Arbeitsplätze und Klimaschutz – ein Widerspruch?

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Bei der Bearbeitung der ökologischen Krise kommt Gewerkschaften und BetriebsrätInnen eine zentrale Rolle zu, fordert der Politikwissenschafter Ulrich Brand. In der Corona-Krise dürfe Umweltschutz nicht zur „Luxusfrage“ werden.

KOMPETENZ: Sie haben sich im Rahmen des Forschungsprojekts CON-LABOUR mit der Rolle von Gewerkschaften im Kontext der ökologischen Krise beschäftigt. Welche Rolle spielen Gewerkschaften hier aktuell und wie steht es um die Frage ‚Arbeitsplätze oder Umweltschutz‘?  

Ulrich Brand: Die Gewerkschaften sind Kinder des Industriekapitalismus, einer gesellschaftlichen Konstellation, in der Wohlstandsgewinne nicht nur mittels Ausbeutung innerhalb der Gesellschaften, sondern im globalen Norden vielfach auch auf Kosten des globalen Südens und auf Kosten der Umwelt erzielt wurden. Das Interessante ist, dass Gewerkschaften in letzter Zeit durchaus verstehen, dass sie die Frage, ob Arbeitsplätze und Umweltschutz tatsächlich im Widerspruch zueinander stehen, verstärkt angehen müssen. Aber wir sind in unserem Projekt auch auf Positionen gestoßen, die sinngemäß sagen, es muss so weitergehen wie bisher: wir brauchen mehr Wachstum, wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit erhalten, der Staat braucht die Steuereinnahmen, und so weiter. Aus meiner Sicht gibt es nach wie vor ein objektives Dilemma, aber es gibt durchaus das Bemühen von Gewerkschaften, Arbeiterkammer, Betriebsräten und Beschäftigten, die ökologischen Probleme nicht mehr zur Seite zu schieben.

KOMPETENZ: Im Fokus der Untersuchung stand die österreichische Automobilindustrie, die bekanntlich sehr von Deutschland abhängig ist. Inwiefern ist diese Abhängigkeit ein Problem?

Ulrich Brand: Es gab 2019 in Österreich 76.000 Beschäftigte im Automobilbereich, hinzu kommen Zulieferer sowie Angestellte im Bereich Straßenbau, Wartung oder Tankstellen. Die Automobilindustrie trägt zu acht Prozent an der industriellen Wertschöpfung bei – das ist sehr viel. Und sie ist größtenteils eine Zulieferindustrie für die deutsche Industrie. Für Österreich ist wichtig, dass es hierzulande mit Ausnahme von Magna keine Endhersteller gibt. Das bedeutet, die wichtigen Entscheidungen werden eher andernorts, in den Managementzentralen im Ausland getroffen. Die Entscheidung über die Produktion von Elektromotoren oder Verbrennungsmotoren beispielsweise wird häufig nicht in Österreich gefällt. Österreich ist hier also extrem abhängig.

„Im Unterschied zu anderen Regionen zeichnet sich Österreich durch eine relativ hohe Qualifikation der Beschäftigten aus.“

Ulrich Brand

Aber: Im Unterschied zu anderen Regionen zeichnet sich Österreich durch eine relativ hohe Qualifikation der Beschäftigten aus. Es werden hierzulande hochwertige Produkte hergestellt, es gibt eine gute gewerkschaftliche Vertretung, gute Bezahlung. Das heißt, die österreichische Industrie ist sehr abhängig, aber es gibt trotzdem eine relativ starke Vertretungsmacht, hohe Produktions- und Einkommensstandards. Gewerkschaften und Beschäftigte wissen das durchaus zu nutzen.

KOMPETENZ: Was bedeutet das für die Beschäftigten?

Ulrich Brand: Aus meiner Sicht sollte man an eine Debatte anknüpfen, die es bereits in den 1970ern und 1980ern gab, also eine Zeit der Krise des Kapitalismus, einer Krise der Autoindustrie, einer ersten Welle der Politisierung der ökologischen Krise. Damals wurde sehr lebhaft über eine „Konversion“ diskutiert, also über einen Umbau der Branche, um andere Produkte herzustellen. Vereinfacht gesagt: Die gute Qualifikation und die hohe Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Beruf, die guten Interessensvertretungen und Gehälter sollten beibehalten werden, aber das Endprodukt könnte ein anderes sein.
Mit Blick auf heute muss man sich fragen: Warum ist die Frage bei der geplanten Werksschließung bei MAN in Steyr, wie die 2.200 Beschäftigten weiterhin Verbrenner produzieren könnten – und nicht, ob sie zukünftig Elektro-LKWs, Züge oder Straßenbahnen herstellen könnten?

„Die Aufgabe der Politik und der kritischen Öffentlichkeit wäre es, zu zeigen, was die Bedingungen für einen ökologischen Umbau der Industrie sind.“

Ulrich Brand

KOMPETENZ: Wie könnte so ein Konversionsprozess konkret aussehen?

Ulrich Brand: Das muss mit Beteiligung der Beschäftigten laufen. Die haben enormes Wissen, die sind zu Recht stolz auf ihr Wissen und ihre Kompetenzen – und sie wissen durchaus um die Klimakrise. Viele haben Kinder, einige sind vielleicht bei Fridays for Future aktiv. An dieses Bewusstsein kann angeknüpft werden, mit guten Angeboten wie Umqualifizierungen oder einer Arbeitsplatzgarantie. Die Aufgabe der Politik und der kritischen Öffentlichkeit wäre es, zu zeigen, was die Bedingungen für einen ökologischen Umbau der Industrie sind. Letztlich geht es hier auch um die politischen Rahmenbedingungen: Was macht die Regierung, was macht der Staat, um eine solche Konversion voranzutreiben? Wir haben mit Leonore Gewessler immerhin eine grüne Umweltministerin, die sagt, wir müssen den öffentlichen Verkehr ausbauen. Sie könnte noch deutlicher sagen: Wir müssen den Autoverkehr zurückdrängen. Und: Konversion wird nicht nur auf der betrieblichen Ebene stattfinden.

KOMPETENZ: Finden Sie, dass die Regierung diesbezüglich gerade einen guten Job macht?

Ulrich Brand: Ich würde sagen, es gibt immerhin Initiativen hin zu einer grünen Mobilitäts- und Industriepolitik, hin zu einer grünen Investitionspolitik. Die bleibt allerdings völlig eingebettet in Wachstums- und Wettbewerbsorientierung und auch innerhalb bestehender Eigentumsverhältnisse. Da geht es eher um die Erschließung neuer Akkumulationsfelder. Politisch ist zu fragen: wo öffnet sich was? Wo kann man einhaken? Mit der Forderung nach einer ernstzunehmenden sozial-ökologischen Transformation innerhalb der Automobilindustrie sollten wir nicht gleich den Kampf gegen den Kapitalismus ausrufen, aber durchaus die Verwertungsmacht der Auto-zentrierten, der fossilistischen Produktionsweise klug in Frage gestellt werden.

Gerade deshalb sind die Gewerkschaften in solchen Fragen zentral, denn das kann der Staat nicht alleine stemmen, für ein solches Unterfangen muss von bestimmten Kräften aus der Gesellschaft auch die Bereitschaft kommen, sich drauf einzulassen. Es muss Anstöße geben, zuvorderst von sozialen Bewegungen. Hier muss so viel Druck aufgebaut werden, dass bestimmte sehr mächtige Akteure zurück gedrängt werden. Sodass von staatlicher Seite vielleicht eher ein Akteur wie Siemens an Bord geholt wird, der mehr Richtung Zug- und Straßenbahntechnologie geht. Anders formuliert: Eine kluge Politik würde gewisse Bereiche klug austrocknen. Also Gewessler muss ja nicht laut verkünden, dass sie jetzt die Autoindustrie bekämpft – aber sie muss es de facto machen.

KOMPETENZ: Und die Gewerkschaften?

Ulrich Brand: Der Blick auf die Geschichte zeigt, dass die Aufmerksamkeit der Gewerkschaften gegenüber Umweltfragen etwas Konjunkturelles hat. Gewerkschaften gehen in Krisenzeiten eher zurück zum sozialen und wirtschaftlichen „Kerngeschäft“ und in Boom-Zeiten öffnen sie sich tendenziell für Umweltfragen. Als die Weltwirtschaftskrise 2008 weitgehend überwunden war und dann bis zur Corona-Krise war eine wachsende Bereitschaft festzustellen – und auch schon früher. Derzeit besteht die Gefahr, dass dieses Engagement wieder nachlässt. Es gilt jetzt darauf zu achten: wie ernst nehmen die Gewerkschaften derzeit im Kontext der Corona-Krise die Umweltfrage? Ist es wieder nur eine vermeintliche Luxusfrage, aber zunächst sind die Sicherung von Jobs und Wachstum zentral? Oder werden Fragen der Beschäftigungssicherung stärker mit ökologischen Fragen verbunden? Damit meine ich nicht jeden konkreten Arbeitsplatz, denn bestimmte Branchen müssen zurückgebaut werden. Aber etwa im Sinne einer grundsätzlichen Arbeitsplatzgarantie. Mein Eindruck ist, dass sich da durchaus etwas verändert bei den Gewerkschaften.

Zur Person:

Ulrich Brand, geb. 1967, ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Von Juni 2018 bis September 2020 leitete er das Projekt CON-LABOUR, das sich mit den Möglichkeiten und Hindernissen für eine sozial-ökologische Konversion der österreichischen Automobilindustrie sowie der Rolle von Interessensvertretungen in diesem Prozess beschäftigte.

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