Die Europäische Steuerbeobachtungsstelle fand bei einer Untersuchung von 36 großen Finanzinstituten heraus, dass diese jedes Jahr im Schnitt 20 Milliarden Euro Gewinn in Steueroasen verschieben.
Die neue EU Steuerbeobachtungsstelle (EU Tax Observatory) veröffentlichte Anfang September einen Bericht über die Steuervermeidung der Banken, der erklärt, wie europäische Geldhäuser einen Teil ihrer Gewinne in Steueroasen verbuchen und auf diesem Weg Steuern umgehen. Die Analyse konzentriert sich auf 36 systemrelevante europäische Banken, die seit 2015 länderspezifische Daten über ihre Aktivitäten veröffentlichen müssen, darunter Kreditinstitute wie z.B. die Deutsche Bank, HSBC, BNP Parisbas, Banco Santander, UniCredit und ERSTE.
Neue Daten
Die Daten, die der Studie zugrunde liegen, verdanken wir einer EU-Richtlinie aus 2013. Darin ist eine länderbezogene Transparenz von Steuerzahlungen und Gewinnen für Banken vorgesehen. Ab 2015 mussten alle Banken, die in der EU tätig sind, in ihren Geschäfts- und Jahresabschlussberichten aufschlüsseln, in welchen Ländern sie welche Gewinne und Verluste erwirtschaftet haben, wie viele ArbeitnehmerInnen sie beschäftigen, wieviel Steuern sie gezahlt und welche öffentlichen Subventionen sie erhalten haben.
Die Studie der Steuerbeobachtungsstelle arbeitet somit mit den neuesten Daten, und es wird einmal mehr deutlich, wie essentiell länderspezifische Berichte – das sog. „Country-by-Country-Reporting“ – sind. „Wie wichtig mehr Steuertransparenz ist, zeigt dieser Bericht!“ betont die Internationale Sekretärin der GPA, Sophia Reisecker. „Nur so erfahren wir, wie viele Steuereinnahmen verloren gehen und in welchen Staaten. Wenn wir Gewinnverlagerungen und Steuerflucht überwachen wollen, brauchen wir genau solche Daten, und natürlich auch kluge Köpfe, die sie analysieren. Ansonsten verschwinden unsere Steuern weiterhin in Schlupflöchern und gehen für unsere Wirtschaft verloren. Wir haben übrigens auch nicht vergessen, dass nach der Finanzkrise 2008 Milliarden Euro Steuergelder zur Rettung maroder Banken in Europa verwendet wurden.“
EU Tax Observatory
Die klugen Köpfe, die die Bankenstudie durchgeführt haben, waren Giulia Aliprandi, Mona Baraké und Paul-Emmanuel Chouc, die an der dieses Jahr ganz neu eingerichteten Europäischen Steuerbeobachtungsstelle forschen. Die Gründung dieser Forschungsstelle resultiert aus einer Forderung der europäischen SozialdemokratInnen (zusammen mit den Grünen und den Liberalen) im Europäischen Parlament an die EU-Kommission. Der Ökonom Gabriel Zucman, ihr Leiter, vertritt die Überzeugung, dass die Steueroasen den Kern der europäischen Krise darstellen, da sich Europa durch den Verlust von Steuereinnahmen in Milliardenhöhe selbst beraubt. Eins der zentralen Ziele des Tax Observatory ist es daher, fundierte Daten und Analysen zu Steuervermeidung und Steuerflucht zusammenzustellen, um offenzulegen, wie und wohin die Konzerne ihre Gewinne verschieben.
Aliprandi, Baraké und Chouc konnten nun bei der Studie zur Steuervermeidung der Banken zeigen, wie die untersuchten Kreditinstitute Gewinne in Steueroasen verschieben, um so jedes Jahr im Schnitt 20 Milliarden Euro zu „sparen“, sprich: die jeweiligen Länder um ihre Steuereinnahmen zu bringen.
„Voraussetzung für eine grundlegende Reform des europäischen Steuersystems ist Transparenz, nur so können wir große Unternehmen in Europa fair besteuern.“
Evelyn Regner, EU-Abgeordnete
EU-Abgeordnete Evelyn Regner hat vor kurzem als Chefverhandlerin eine umfassende Steuertransparenzrichtlinie im europäischen Parlament ausverhandelt, die nicht nur für Banken, sondern für alle großen Unternehmen und Konzerne gelten wird. Sie ist überzeugt: „Regelungen zur Steuertransparenz wirken! Die Steuertransparenzregel ‚Public Country-by-Country-Reporting’, die für Banken gilt, hat uns sehr wichtige Daten geliefert“, erklärt Regner, „Voraussetzung für eine grundlegende Reform des europäischen Steuersystems ist Transparenz, nur so können wir große Unternehmen in Europa fair besteuern.“
Neue Liste von Steueroasen
Der Bericht der Steuerbeobachtungsstelle enthält auch eine von den ForscherInnen erstellte Liste von Steueroasen, die vom Bankensektor verwendet werden. Ein Land wird in der Studie als Steueroase identifiziert, wenn zwei Kriterien zutreffen: erstens ein effektiver Steuersatz auf Bankgewinne von 15 Prozent oder weniger (er liegt in Steueroasen oft zwischen 10 und 13 Prozent); und zweitens ein sehr hoher Profit pro MitarbeiterIn.
Warum der Profit pro MitarbeiterIn? Im Durchschnitt beträgt der Jahresgewinn einer Bank in europäischen Ländern rund 65.000 Euro pro ArbeitnehmerIn. In Steueroasen liegt der Profit pro MitarbeiterIn jedoch im Schnitt bei 238.000 Euro, das ist mehr als das 3,5-fache! Eine so hohe Rentabilität legt nahe, dass Gewinne aktiv verschoben wurden, um Steuern in jenen Ländern zu umgehen, in denen die Dienstleistungen tatsächlich erbracht wurden. Anders wäre es nicht erklärbar, dass deutsche MitarbeiterInnen ein und derselben Bank auffällig weniger Profit erarbeiten als z.B. im benachbarten Luxemburg.
17 Länder sind in der Liste der Steueroasen enthalten: Bahamas, Bermuda, Britische Jungferninseln, Kaimaninseln , Hongkong, Kuwait, Macau, Mauritius, Panama und Katar; sowie in Europa selbst Guernsey, Gibraltar, Irland, Isle of Man, Jersey, Luxemburg und Malta.
„Wir reden hier von 20 Milliarden jährlich, und diese Milliarden würde Europa gerade jetzt dringend brauchen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-Krise aufzufangen.“
Sophia Reisecker, GPA
Bankenpräsenz in Steueroasen seit 2014 stabil
Der Bericht hebt die durchgängige Präsenz von Banken in Steueroasen seit 2014 hervor. Die Analyse der Daten hat ergeben, dass fast 20 Milliarden Euro der 36 Banken in diesen Steueroasen lokalisiert sind – das entspricht 14 Prozent der Gesamtgewinne! Eine Situation, die sich im untersuchten Zeitraum kaum verändert hat.
„Wir reden hier von 20 Milliarden jährlich, und diese Milliarden würde Europa gerade jetzt dringend brauchen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid-Krise aufzufangen“, erklärt Sophia Reisecker, „sonst werden nämlich die ArbeitnehmerInnen dafür bezahlen müssen. Es ist dringend notwendig, dass wir uns unsere Steuern von den Banken sowie auch von den großen Konzernen holen.“
Die Nutzung von Steueroasen ist allerdings von Bank zu Bank sehr unterschiedlich, und reicht von 0 Prozent bis maximal 58 Prozent. Während die Höhe der in Steueroasen vorhandenen Gewinne über den Zeitraum konstant bleibt, beobachtet die Studie schließlich einen Rückgang der Anzahl der Tochtergesellschaften der Banken in Steueroasen seit 2014.
Wie viel verliert die EU?
Anhand der Daten berechneten die ForscherInnen auch die Steuerlücke der Banken: Wie viel müssten die Banken zahlen, wenn die derzeit in der OECD verhandelte internationale Steuerreform angewandt würde?
Diese Reform der OECD sieht die Einführung einer weltweiten Mindeststeuer für Unternehmen von 15 Prozent vor. Wäre die Reform umgesetzt, würden die elf Länder, in denen die Muttergesellschaften dieser 36 Banken ansässig sind, jährlich zwischen 3 und 5 Milliarden an zusätzlichen Steuern einnehmen. Wäre der Zinssatz höher, nämlich 21 Prozent, so wären es bis zu 10 Milliarden. Bei einem Satz von 25 Prozent wären es 13 Milliarden, errechneten Aliprandi und Chouc.
„Das zeigt, wie sehr wir eine globale Mindestbesteuerung von Unternehmen mit einem Satz von 25 Prozent brauchen!“ bekräftigt Evelyn Regner ihre Forderung nach einer umfassenden Steuerreform, denn „nur so können wir die Nutzung von Steueroasen durch den Bankensektor endlich in den Griff kriegen.“
Perspektiven auf die europäische Regulierung
Die Studie beleuchtet sowohl die Vorzüge der länderbezogenen Berichterstattung als auch ihre Grenzen. Obwohl das Country-by-Country-Reporting die Tätigkeit der Banken aufdeckt, erlaubt die derzeitige Berichterstattung noch keine ausreichende Transparenz über Vermögenswerte oder Einlagen auf nationaler Ebene, was die Arbeit der ForscherInnen beim Auffinden von Beweisen erleichtern würde.
Als Gewerkschafterin setzt sich Sophia Reisecker daher dafür ein, dass die von den europäischen Gesetzgebern eingeleitete Dynamik fortgesetzt wird: „Im Kontext der COVID-Krise werden wir in Zukunft genauere und vollständigere Studien benötigen, die uns über die reale Wirtschaftslage informieren!“ Auch sie sieht, ebenso wie Evelyn Regner, die Umsetzung einer globalen Mindeststeuer in Höhe von 25 Prozent als das Ziel. Denn die Tatsache, dass europäische Banken trotz der wachsenden Bedeutung dieser Themen in der öffentlichen Debatte ihre Nutzung von Steueroasen seit 2014 nicht wesentlich reduziert haben, zeigt, so Reisecker, „dass die derzeit gültige Richtlinie für Banken aus 2013 natürlich ein wichtiger Schritt war, doch wir dürfen uns damit keinesfalls zufrieden geben und müssen die Pflicht zur Offenlegung erweitern und vertiefen.“