Die Schweizerinnen streiken

Foto: -Gewerkschaft Unia

Unter dem Motto „Respekt! Mehr Lohn, mehr Rente“ haben am 14. Juni mehr als 100.000 Frauen in der Schweiz am landesweiten feministischen Streik teilgenommen. Sie organisierten zahlreiche Aktionen und Demonstrationen um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Denn der Gender Pay Gap wird größer statt kleiner, und die Regierung plant eine Pensionsreform zu Lasten der Frauen.

Der 14. Juni war auch 2021 wieder ein beeindruckender feministischer Aktionstag, resümierten die Schweizer Gewerkschaften: Rund 100.000 Frauen und solidarische Männer waren auf den Straßen und vor Betrieben präsent. Im ganzen Land nahmen Frauen an über 40 von Gewerkschaften und regionalen Kollektiven organisierten Aktionen und Demonstrationen teil, zum Abschluss des Tages gab es schweizweite Großdemonstrationen.

Lohnunterschiede, Diskriminierung, Pensionen: Es gab dieses Jahr für die Schweizerinnen genug Gründe zu demonstrieren. Zwei Jahre nach dem großen Frauenstreik von 2019 ist eine echte Gleichberechtigung nach wie vor weit entfernt. Und die Pensionsreform, die das Schweizer Parlament derzeit plant, würde sogar einen Rückschritt bedeuten, denn die Reform bedeutet eine Einsparung von einer Milliarde Franken pro Jahr auf dem Rücken der Frauen. Entsprechend stand der Widerstand gegen diese Pläne im Mittelpunkt vieler Aktionen des Streiktags.

Die Botschaft: Es braucht jetzt endlich echte Fortschritte bei der Gleichstellung! Es geht um Anerkennung für Frauen und ihre Arbeit, ob bezahlt oder unbezahlt, v.a. aber um Einkommen, die ein anständiges Leben ermöglichen. Ganz besonders in den – in der Schweiz wenig regulierten – systemerhaltenden Berufen des Dienstleistungssektors braucht es dringend verbindliche Branchen-Gesamtarbeitsverträge (das Schweizer Pendant zu Kollektivverträgen), mit angemessenen Mindestlöhnen und guten Arbeitsbedingungen.

Gewerkschaft Unia

Unter den Gewerkschaften, die den Streiktag organisierten, war natürlich auch die ‚Unia’, die Schweizer Schwestergewerkschaft der GPA. Sie organisiert über 180.000 ArbeitnehmerInnen in Industrie, Gewerbe, Bau und privaten Dienstleistungen.

Die Unia hat nachgerechnet: Weil sie ihnen für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn bezahlen wie ihren Kollegen, schulden die Schweizer Unternehmen den Frauen rund 10 Milliarden Franken im Jahr. Denn Frauen verdienen 20 Prozent bzw. im Schnitt 657 Franken (603 Euro) pro Monat weniger als Männer. Der große Skandal dabei ist, dass der Gender Pay Gap – die ‚Lohnlücke’, wie die Schweizerinnen sagen – derzeit wieder am Zunehmen ist, für gleiche Arbeit erhalten Frauen nun sogar noch etwas weniger als vor einigen Jahren.

Die Unia-Frauen haben am Streiktag mit schweizweiten Aktionen pünktlich um 15:19 Uhr ein Zeichen gegen diese Lohnungleichheit gesetzt. Denn ab 15:19 Uhr arbeiten Frauen bis zum Ende des Tages gratis. 2019 war dieser symbolische Zeitpunkt noch um 15:24 Uhr!

„Mehr Lohn!“

Die Pandemie hat auch in der Schweiz die gesellschaftliche Bedeutung vieler Berufe, in denen überwiegend Frauen arbeiten vor Augen geführt. Trotzdem müssen Frauen in weiblichen Berufen wie dem Detailhandel, der Pflege, der Reinigung und vielen anderen Dienstleistungsberufen doppelt so häufig wie Männer mit einem Niedriglohn auskommen. Es sind die Frauen, die den Großteil der unbezahlten Betreuungs- und Pflegearbeit ihrer Angehörigen verrichten. Und sie arbeiten häufiger Teilzeit, oft unfreiwillig. 6 von 10 Schweizerinnen sind in Teilzeit tätig, bei den Männern sind es nur 1,8 von 10. Wer Teilzeit arbeitet, hat eine schlechtere soziale Absicherung, zum Beispiel in der Altersvorsorge.

„Hände weg von den Frauenrenten!“

Der große Schwerpunkt bei den Aktionen des Frauenstreiks in diesem Jahr war die Pensionsreform, in der Schweiz bekannt unter dem Kürzel „AHV 21“. Die AHV, die Alters- und Hinterlassenenversicherung, ist die obligatorische Rentenversicherung, sie entspricht der österreichischen Pensionsversicherung. Mit dem Reformprojekt AHV 21 will die bürgerliche Schweizer Regierung das Pensionsalter für Frauen um ein Jahr anheben, und zwar von derzeit 64 auf 65 Jahre, um es damit dem Pensionsalter der Männer anzugleichen.

Niedrige Löhne, Teilzeit und unbezahlte Arbeit wirken sich auch in der wohlständigen Schweiz drastisch auf die Frauenpensionen aus: Schweizer Frauen erhalten einen Drittel weniger Pension als Männer. Diese Pensionslücke reflektiert die Ungleichheiten beim Einkommen und beim Zugang zur Arbeit (Stichwort: Kinderbetreuung). Der Ruhestand bedeutet auch für viele Schweizerinnen ein erhöhtes Risiko, in die Armut abzurutschen: Jede zehnte muss beim Pensionsantritt sogenannte Ergänzungsleistungen in Anspruch nehmen, um die zu niedrige Pension aufzustocken.

Entsprechend sehen Schweizer Frauenverbände und Gewerkschaften die Anhebung des Pensionsalters als einen Affront. Denn die realen Probleme wie die zu niedrigen Einkommen werden nicht gelöst, Frauen verdienen weiterhin weniger, was zu niedrigeren Pensionen führt. Anstatt hier Verbesserungen durchzusetzen, will die Regierung lieber das Pensionsalter erhöhen. „Höhere Altersrenten statt höherem Rentenalter“ und „Hände weg von den Frauenrenten!“ lauten daher die Parolen der GewerkschafterInnen.

Geschichte der Frauenstreiks

Der Frauenstreik am 14. Juni hat in der Schweiz bereits Tradition, schon 1991 und 2019 hatten an diesem Datum die Frauen zum Streiktag aufgerufen.

Die Idee dafür hatten 1991 die Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux. Obwohl nämlich die gleichen Rechte für Mann und Frau zehn Jahre davor Verfassungsrang erlangt hatten, waren die Frauen bei der Entlohnung immer noch stark benachteiligt. Das Motto des Streiks vom Juni 1991 war „Wenn frau will, steht alles still“ und führte zu einer der größten politischen Mobilisierungen in der Schweiz überhaupt.

Am 14. Juni 2019 wurde ein zweiter großer Frauenstreik ausgerufen, über 500.000 TeilnehmerInnen schweizweit nahmen an Kundgebungen teil. Die Forderungen trugen die Überschrift „Lohn. Zeit. Respekt.“ Dabei ging es u. a. um eine finanzielle Aufwertung und höhere gesellschaftliche Anerkennung von Frauenarbeit, mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit (Care-Arbeit), Bekämpfung von Sexismus und sexueller Belästigung.

Eine Lohnstrukturerhebung hatte damals ergeben, dass Frauen in der Schweiz durchschnittlich 19,6 Prozent weniger als Männer verdienen, wobei 40 Prozent dieser Lohnunterschiede nicht erklärbar sind. Zudem sind weiterhin über 70 Prozent der Arbeitsstellen mit hohen Bruttoeinkommen (über 8.000 Franken) von Männern besetzt.

Lohngleichheitsinitiative im Kanton Jura

Dass es auch anders ginge, haben bei einer Abstimmung am 13. Juni dieses Jahres die WählerInnen im Kanton Jura vorgemacht: Dort wurde eine kantonale „Lohngleichheitsinitiative“ mit einer sehr deutlichen Mehrheit von 88,3 Prozent der Stimmen angenommen. Die Initiative schlägt mehrere konkrete Maßnahmen vor, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen: Unter anderem kann nun jede Person einen Verdacht auf Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, insbesondere bei den Einkommen, der Gleichstellungsbeauftragten melden; Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten müssen ihre Löhne überprüfen; und staatliche Fördergelder gibt es nur bei Einhaltung der Lohngleichheit. Ein klares Signal an Politik und Wirtschaft, das nicht nur die Gleichstellung auf kantonaler Ebene voranbringt, sondern nach Einschätzung der Unia auch für die ganze Schweiz wegweisend sein könnte.

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