Eine bisserl gerechtere Welt

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wichtiges rasch umsetzen, das ist ein wichtiges Lebensprinzip von Ilse Kalb. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende will gerne etwas bewegen.

Die von COVID-19 geprägten vergangenen eineinhalb Jahre waren auch für Ilse Kalb, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende im Hanusch-Krankenhaus, ein besonders schwieriges Lebenskapitel. Neben ihren vielschichtigen beruflichen Herausforderungen, erkrankte Kalb schwer, litt unter dem Long-Covid-Syndrom. Die ersten Symptome spürte die Krankenpflegerin im April 2020: „Es ist wie aus heiterem Himmel gekommen – ich wurde an einem Sonntag munter und fühlte mich gar nicht wohl“. Die Körpertemperatur stieg, eine Woche lang hatte Kalb 40 Grad Fieber. Dazu gesellten sich problematische Begleitumstände: „Ich war mutterseelenallein am Land und hatte nur telefonischen Kontakt mit der Außenwelt“, erinnert sie sich. Ganze drei Wochen musste Ilse Kalb dort schwer gezeichnet verbringen – eine gefühlte Unendlichkeit. „Es gab Momente, da hatte ich beim Einschlafen Angst, nicht mehr aufzuwachen.“ Kalb, die stets gesund war, hätte sich niemals träumen lassen, so heftig vom Corona-Virus getroffen zu werden.

Gesund mit Hund

Doch bereits im Mai hat sie wieder zu arbeiten begonnen, allerdings mit einem erheblichen Energieverlust. Von zuvor 60 Kilogramm bei einer Größe von 1,76 Meter magerte sie auf 52 Kilogramm ab. „Nach der Arbeit habe ich mich gleich ins Bett gelegt, war kraftlos und fühlte mich leer.“ Ihre gesundheitliche Krise dauerte bis zur Jahreswende. Seither hat sich Kalb erholt und wieder etwas zugenommen, daran hat auch ihre junge Hündin Shadow, ein Akita Inu, einen gewichtigen Anteil. Im Oktober 2020 geboren, kam Shadow als vier Monate alter Welpe im Jänner zu Kalb und hält sie seither ordentlich auf Trab. „Zweimal am Tag muss ich natürlich unbedingt mit ihr raus, da baue ich viel Stress ab und Kondition auf“, erzählt die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. „Ich vergöttere sie“, schmunzelt das Frauchen – allein ihres Beitrages zur Genesung wegen, hat die Hündin so viel Liebe verdient.    

„Nach der Arbeit habe ich mich gleich ins Bett gelegt, war kraftlos und fühlte mich leer.“

Ilse Kalb

Ausgebranntes Pflegepersonal

Die gewaltigen Hürden im Beruf musste Ilse Kalb trotzdem meistern: Seit Beginn der Pandemie hat sich die ohnehin schon angespannte Situation im Gesundheitsbereich noch weiter verschärft. „In unserer Arbeit waren wir bereits vor COVID-19 sehr gefordert und ausgepowert – die Pandemie hat die Situation empfindlich zugespitzt“, macht es Ilse Kalb deutlich.

Auf die neue und extreme Arbeitssituation reagierten die MitarbeiterInnen zügig,  Pflegekräfte aus unterschiedlichsten Abteilungen wechselten freiwillig in die Corona-Station und waren dort sofort einem massiven Druck ausgesetzt. In kürzesten Abständen standen sie vor immer neuen Herausforderungen. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Kalb: „Am Anfang mussten die Schutzmaßnahmen noch entwickelt werden, dabei wurden auch KollegInnen infiziert oder mussten als K1-Personen in Quarantäne“. Das übrige Personal musste den Arbeitsausfall ausgleichen, massenhaft Überstunden leisten. Einschneidende Veränderungen, beinahe täglich. Viele der Pflegekräfte waren mit völliger Erschöpfung bis zum gefühlten Ausbrennen konfrontiert. Von planbarer Freizeit keine Spur – reichlich Grund, um auszusteigen. „MitarbeiterInnen sagten zu mir, sie können sich einfach nicht vorstellen, diese Arbeit bis 65 zu machen“, erklärt Kalb.

Ilse Kalb ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende im Hanusch Krankenhaus und vertritt dort 1600 Beschäftigte.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Call den Betriebsrat

Auch die Betriebsräte waren weit über die Normalarbeitszeit hinaus erreichbar – eine Option, die KollegInnen auch gerne nutzten. „Mein spätester Anruf erreichte mich um 22.30 Uhr“, erzählt Ilse Kalb. Das  Betriebsratsbüro hat lange Öffnungszeiten. „Wir sind in der Früh ab 6.30 da,“ Kalb ist Betriebsrätin aus Leidenschaft und tritt schlicht gerne für andere ein: „Ich möchte die Welt ein bisschen gerechter machen – das geht nur in einer Funktion, die etwas bewegen kann und wo ich auch etwas sagen darf“, erklärt Kalb. „Da gibt einem ein Betriebsratsmandat ein wenig Sicherheit.“ Als Ersatzmitglied kam die Wienerin 2002 in den Betriebsrat, übernahm bald darauf ein Hauptmandat und wurde 2017 freigestellt. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist für 1600 MitarbeiterInnen verantwortlich. „Betriebsrat ist eine zusätzliche Arbeit, man muss bereit sein, Zeit dafür zu opfern und etwas dafür zu tun.“ Dass sie dadurch auch viel bewegen kann, ist Ilse Kalb überzeugt. Unterstützt wird sie dabei vom GPA-Regionalsekretär Ronald Rauch, in Rechtsfragen steht ihr Karin Koller bei. „Wenn ein Problem komplexer ist, kann ich jederzeit anrufen. Ein echter Rückhalt.“

Gegen den Personalnotstand arbeiten

In den Gesundheitsberufen fehlt es an spürbarer Anerkennung und Entlastung. Damit mehr Menschen in die Sozialwirtschaft wechseln, muss das Berufsumfeld rund um die sozialen Dienstleistungen attraktiver werden. Bereits seit Jahren herrscht erheblicher Personalmangel, junge Leute haben kaum Interesse an Berufen, die Stress in Kombination mit niedrigen Löhnen bedeuten. Bloß 17 Prozent der Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren können sich überhaupt vorstellen, einen Pflegeberuf auszuüben – das hat eine Umfrage der Arbeiterkammer Niederösterreich ergeben.

Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden wäre ein großer Schritt in Richtung Zukunft. „Es ist wichtig, dass die Leute mehr Freizeit haben und trotzdem ausreichend Personal zur Verfügung steht – nur das ermöglicht Planungssicherheit“, erklärt Ilse Kalb. 

„Es ist wichtig, dass die Leute mehr Freizeit haben und trotzdem ausreichend Personal zur Verfügung steht – nur das ermöglicht Planungssicherheit“

Ilse Kalb

Doch derzeit können viele  Beruf und Familie schwer vereinbaren. Damit die Strukturen der Sozialwirtschaft gerechter werden, muss der Staat ein Konzept mit adäquaten Rahmenbedingungen erstellen. Das bedeutet, Geld zu investieren. „Doch je länger die Situation so bleibt wie jetzt, desto selbstverständlicher ist es für die Öffentlichkeit, dass die Leute ihre Arbeit unter diesen prekären Umständen verrichten. Und desto weniger wächst das Verständnis, dass sich etwas ändern muss“, zeigt sich Kalb ärgerlich.

Sie hat ihren Kindern abgeraten, im Gesundheitsbereich zu arbeiten. Der ältere Sohn ist Techniker, doch der jüngere studiert Medizin. „Ich habe ihm dann das Für und Wider aufgezählt. Er hat dann in den Beruf hineingeschnuppert und nach dem Zivildienst ein Jahr als Träger im Spital gearbeitet. Er weiß jetzt, ein Honigschlecken ist es nicht.“ Im vergangenen Herbst hat er dann mit dem Medizinstudium begonnen.

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