Andrea Zöchling, Betriebsratsvorsitzende bei Reed Messe Salzburg, stand bei der Gründung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung in der Krise an vorderster Front. Als Reaktion auf eine dramatische Kündigungswelle im Juli letzten Jahres entschied sich die 44-Jährige gemeinsam mit verbündeten KollegInnen dazu, Verantwortung für die Interessen der Belegschaft zu übernehmen. Ihr Hauptziel ist, die Rechte der MitarbeiterInnen zu artikulieren, aktuell bedeutet das vor allem, Vertrauen und eine tragfähige Kommunikationsbasis zur Geschäftsführung aufzubauen und in weiterer Folge rasch zu einer soliden Betriebsvereinbarung zu kommen.
Die Kür von Andrea Zöchling zur Betriebsratsvorsitzenden des Messe-Veranstalters Reed Messe Salzburg ist ein dramatisches Beispiel dafür, wie rasch engagierte ArbeitnehmerInnen im Ernstfall Verantwortung für die Interessen der Belegschaft übernehmen müssen, wenn sie sich organisieren wollen.
Im konkreten Fall war die Welt für die rund 75 Beschäftigten des Unternehmens auch zu Beginn der Covid-Krise noch in Ordnung. „Wir sind ab Mitte März 2020 als einer der ersten Betriebe ins Homeoffice geschickt worden, später dann in die Kurzarbeit“, erzählt Zöchling. Das habe zu Beginn auch bestens funktioniert, noch im April hat die Belegschaft im Rahmen von Videomeetings unter dem Schlagwort „Sundowner“ gemeinsam mit der Geschäftsführung Cocktails geschlürft. Auch im Juni war kollektives Cocktailtrinken vor dem Bildschirm angesagt, bei dem virtuellen Treffen hat die Unternehmensleitung dann aber völlig überraschend eine massive Kündigungswelle verkündet: Bis zu 40 Prozent der Belegschaft sollten noch im Sommer 2020 abgebaut werden.
„Wir lassen uns den über drei Jahrzehnte hoch erfolgreichen Betrieb in Salzburg aus Profitgründen durch extreme Maßnahmen zulasten der Belegschaft nicht kaputt machen – es braucht eine gemeinsame Stimme und es müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden.“
Andrea Zöchling
„Es war ein Schock für uns“, erzählt Zöchling, die seit 20 Jahren im Unternehmen arbeitet und sich mit dem Betrieb, wie viele ihrer KollegInnen, eng verwachsen und auch emotional sehr verbunden fühlt. Ihr war klar: „Jetzt ist der Zeitpunkt für die Gründung eines Betriebsrates gekommen.“
Der Leidensdruck war groß, viele KollegInnen sind auf Zöchling und die anderen späteren Gründungsmitglieder des Betriebsrates zugekommen und der Sukkus der zahlreichen Gespräche lag rasch auf dem Tisch: „Wir lassen uns den über drei Jahrzehnte hoch erfolgreichen Betrieb in Salzburg aus Profitgründen durch extreme Maßnahmen zulasten der Belegschaft nicht kaputt machen – es braucht eine gemeinsame Stimme und es müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden.“
Betriebsrat als Licht am Ende des Tunnels
Gemeinsam mit den langjährigen ArbeitskollegInnen Paul Hammerl, Susi Wiener, Gerhard Leimhofer und Reinhard Schlager wurden die Pläne zur Gründung eines Betriebsrates rasch immer konkreter. „Wir haben uns zusammengetan, die Gespräche waren sehr intensiv und haben eine starke Dynamik angenommen“, erzählt Zöchling. Viele andere KollegInnen hätten die Bemühungen unterstützt und erkannt, dass es „cool wäre, einen Betriebsrat zu haben: Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft und das Licht am Ende des Tunnels war für uns die Gründung eines Betriebsrates.“
Das Fünfer-Team setzte sich mit Tina Rupprecht, Generalsekretärin der GPA Salzburg, zusammen um die weitere Vorgangsweise auszuloten. Rasch war klar, dass in der aktuellen Kündigungswelle nichts mehr bewegt werden könne. Doch die Angst, dass der gesamte Standort Salzburg zugesperrt bzw. nachhaltig geschädigt werden könnte und womöglich alle verbleibenden Arbeitsplätze zum Partnerunternehmen nach Wien abgezogen würden, war groß.
„Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft und das Licht am Ende des Tunnels war für uns die Gründung eines Betriebsrates.“
Andrea Zöchling
Für Zöchling war somit ein Betriebsrat die effektivste Möglichkeit, sich künftig für den Firmen- und damit auch für den Messe Standort Salzburg einzusetzen: „Wir haben eine starke gemeinsame Stimme gebraucht! Wir wussten, es wird ein steiniger Weg, aber wir sind ihn gemeinsam gegangen.“
Verdeckte Einberufung
Die Einberufung zur Betriebsversammlung als Vorstufe zur Wahl des Betriebsrates erfolgte auf Anraten der GPA verdeckt, weil es zu riskant erschien, vor der ersten Kündigungswelle den Wahlvorstand zu outen und damit Namen publik zu machen, die sich im Betrieb für die Interessen der ArbeitnehmerInnen einsetzen wollen.
Also wurde ein Aushang mit der Unterschrift der GPA-Sekretärin gemacht und darauf der Termin für die Einberufung einer Betriebsversammlung veröffentlicht. Der zentrale Agendapunkt: Die Ankündigung der Wahl zur Gründung eines Angestelltenbetriebsrats bei Reed Messe Salzburg. „Uns war voll bewusst, dass das eine sehr heikle Geschichte ist. Wir haben die Gründung des Betriebsrates so lange wie möglich geheim gehalten, weil wir auch niemanden mit dem Wissen belasten wollten, das wir schon hatten“, erzählt Zöchling. Bei der Geschäftsführung und bei gewissen Abteilungsleitern hat der Aushang dann tatsächlich „extrem hohe Wellen geschlagen: Sie waren stinkesauer und haben sich teilweise persönlich angegriffen gefühlt.“
Am 20. Juli 2020 verlautbarte die Geschäftsführung bei einer Betriebsversammlung das Ausmaß der ersten Kündigungswelle, gleich im Anschluss wurden die Trennungsgespräche geführt.
Am 23. Juli wurde schließlich die Einladung zur Betriebsversammlung für die Wahl eines Betriebsrates im Bürogebäude ausgehängt, Zöchling und ihre MitstreiterInnen haben mit der Veröffentlichung der Betriebsrats-Liste bewusst gewartet, bis bekannt war, welche Beschäftigten die Kündigungen treffen würden – es hätten also leicht auch die potenziellen BetriebsratswerberInnen unter den Gekündigten sein können: „Wir wollten den KollegInnen gegenüber fair sein. Ein verfrühtes Outing hätte für uns den Kündigungsschutz bedeutet, wir wollten keinesfalls den Eindruck erwecken, dass es uns um den eignen Vorteil geht.“
Obwohl sich der Eindruck erhärtete, dass die Gründung des Betriebsrates von Teilen der Geschäftsleitung als „Kriegserklärung“ empfunden wurde, setzten Zöchling und ihre KollegInnen ihren Weg unbeirrt fort: „Es geht uns darum, der Reed Messe Salzburg – einem Firmenstandort, den es seit mehr als 30 Jahren gibt – eine Stimme zu geben. Darum auch unser Listenname ‚Liste Reed Messe Salzburg‘ und bewusst kein Personenname. Konzernintern haben wir damit definitiv nicht Neuland betreten – im Gegenteil, Salzburg war einer der letzten Firmenstandorte weltweit, der noch keine MitarbeiterInnenvertretung hatte.“
Hohe Wahlbeteiligung
An der Wahl Anfang September 2020, zu der zwei Listen angetreten sind, beteiligten sich 85 Prozent der Belegschaft, ein großer Vertrauensvorschuss für das Team, das aus vier BetriebsrätInnen und zwei Ersatzmitgliedern besteht. Zöchling wurde zur Vorsitzenden gewählt, das Gremium hat sich im Oktober 2020 konstituiert und vertritt aktuell die Rechte von 40 Beschäftigten.
Zöchling hat kein Problem, an der Speerspitze zu stehen: „Wir sind uns der hohen Verantwortung bewusst, welche die Kollegenschaft in uns setzt. Unser oberstes Ziel ist es, den MitarbeiterInnen eine Stimme zu geben. Im Moment sind wir im Aufbau, lernen auch inhaltlich viel dazu. Das Coaching und der Austausch mit der GPA und den Betriebsrats-KollegInnen anderer Firmen hilft uns sehr. Die Kontakte zur Geschäftsführung sind nicht immer einfach, weil die Vorbehalte dem Betriebsrat gegenüber nach wie vor sehr hoch sind.“ Hier wolle man das notwendige Vertrauen für eine solide Arbeitsbasis so rasch wie möglich aufbauen: „Wir sind nicht auf Fundamental-Opposition gebürstet, sondern wir wollen zentrales Sprachrohr unserer KollegInnen sein, deren Rechte und Interessen vertreten sowie ein frühzeitiges Mitspracherecht bei grundsätzlichen Entscheidungen haben.“ Das müsse in den Köpfen der Geschäftsführung erst sickern: „Unsere Wiener BetriebsratskollegInnen haben hier einen großen zeitlichen Vorsprung – und dort zeigt sich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zum Erfolg des Unternehmens beiträgt.“
„Wir sind uns der hohen Verantwortung bewusst, welche die Kollegenschaft in uns setzt. Unser oberstes Ziel ist es, den MitarbeiterInnen eine Stimme zu geben.“
Andrea Zöchling
Die Vorteile sowohl für die ArbeitnehmerInnen als auch die Geschäftsleitung liegen dabei für die Gewerkschafterin auf der Hand: „Einerseits wollen wir unsere Stimme erheben können, ohne dass sich jemand vor negativen Folgen – bis hin zur Kündigung fürchten muss.“ Andererseits bringe auch für die Geschäftsführung ein gutes Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsrat viele Vorteile, ist Zöchling überzeugt: „Der Arbeitgeber muss sich zum Beispiel nicht mehr mit allen MitarbeiterInnen gesondert auseinandersetzen, das birgt viele Chancen, bringt Vereinfachungen und sorgt für Gerechtigkeit: Wir setzen dabei auf Dialog und wollen auf verschiedensten Ebenen das Vertrauen zur Führungsriege aufbauen.“
Nicht auf Eskalation warten
Rückblickend erkennt Zöchling, dass die Existenz einer ArbeitnehmerInnen-Vertretung auf betrieblicher Ebene bereits helfen hätte können, so manche Kündigung der ersten Welle aufgrund von Sozialwidrigkeit zu verhindern: „Es gab Fälle, wo wir uns gefragt haben, ob sich der Arbeitgeber noch in den Spiegel schauen kann – es wurden unter anderem eine alleinerziehende bzw. eine verwitwete Mütter gekündigt.“ Das Kernproblem der ersten Kündigungswelle sei gewesen, dass der britische Mutterkonzern nicht erlaubt habe, staatliche Hilfen anzunehmen, obwohl die Pandemie das Messewesen bis ins Tiefste erschüttert hat.“
Zwar gab es einen Sozialplan, dieser war jedoch ohne Salzburger Involvierung entstanden und wurde von vielen als eine „reine Abspeisung mit sozialem Deckmäntelchen zur Imagewahrung“ empfunden. Die Erfahrung zeige: „Es lohnt sich, schon in guten Zeiten einen Betriebsrat zu gründen und nicht auf eine Eskalation zu warten.“
Vor der Krise habe sie sich von der oberflächlich amikal wirkenden Gesprächsbasis und den eingespielten Abläufen darüber hinwegtäuschen lassen, dass in nicht ganz so rosigen Zeiten allein ein Betriebsrat etwas gegen zentrale Entscheidungen der Unternehmensführung unternehmen kann, die zu großen Teilen auf Kosten der mittleren und unteren Hierarchieebenen gehen.
Betriebsrat will Angleichung an Wiener Betriebsvereinbarung erreichen
Die zweite Kündigungswelle im November 2020 hat den Standort Salzburg zwar nicht getroffen, auch aktuell sind dem Salzburger Betriebsrat keine Pläne für weitere Kündigungen bekannt. Ganz traut Zöchling dem Frieden aber nicht: „Die erste Kündigungswelle im Juli 2020 wurde gleichsam dazu genutzt, weite Teile unseres Messe-Portfolios an externe Lizenznehmer zu vergeben, samt Personalabbau in unseren Reihen. Das war aus unserer Sicht ein strategischer Fehler und dieser soll in Zukunft mit anderen Messen nicht wiederholt werden. Denn wir wollen das Unternehmen am Standort Salzburg sichern und weitere Kündigungen verhindern. Der Betrieb hat mit dem Abgang erfahrener MitarbeiterInnen bereits viel Wissen verloren, das uns gerade in schwierigen Zeiten enorm viel gebracht hätte.“
Neben vielen Teilzielen steht ein zentrales Vorhaben ganz oben auf der Arbeitsagenda: Die gemeinsame Erarbeitung einer Betriebsvereinbarung. Eine derartige existiert schon seit vielen Jahren bei der Schwesterfirma in Wien. An diese wolle man nun angleichen. Andrea Zöchling findet es nicht nachvollziehbar, warum es unter demselben Österreich-Firmendach nach wie vor eine derartige große Ungerechtigkeit gäbe: „Wir wollen hier eine Gleichstellung an Reed Messe Wien erreichen. Und zwar fairnesshalber in Schritten, damit dies für die Firmenleitung auch realisierbar ist.“ Die künftigen Taten und Erfolge der Geschäftsführung werde man auch am Willen zur Umsetzung sehen: „Dann können sich die KollegInnen von Reed Messe Salzburg selbst ein gutes Bild machen.“
Zur Person:
Andrea Zöchling ist 44 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner und ihrer 4-jährigen Tochter in Piesendorf nahe dem Zeller See in Salzburg. Sie schloss die Tourismusschule in Kleßheim ab und heuerte nach einigen Jahren in der Hotellerie bei der Reed Messe Salzburg an. In ihrer Freizeit entspannt sie am liebsten beim Wandern, Lesen, Kochen, Schifahren oder Schwimmen.