Die Beschäftigten in Supermärkten wurden zu Beginn der Pandemie als SystemerhalterInnen beklatscht. Nun fordern sie bei den KV-Verhandlungen was ihnen zusteht: ein echtes Gehaltsplus, höhere Zuschläge und einen Coronabonus, der diesen Namen verdient. Lidl-Betriebsrat Süleyman Kilic erzählt aus dem Alltag der MitarbeiterInnen im Lebensmittelhandel.
„Eins unserer größten Probleme aktuell sind die ständig wechselnden Dienstpläne“, berichtet Süleyman Kilic aus Imst, Betriebsrat bei Lidl Österreich. „Das ist den KollegInnen ein riesiges Anliegen.“ Die Personaldecke ist dünn, das bedeutet, die MitarbeiterInnen müssen einspringen, wo Not am Mann ist. Krankenstände, Personalmangel und Personalfluktuation führen zu fehlender Planbarkeit. Dabei kommt die Freizeit unter die Räder, finanziell lohnt sich das für die Beschäftigten aber nicht. Das Problem besteht schon seit Jahren, Corona hat es verschärft.
Lidl Österreich beschäftigt über 5.500 MitarbeiterInnen in mehr als 250 Filialen. Kilic arbeitet dort sein 2014, in gleichen Jahr noch trat er auch als Kandidat für die Betriebsratswahl an. Obwohl das Betriebsratsgremium nicht nach Regionen gegliedert ist, betreut Kilic wegen der räumlichen Nähe überwiegend die zwölf Filialen in Tirol und nochmal so viele in Vorarlberg. Er ist als Betriebsrat nicht freigestellt, sein Engagement für die KollegInnen reicht oft weit in die Freizeit hinein.
Aktuelle Probleme im Betrieb
Die fehlende Planbarkeit bei den Dienstplänen, die allen zu schaffen macht, müsste vom Arbeitgeber endlich ernsthaft als Problem angegangen werden, kritisiert Kilic. „Man will einerseits gute MitarbeiterInnen, andererseits wird der Arbeitsdruck immer größer und die Gehälter gelten die steigende Belastung nicht ab.“ Das führt zu Resignation und Erschöpfung, und auch zu Kündigungen seitens der Beschäftigten. „Wenn in einer Filiale gleich zehn KollegInnen kündigen, müsste das die Geschäftsführung doch hellhörig machen,“ bemängelt Kilic. Noch dazu, wo dann die gut ausgebildeten und im Betrieb eingearbeiteten MitarbeiterInnen fehlen. „Man bildet auf diese Weise die Menschen für andere Unternehmen aus, anstatt zu versuchen, sie im eigenen Betrieb zu halten.“
„Wenn in einer Filiale gleich zehn KollegInnen kündigen, müsste das die Geschäftsführung doch hellhörig machen.“
Süleyman Kilic
Die Coronakrise – und mit ihr die Wirtschaftskrise, die Sorgen um die Gesundheit, aber auch das Maskentragen – hat den Stresslevel bei der Bevölkerung ansteigen lassen. Die KundInnen lassen diesen Stress an den MitarbeiterInnen aus. „Früher gab es da eine Hemmschwelle, jetzt sind alle Hemmungen gefallen“, berichtet Kilic. „Es kam zu verbalen Attacken, zu Beschimpfungen, und sogar körperliche Attacken gegen KollegInnen hat es gegeben“, erzählt der Betriebsrat aus dem Alltag der letzten Monate. „Wenn ein Kunde ein Produkt im Markt nicht findet, dann ist in seinen Augen die Verkäuferin schuld, und er lässt seinen Frust an ihr aus.“
Forderungen bei den KV-Verhandlungen
Von eineinhalb Jahren Corona sind auch die Erwartungen der Belegschaft an die KV-Runde geprägt: „Der Lebensmittelhandel hat riesige Profite erzielt, die Leute wollen jetzt endlich ein Stück vom Kuchen, die Lohnerhöhungen müssten spürbar sein“, fasst Kilic zusammen. Gefordert wird daher eine reale Gehaltserhöhung deutlich über die Inflation hinaus und ein echter Coronabonus. „Einfach nur wieder eine Goodwill-Aktion, das ist zu wenig. Wir wollen eine angemessene Abgeltung für die Leistung der letzten eineinhalb Jahre. Aus meiner Sicht könnte das z.B. ein Gehalt als ‚Brutto für Netto’ sein. Oder ein Gehalt extra, ein 15. Monatsgehalt.“ Das sollte schon drin sein, findet Kilic: „Die großen Konzerne haben Unterstützungen in Milliardenhöhe erhalten, die Beschäftigten müssen jetzt auch endlich mal zum Zug kommen.“
Eine zentrale Forderung der Gewerkschaft bei der KV-Runde ist die sechste Urlaubswoche. „Warum muss man darüber überhaupt diskutieren?“, fragt sich Kilic. Für ihn ist klar, dass jeder, der 20 oder 25 Jahre gearbeitet hat, die sechste Woche bekommen sollte, und zwar unabhängig von der Branche oder dem Betrieb. „Egal ob Bauarbeiter oder Handel oder Industrie, wer 25 Jahre lang eingezahlt hat, soll endlich mehr Freizeit bekommen.“
Mehrarbeit und Nachtarbeit
Ein wichtiges Thema bei den Verhandlungen sind heuer auch die Abgeltung von Mehrarbeit und Nachtarbeit. Kilic findet klare Worte: „Warum soll ich meine Freizeit einfach so hergeben? Jede Ware hat ihren Preis! Wenn ich auf meine Freizeit verzichte, möchte ich dafür auch etwas zurückbekommen.“ Es gehe hier um die Wertigkeit der Freizeit. Daher muss es aus Kilic’ Sicht faire Zuschläge geben, nicht nur für Überstunden, auch für die Mehrarbeit.
Handlungsbedarf sieht er auch bei der Nachtarbeit: MitarbeiterInnen bei Lidl müssen oft in anderen Filialen aushelfen und dafür lange Wege zurücklegen. Manchmal beginnt die Arbeit schon vor sechs Uhr morgens. „Das ist eindeutig Nachtarbeit und muss mit einem Zuschlag abgegolten werden.“ Die Lebensmittelkonzerne wollten stets längere Öffnungszeiten, aber: „Das kann nicht gratis sein.“ Zuschläge bringen es außerdem mit sich, dass mit Mehrarbeit und Nachtarbeit entsprechend sorgsam umgegangen wird: „Je teurer die Zuschläge für diese Stunden sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das vom Arbeitgeber missbraucht wird.“
Fehlende Wertschätzung
Die Arbeitgeber im Handel klagen, dass sie Schwierigkeiten haben, Personal zu finden. Der Grund dafür, wie auch in anderen Branchen: Niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen. Besonders während Corona wurden die MitarbeiterInnen mit zu vielen Herausforderungen allein gelassen: „Es waren die Schulen zu, aber die Kinder mussten irgendwie trotzdem betreut werden. Als Handelsangestellter hat kaum jemand die Möglichkeit zu privater Kinderbetreuung. Alle Frauen müssen arbeiten, die konnten nicht zu Hause bleiben.“ Acht Stunden Arbeit mit Masken und die ständige Angst, sich anzustecken, waren eine enorme Belastung. „Die Arbeitgeber haben nicht verstanden, was das bedeutet hat für die Leute, es fehlt ihnen leider wirklich das Verständnis für unseren Alltag und unsere Probleme.“
„Wir vermissen die Wertschätzung für unsere Arbeit. Das Arbeitspensum und der Verdienst stehen in keiner Relation mehr zueinander, denn die Arbeitgeber denken ausschließlich gewinnorientiert. So bringt man letztlich das Boot zum Sinken.“
Süleyman Kilic
Sätze wie: „KV-Verhandlungen sind keine Frauenpolitik“, die zu Beginn der KV-Verhandlungen seitens der Arbeitgeber zu hören waren, ärgern Kilic. „Achtzig Prozent der KollegInnen sind Frauen, natürlich geht es hier um Politik, die für oder gegen sie gemacht wird.“ Er kritisiert auch die Abgehobenheit, die die Arbeitgeber bei den Verhandlungen spüren lassen: „Wir vermissen die Wertschätzung für unsere Arbeit. Das Arbeitspensum und der Verdienst stehen in keiner Relation mehr zueinander, denn die Arbeitgeber denken ausschließlich gewinnorientiert. So bringt man letztlich das Boot zum Sinken.“
Erfolge
Trotz der harten Zeiten während der Pandemie gab es auch Erfolge für den Betriebsrat. So konnten einige Regelungen auf betrieblicher Ebene ausverhandelt werden, darunter ein Anspruch auf Fahrtkosten und Diäten, wenn KollegInnen in weiter entfernten Filialen einspringen müssen. Durch Gespräche mit der Geschäftsführung konnte eine gute Lösung für alle gefunden werden. „Was wir als Betriebsrat erreichen wollen ist, dass das Unternehmen die Dinge durch unsere Brille zu sehen lernt“, sagt Kilic und fügt hinzu: „Unser Betriebsratsvorsitzender Michael Wörthner leistet da großartige Arbeit, er hat mein volles Lob.“
Was er sich für seine Zukunft als Betriebsrat wünsche? „Der Handel ist ein schwieriger Sektor für Mobilisierung oder Arbeitskampf, wir brauchen kämpferische KollegInnen, die für ihre Rechte aufstehen.“ Für ihn zählen nach wie vor die alten gewerkschaftlichen Grundwerte. Dazu gehört auch: Das Erkämpfte darf auf keinen Fall wieder hergeschenkt werden. An bestimmten Errungenschaften, wie zB dem freien Sonntag, darf unter keinen Umständen gerüttelt werden. „Wenn wir den freien Sonntag gegen die 6. Urlaubswoche abtauschen würden, dann gewinnen wir gar nichts, das würde nicht mehr Freizeit bedeuten, sondern in Summe weniger“, macht Kilic seinen Standpunkt klar.
Zur Person
Süleyman Kilic ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist nicht nur praktisch rund um die Uhr als Betriebsrat engagiert, sondern auch politisch in seiner Region für die SPÖ aktiv. In seiner spärlichen Freizeit versucht er, zu Hause zu sein. Er möchte ein Vorbild für seine Kinder sein, ihnen Werte mitgeben, sie gut auf das Leben vorbereiten. Als Österreicher mit Migrationshintergrund ist er tagtäglich damit konfrontiert, dass er für seine Interessen und für seine Familie kämpfen muss. „Ich will meinen Kindern vermitteln: Man muss nicht alles hinnehmen, man kann sich wehren gegen Ungerechtigkeiten. Es zählt nicht, wie oft man hinfällt – sondern wie oft man aufsteht und weitermacht!“