Ernst Fettner: Ein Jahrhundert Leben

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Freiheitskämpfer, Antifaschist, Kommunist, Journalist, Gewerkschafter. Ernst Fettner wurde heuer 100 Jahre alt. Mit dem Buch „Geh’ du voran – Ein Jahrhundert“ hat er nun sein Leben in Text und Bildern vorgelegt. Als Jude und Kommunist von den Nationalsozialisten verfolgt, musste er Österreich verlassen und konnte nach Großbritannien flüchten.

Als Teil von „Young Austria“ setzte er sich dort für ein freies Österreich ein und kehrte schließlich nach dem Krieg als Soldat der britischen Armee zurück. Die KOMPETENZ sprach mit dem langjährigen „Volksstimme“-Redakteur über seinen Antrieb für sein politisches Engagement und seine Erinnerungen an die Jahre als Vorstandsmitglied der JournalistInnengewerkschaft.

In 100 Jahren erlebt ein Mensch so viel, dass man sich schwer tut, eine Auswahl zu treffen, wozu man ihm Fragen stellen möchte. Als ich Ernst Fettner dieser Tage in seiner Wohnung in Wien-Penzing treffe, macht er auch rasch klar, wie er Fragen an ihn einordnet: ja, als Verfolgter des NS-Regimes und Kämpfer für ein unabhängiges Österreich ist er heute ein wichtiger Zeitzeuge. Aber eben nicht nur. „Ich war 24, als der Krieg aus war. Man kann doch nicht über mein Leben schreiben und mich nur als Zeitzeuge sehen.“

Jugendzeit in Wien

Viel hat Fettner bis 1938 erlebt, viel bis 1945 – aber eben auch viel in den Jahrzehnten danach. 1921 in Wien geboren, wuchs er zunächst zwar in armen, aber behüteten Verhältnissen auf. Doch schon 1926 starb seine Mutter an der Grippe, der Vater tat sich schwer, sich um Ernst und dessen Schwester Wali zu kümmern, so wuchs der Bub im jüdischen Waisenhaus in Baden auf, wo er auch die Schule besuchte. Währenddessen heiratete der Vater erneut, es kamen drei Halbgeschwister zur Welt.

„Ich war Z’sammrambua und Packlträger, ein bissl im Verkauf, gelernt hab ich nichts, auch nicht in der Berufsschule. Es war die reinste Ausbeutung. Als Lehrling hab ich 2,50 Schilling in der Woche bekommen – als Aspirant in Richtung Verkauf hätte ich 20 Schilling bekommen müssen.“ 

Ernst Fettner

Im Alter von 14 verließ Ernst Fettner das Waisenhaus, der Vater hatte ihm eine Lehrstelle gesucht: eine Ausbildung zum „Mieder- und Wäschewarenerzeuger“ sollte es werden. In der Schneiderei Baruch Friedländer hatte er alle Hände voll zu tun – nur das Fertigen von Textilien lernte er dort nicht. „Ich war Z’sammrambua und Packlträger, ein bissl im Verkauf, gelernt hab ich nichts, auch nicht in der Berufsschule. Es war die reinste Ausbeutung. Als Lehrling hab ich 2,50 Schilling in der Woche bekommen – als Aspirant in Richtung Verkauf hätte ich 20 Schilling bekommen müssen.“ 

Das Gefühl, so behandelt zu werden, sollte Jahre später in seine vielen Sozialreportagen einfließen, die er zunächst für den „Volkswille“ in Klagenfurt, später die „Volksstimme“ – beides Medien der KPÖ – schrieb. „Da hab ich auch schon einmal gerne hineingefetzt.“ Ungerechtigkeiten zeigte er aber auch als Betriebsratsobmann in der „Volksstimme“ und später auch als Mitglied des Präsidiums der Journalistengewerkschaft auf. Als Vertreter der „Gewerkschaftlichen Einheit“ wurde er unter Präsident Günther Nenning Mitglied dieses Führungsgremiums.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Gewerkschaftliches Engagement

Und womit hatte er sich damals – Fettner war bis zu seiner Pensionierung Anfang der 1980er Jahre gewerkschaftlich engagiert –  als Interessenvertreter der JournalistInnen auseinanderzusetzen? „Der Lohndruck ist immer ärger geworden. Und für die freien Journalisten war es schon damals arg. Ich habe immer gesagt: wovon sollen die leben? Ich habe mein Gehalt gekriegt, der Kollektivvertrag war gut, ich habe gut verdient. Ich weiß, viele sagen, ich will frei sein, dann kann ich schreiben, was ich möchte, aber das stimmt ja nicht. Ich muss meine Texte ja auch unterbringen. Und auf Zeile zu schreiben, das ist schwer verdientes Geld. Da ist man nicht stark.“

„Und für die freien Journalisten war es schon damals arg. Ich habe immer gesagt: wovon sollen die leben?“

Ernst Fettner

Er selbst musste schon in jungen Jahren sehr stark sein. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war er 17 Jahre alt und arbeitete – die Lehre dauerte damals nur zwei Jahre und er hatte sie bereits beendet – für die Schneiderei Pein im neunten Bezirk als Fahrradbote. In der Pogromnacht im November 1938 blieb er mit seinen Arbeitskollegen und Vorgesetzten in den Räumen der Schneiderei. Die Männer wurden aber offenbar verraten und verhaftet. Beim anschließenden Verhör wurden sie gefragt, ob sie Kommunisten seien, einer nach dem anderen verneinte – und wurde niedergeprügelt. Fettner beschloss ja zu sagen – „dabei habe ich damals nicht einmal gewusst, was das ist, der Kommunismus. Aber mich haben sie dann nicht verprügelt.“ Gefühlt hat Fettner in diesem Moment jedenfalls etwas mitgenommen: dass der Kommunismus etwas Gutes ist. Alles, was Anti-Nazi ist, müsse etwas Gutes sein.

Mehrere Wochen blieb er damals in Haft, wurde auch im berüchtigten Gestapo-Quartier am Morzinplatz verhört. Man entließ ihn schließlich mit der Auflage, das Land zu verlassen. Sein eigentliches Ziel war Israel – seine ältere Schwester war bereits dorthin aufgebrochen – zuvor sollte er allerdings in England eine landwirtschaftliche Ausbildung erhalten. Unter diesem Titel erhielt er auch die Aufenthaltsbewilligung für Großbritannien – was ihn allerdings nicht davor bewahrte, dort schließlich auch interniert zu werden. Der Krieg war ausgebrochen und er galt nun als „enemy alien“, als feindlicher Ausländer. Die Internierung auf der Isle of Man hat er allerdings nicht in schlimmer Erinnerung: viele Gespräche seien damals geführt worden, viel habe er gelernt, vor allem über politische Zusammenhänge.

Kampf für eine freies Österreich

In England schloss er sich „Young Austria“ an, einer Bewegung, die sich dafür einsetzte, für ein freies Österreich zu kämpfen. Dabei habe man auch in den Unions, den Gewerkschaften, Überzeugungsarbeit geleistet, erinnert sich Fettner. Damals seien ja sogar die Sozialdemokrat:innen davon ausgegangen, dass auch nach Kriegsende Österreich Teil von Deutschland bleibe, erinnert er sich. Wichtig ist Fettner festzuhalten, dass „Young Austria“ eine überparteiliche Initiative war. Ja, da seien auch KommunistInnen darunter gewesen, aber eben nicht nur.

Fettner und einige andere wollten aber noch mehr tun: als Teil der britischen Armee selbst gegen die Nazis kämpfen. Es sollte ihnen schließlich gelingen. 1943 wurde Fettner Mitglied der Gordon Highlander, eines Infanterieregiments der British Army. 1944 landete er mit seiner Einheit in der Normandie, zu Kriegsende war er in Neustadt am Rübenberge in Deutschland, einer Kleinstadt nahe Hannover und das in der Rolle des Besatzers. In dieser sollte er schließlich 1946 nach Österreich zurückkehren: nach Klagenfurt. Dort war er einerseits als Soldat der britischen Armee stationiert, dort engagierte er sich aber auch bei der „Freien Österreichischen Jugend“ und begann für die KPÖ-Zeitung „Volkswille“ zu schreiben.

Rückkehr nach Wien

Nach seinem Ausscheiden aus der englischen Armee 1947 wurde er Redakteur der Zeitung. Damals trat er auch der Gewerkschaft bei, wie sich Fettner erinnert. 1949 heiratete er seine erste Frau Hilde, sie hatte er über „Young Austria“ kennengelernt. Bald kamen die beiden Söhne des Paares zur Welt. Doch Hilde starb früh an Krebs und Fettner heiratete später erneut, und zwar seine „Volksstimme“-Kollegin Herta Gisela Felbermayer. Mit ihr sollte er schließlich sogar Goldene Hochzeit feiern – inzwischen ist auch sie verstorben.

Dass er nochmals für ein KPÖ-Medium schreiben sollte, war allerdings in den 1950er Jahren gar nicht klar. Denn den „Volkswille“ musste er verlassen. Offenbar hatte die KPÖ-Führung seine Tätigkeit für die britische Armee als problematisch eingestuft. Ein triftiger Grund für seine Entlassung sei ihm aber nie genannt worden. „Als braver Parteisoldat hatte ich zu gehorchen.“

Die Partei sorgte aber auch für ihre Mitglieder: er hatte in England unter anderem auch als Schweißer gearbeitet und so besorgte sie ihm einen Job bei Steyr-Daimler-Puch in Wien-Favoriten, damals ein russisch verwalteter USIA-Betrieb (Abkürzung für Uprawlenje Sowjetskim Imuschestwom w Awstrij, übersetzt: Verwaltung des Sowjetischen Vermögens in Österreichs). Nebenbei machte er allerdings auch dort Zeitung: die Betriebszeitung. Hauptsächlich arbeitete er aber als Schweißer, Dreher, Ventilprüfer, zuletzt auch im Magazin. Und er bildete sich fort und absolvierte Buchhaltungskurse. Kurz war er dann 1954 bei „Heimpel & Besler“ (ebenfalls ein USIA-Betrieb) in Mödling als Magazin- und Versandleiter tätig.

Arbeit als Redakteur

Doch dann traf er nach einer Parteiveranstaltung eine frühere Redaktionskollegin, eins ergab das andere und er konnte nun in Wien beginnen, für die „Volksstimme“ zu arbeiten. Zunächst coverte er Niederösterreich-Geschichten, später schrieb er große Reportagen, immer wieder Reisegeschichten, er berichtete 1968 aus Prag, kommentierte, schrieb über Soziales und Gewerkschaftliches, was ihn schließlich auch zur Betriebsratsarbeit und dem Mitwirken in der JournalistInnengewerkschaft brachte. Der SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky habe ihn einmal als „Freund-Feind“ bezeichnet, erzählt Fettner, ist aber sichtlich stolz, auch bei Kreisky zu Hause gewesen zu sein.

Nach seiner offiziellen Pensionierung schrieb Fettner übrigens als Freier weiter: unter einem Pseudonym berichtete er als Motorjournalist mehr als zehn Jahre lang über neue Automodelle. Und auch sonst ist der sechsfache Groß- und dreifache Urgroßvater stets aktiv geblieben: er spielte Golf, das halte angesichts des umfangreichen Regelwerks nicht nur körperlich, sondern auch geistig fit, wie er betont.

Politisch interessiert auch im hohen Alter

Bis heute verfolgt Fettner das politische Geschehen: den Sieg der KPÖ in Graz fand er „wunderbar“. Formal sei er zwar nie aus der KPÖ ausgetreten, nur irgendwann habe er den Mitgliedsbeitrag nicht mehr eingezahlt, damit scheide man automatisch aus. „Ich bin zwar nicht mehr aktiv. Aber natürlich fühle ich mich noch zugehörig.“ Und auch sonst geht Fettner bis heute mit der Zeit: so bleibt er über das soziale Netzwerk Facebook mit seiner in alle Welt verstreuten Verwandtschaft – die in Israel, aber auch Kanada und Australien lebt – in Verbindung. Sein Vater, seine Stiefmutter und zwei seiner Stiefgeschwister sollten den NS-Terror nicht überleben, der Vater wurde in Dachau, der Rest der Familie in Maly Trostinec ermordet. Seine ältere Schwester und seine jüngere Halbschwester aber überlebten – die eine in Israel, die andere in England, wohin sie mit einem Kindertransport gelangt war.

Chuzpe habe er gehabt, als er nach seinem Verhör bei der Gestapo am Morzinplatz ein zweites Mal in diese Hölle ging, um darauf hinzuweisen, dass er nicht in der vorgegebenen Frist ausreisen könne, da die Beamtenschaft die nötigen Papiere nicht ausstelle, erzählt Fettner. Aber das habe funktioniert, man habe ihm einen Aufschub gewährt. Es war wahrscheinlich dieselbe Chuzpe, die ihn dazu brachte, 1939 zu sagen, er sei Kommunist, oder Jahrzehnte später für seine KollegInnen in der Volksstimme eine kräftige Gehaltserhöhung zu fordern und auch zu erreichen. Man könnte auch sagen, Ernst Fettners Motto ist „wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Dafür sollte er auch Anerkennung bekommen: 1980 erhielt er für sein Mitwirken bei der britischen Armee das „Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs“ und 2007 das „Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien“.

Ernst Fettner: „Geh’ du voran“ Ein Jahrhundert

Herausgegeben von Jana Waldhör, Graz 2021, Verlag CLIO

184 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-902542-93-9

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