Behindertenbetreuerin Schantl: „Steter Tropfen höhlt den Stein“

Priska Schantl
Foto: Johannes Greß

500 Euro Corona-Bonus sollen Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich bekommen. BehindertenbetreuerInnen sind ausgenommen. Warum? Darauf hat auch Behindertenbetreuerin Priska Schantl keine Antwort.

KOMPETENZ: Hätten Sie gerade 500 Euro mehr auf dem Konto – was würden Sie damit machen?

Priska Schantl: (lacht) Naja, vielleicht mit den Kindern zum Schulschluss mal Shoppen gehen. Oder ich habe mir seit neun Jahren mit einer Freundin wieder mal ausgemacht, über’s Wochenende zu verreisen, einfach zum Entspannen. Vielleicht würde ich dafür einen Teil verwenden, in Erholung investieren.

KOMPETENZ: 189.000 Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich bekamen von der Regierung unlängst einen 500 Euro Corona-Bonus zugesprochen. Beschäftigte im Behindertenbereich sind ausgenommen. Wieso?

Priska Schantl: Das ist eine gute Frage. Mich würde interessieren, wer das entscheidet. Ich glaube, dass diejenigen keine Ahnung haben, was in unserem Beruf geleistet wird. Natürlich, Pflege wie in einem Spital machen wir nicht und dürfen wir auch nicht. Aber genau das ist das Schwierige. Wir agieren in einer Grauzone, weil nicht geklärt ist, was wirklich zu unseren Aufgaben zählt und was nicht. Daher sind wir im Schatten und keiner sieht, dass da Arbeit geleistet wird, die honoriert gehört. Wir haben genauso Körperkontakt zu Klientinnen und Klienten, zum Beispiel, wenn wir beim Zähneputzen oder Duschen helfen. Und wir müssen genauso mit Schutzausrüstung arbeiten.

Im Spital gibt’s wen, der die Mistkübel ausleert, wen, der das Essen bringt und der es holt. Dann kommt der Arzt, dann die Krankenschwester und dann der Hilfspfleger. All diese Tätigkeiten muss bei uns eine einzige Person erledigen. Mein Vater sagt immer: „eigentlich müsstest du den Bonus fünf Mal bekommen“. Denn als wir bei uns im Haus selbst Corona-Fälle hatten, durfte nur noch eine Person pro Dienst in das „Isolierzimmer“. Also musste auch eine Person Alles machen: Kochen, Essen bringen und holen, Fiebermessen und so weiter – und am Schluss noch Protokolle ausfüllen. Dadurch ist bei uns allen die Energie schnell Flöten gegangen, wir waren alle ziemlich schnell ausgebrannt. Beziehungsweise wir hatten uns dann selbst alle infiziert. Da war’s dann überhaupt ein Wahnsinn.

Wir agieren in einer Grauzone, weil nicht geklärt ist, was wirklich zu unseren Aufgaben zählt und was nicht. Daher sind wir im Schatten und keiner sieht, dass da Arbeit geleistet wird, die honoriert gehört.

Priska Schantl

KOMPETENZ: Wie ist es zu diesen Infektionen gekommen?


Priska Schantl: Wir hatten einen Klienten mit Husten, den wir sicherheitshalber gleich zum Hausarzt schickten. Von dort kam er zurück mit Schmerzmittel und einem Hustensaft – und dem Hinweis, er soll bitte einen Corona-Test machen. Wieso der Test nicht gleich beim Hausarzt gemacht wurde, ist mir unerklärlich, aber gut… Ich habe dann mit ihm einen Test gemacht und der war positiv. Das war der erste Fall. Nach fünf Tagen gab es drei weitere Verdachtsfälle und am Ende der Woche hatten wir insgesamt sieben positive Fälle. Wo sich die alle angesteckt haben, weiß man nicht, vielleicht in den Werkstätten – aber es geht nicht darum, irgendwem die Schuld zu geben. Insgesamt machte das unseren Arbeitsalltag nur noch komplizierter, denn jeder Infizierte braucht ein eigenes WC, eigene sanitäre Räume – aber so viele Räume haben wir einfach nicht. Wir haben dann versucht, dass sich die positiv Getesteten Räumlichkeiten teilen.

Hinzu kam das ständige Desinfizieren und gefühlt hat dann alle zehn Minuten die MA15 angerufen, um nach Sozialversicherungsnummer und Daten der Infizierten zu fragen. Das war, ja … (lacht) … das schafft man während der Betreuung einfach nicht.

KOMPETENZ: Hätte man die Infektionen verhindern können?

Priska Schantl: Nein, es ist schon erstaunlich, dass wir so lange ohne Infektionen durchgekommen sind. Händewaschen, Desinfizieren, nicht ins Gesicht greifen – natürlich funktioniert das irgendwann, aber das dauert monatelang, bis das bei allen ankommt. Ich glaube, unsere Bewohner hassen uns mittlerweile für Sätze wie „Bitte setzt euch weiter auseinander“, „Bitte setzt die Maske auf“ oder „Bitte nicht aus einer Flasche trinken“ (lacht). Ich denke, das war nicht zu verhindern.

Priska Schantl
Foto: Johannes Greß

Ich selbst habe mir alle Vorschriften ausgedruckt, markiert und vorm sogenannten „Isolationszimmer“ aufgehängt: Was muss ich zuerst anziehen, was später ausziehen, wann die Hände desinfizieren und so weiter. Meine Kollegen und ich haben das immer gemäß Plan gemacht – und trotzdem waren drei Kollegen innerhalb von 24 Stunden positiv.

KOMPETENZ: Nach Protesten wurden auch Reinigungskräfte in den BezieherInnenkreis des Corona-Bonus aufgenommen. Formiert sich ein solcher auch bei Ihnen?

Priska Schantl: Bei mir im Team eher weniger. Natürlich finden wir das unfair, dass wir ausgeschlossen werden, aber es fehlt die Kraft, geschlossen dafür einzustehen. Da ist einfach nicht genug Energie da. Oder es wird gesagt, da können wir eh nichts ändern.

KOMPETENZ: Und glauben Sie, ihr könntet etwas ändern?

Priska Schantl: Ja! Ich denke mir immer, steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn man’s nicht sagt, dann kann sich auch nichts ändern. Wenn die Person, die über den Corona-Bonus bestimmt, nicht weiß, wie unsere Arbeit aussieht, dann wird sich nichts ändern. Aber wenn Gegenwind kommt, dann schon! Vielleicht kommt’s genau auf die eine Person noch drauf an, nur eine Person, die auch noch was sagt, und dann ändert sich was.

Der Beruf bietet immer noch mehr, entwickelt sich ständig weiter.

Priska Schantl

KOMPETENZ: In der Berichterstattung über die Arbeit im Sozialbereich hört man überwiegend Negatives über den Beruf – wieso haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?

Priska Schantl: Kein Tag ist wie der andere. Wenn ich die Tür aufsperre, weiß ich nicht, was mich erwartet. Das ist das Spannende! Man ist immer gefordert, Ideen zu haben, was Neues auszuprobieren. Das Spannende ist, gerade in der Arbeit mit Erwachsenen, dass ich mir ständig überlegen muss, wie mein Gegenüber sich wohlfühlt. Ich bin jetzt seit 20 Jahren in diesem Beruf und komme immer wieder auf neue Ideen, wie man den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner gestalten könnte – man ahnt eigentlich gar nicht, wie breit das Spektrum an Möglichkeiten ist. Der Beruf bietet immer noch mehr, entwickelt sich ständig weiter.

Zur Person

Priska Schantl, 42, lebt in Wien und machte die Ausbildung zur Sozialbetreuerin. Als solche arbeitet sie in einer Wohngemeinschaft von Jugend am Werk in Wien-Leopoldstadt.

Infobox „Corona-Bonus“

Die 189.000 Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich sollen spätestens bis Jahresende eine Sonderzahlung in Höhe von durchschnittlich 500 Euro erhalten. Nach Protesten steht der Bonus auch Reinigungskräften und MitarbeiterInnen in Rehabilitationseinrichtungen zu. Doch SanitäterInnen, BehindertenbetreuerInnen und SpitalstechnikerInnen gehen nach wie vor leer aus. Insgesamt lässt sich die Regierung die Boni knapp 100 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: Für die Rettung der Fluglinie AUA nahm Türkis-Grün 150 Millionen in die Hand.

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