona auf einem sehr guten Weg, die Menschen zu integrieren, durch Corona ist leider vieles weggebrochen. Menschen, die Hilfstätigkeiten im Tourismus erledigt haben, in der Küche oder als Reinigungskräfte, SyrerInnen, AfghanInnen, TürkInnen, sie wurden dann nicht in Kurzarbeit gebracht, von ihnen hat man sich getrennt. Daher der Anstieg der Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe.
Zwei Drittel dieser Arbeitslosen mit Migrationshintergrund haben keine oder eine sehr niedrige formale Bildung. Das Ziel ist, dass sie zuerst Deutsch lernen, dann den Pflichtschulabschluss machen, dann eine berufliche Qualifikation anstreben. Personen ohne Migrationshintergrund sind weniger stark von der Arbeitslosigkeit betroffen, weil das eben ganz stark mit der Bildung zusammenhängt. Daher braucht es als erstes eine Basisbildung!
Um z.B. eine Frau mit Migrationshintergrund als Pflegefachassistentin zu qualifizieren, muss sie zunächst die Sprache beherrschen und benötigt außerdem einen Pflichtschulabschluss. Sonst wird sie wieder nur Reinigung und Hilfstätigkeiten übernehmen können.
KOMPETENZ: Sind Sie für Kursschließungen gerüstet?
Petra Draxl: Was Corona betrifft, haben wir uns derzeit mit unserem Schulungssystem am AMS an die Wiener Oberstufen gebunden. Das bedeutet, wenn die Oberstufen ins Homeschooling geschickt werden, sind unsere Ausbildungen davon ebenfalls betroffen.
Um dann zu Hause anstatt im Kursraum lernen zu können, mangelt es leider oft an PCs. Ich möchte allerdings betonen, dass auch Personen mit Migrationshintergrund sehr wohl das technische Know-how mitbringen, um zu Hause zu lernen. Gerade sie wissen, wie man Skype verwendet, weil sie so seit Jahren mit der Familie im Ausland telefonieren. Nur ist für die Weiterbildung eben das Handy dann meist nicht ausreichend, dazu braucht man einen PC, sowohl für Deutschkurse, als auch für Bildungsabschlüsse.
Bei weiterführenden Abschlüssen geht es allerdings auch um die Praxis, und das ist – wie wir im Frühjahr gesehen haben – während Corona oft schwierig. Entsprechend brauchen wir möglichst rasch die Schnelltestungen, damit wir den Unterricht durchgehend aufrechterhalten können.
KOMPETENZ: Welche Branchen betrifft es in Wien am meisten?
Petra Draxl: Am stärksten betroffen in Wien ist vor allem die Stadthotellerie, die Gastronomie, und die Eventbranche, also alle Messen, die großen Kongresse und kulturelle Events.
Die Baubranche hingegen läuft gut, wobei, wie schon anfangs erwähnt, die Branche im Winter dann vom Wetter abhängt. Am Bau wurde viel Kurzarbeit beantragt. Außerdem ist Bauarbeit zwar Schwerarbeit, aber – anders als beispielsweise in Fleischverarbeitungsbetrieben – halten die Menschen sich mehrheitlich im Freien auf und können auch die Distanz besser einhalten. Es gibt daher weniger Risiko, und die Branche hat die Krise zumindest bis jetzt gut überstanden.
Keine problematische Branche ist der Handel. Ich halte das übrigens auch für eine Überbewertung, dass man mit einer Maske nicht einkaufen geht. Es war möglicherweise ein Fehler, zwischenzeitlich die Masken wieder zurück zu nehmen. Die Maske hindert nicht am Einkauf, in anderen Ländern hat das auch durchgehend gut funktioniert. Aber: In Phasen wie Corona wird mehr Online eingekauft, der stationäre Handel verliert KundInnen an den Online-Handel. Diese Tendenz dürfte sich verstärkt haben.