Arbeit liegt nicht auf der Straße

Foto: Die Armutskonferenz

Wolfgang Schmidt vom Verein AMSEL in Graz fordert eine stärkere Mitbestimmung von Arbeitslosen und Armutsbetroffenen innerhalb der Arbeitslosenversicherung. Er kämpft gegen strukturelle Erniedrigung und die Furcht vor Mitbestimmung und will durch eine behördenunabhängige Arbeitslosen-Anwaltschaft wenigstens die Verwaltungspraxis, bestenfalls die Interessenvertretung verbessern.

KOMPETENZ: Sie sind Gründungsmitglied des Vereins AMSEL, was so viel bedeutet wie „Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen“. Was wollen Sie erreichen?

Schmidt: Unser primäres Ziel ist, dass sich steirische Erwerbsarbeitslose gegenseitig stärken, informieren und helfen. Unser politisches Ziel ist eine Interessenvertretung von und für Arbeitslose. Wir wollen Existenzen sichern. In der täglichen Arbeit beraten und begleiten wir Arbeitslose uns gegenseitig. Nach außen wollen wir Vorurteile abbauen und eine positive Stimmung gegenüber Beschäftigungslosen etablieren. Durch konsequente Netzwerkarbeit werden wir immer sichtbarer, was besonders fehlt, ist eine institutionalisierte Interessenvertretung, beispielsweise beginnend durch eine vertrauliche, behördenunabhängige Ombudsstelle oder Arbeitslosen-Anwaltschaft.

KOMPETENZ: Warum können Arbeitslose so wenig mitbestimmen?

Schmidt: Ich sehe da zwei Ebenen. Zum einen geht es um die gesellschaftspolitische Mitbestimmung, also die Mitgestaltung unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund einer sehr komplexen Arbeitswelt. Dabei ist entscheidend, inwieweit die Politik, die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft insgesamt bei der Weiterentwicklung unserer Lebenswelten die Interessen von Arbeitslosen mitdenken.

In der praktischen Mitbestimmung geht es um die direkte Betroffenheit, darum wie mit Arbeitslosen während dieser Lebensphase umgegangen wird.

KOMPETENZ: Wo liegen die Probleme?

Schmidt: Während der Phase der Arbeitslosigkeit ist das Arbeitsmarktservice (AMS) de facto alleiniger Ansprechpartner für die Menschen. Die Verwaltungspraxis des AMS orientiert sich aber ausschließlich an den Interessen ihres Auftraggebers, also des Staates bzw. der Politik. Beispielsweise wird nicht hinterfragt, wie die vorgeschriebenen Beratungen und etwa die daraus resultierenden verpflichtenden Maßnahmen bei uns, den tatsächlich Betroffenen ankommen.

Das Sozialrecht ist sehr kompliziert, dies wird auch unter JuristInnen so beurteilt. Macht man als Betroffener hier auch nur einen kleinen oder auch nur angeblichen Fehler, steht man wochenlang ohne Geld da. Das empfinden wir als drakonisch, wenn nicht gar menschenrechtlich äußerst bedenklich.

KOMPETENZ: Was könnte man verbessern?

Schmidt: Eine echte, nicht nur formale, strukturelle Beteiligung wäre das Optimum. Ich halte es für ein wichtiges – menschenrechtlich und demokratiepolitisch verpflichtendes – Prinzip, dass jene Menschen, die von Regelungen betroffen sind, gefragt werden müssen und mitentscheiden dürfen. Die momentan einzige Möglichkeit zur Mitsprache sind Beschwerdebriefkästen in den Geschäftsstellen. Das ist mager.

KOMPETENZ: Was fordern Sie grundsätzlich?

Schmidt: Wir wollen tatsächlich mitbestimmen, wir sind gegen die verpflichtenden Maßnahmen und Anordnungen, die Sanktionen nach sich ziehen und wir brauchen zumindest eine behördenunabhängige Ombudsstelle zur systematischen Vertretung und zur Klärung komplizierter Rechtsfragen.

Für uns ist es schwierig, eine Art Interessensvertretung für Arbeitslose aufzuziehen, da wir eine höchst unterschiedliche Gruppe sind. Wir Betroffene können ohne Ressourcen keine Strukturen schaffen und die starke Fluktuation erschwert vordergründig eine ständige Vertretung.

„Aktuell müsste das Arbeitslosengeld dringend erhöht und die Zumutbarkeitsbedingungen gelockert werden.“

Wolfgang Schmidt

KOMPETENZ: Wäre ein stärkeres Andocken an die Gewerkschaften sinnvoll?

Schmidt: Ich würde mir wünschen, dass hier monatliche Treffen stattfinden, damit die Bedürfnisse und Anliegen von Arbeitslosen stärker gehört werden. So könnten wir transportieren, was unserer Erfahrung nach im Moment gegen Arbeitslosigkeit hilft bzw. guttut oder was aktuelle Entwicklungen wie zum Beispiel die COVID-Krise für uns bedeuten. Dieses Beteiligungs-Angebot müsste aber von den ArbeitnehmerInnen-Organisationen kommen, sowie auch die Bereitschaft interne Veränderungen anzustoßen.

KOMPETENZ: Was sind die Hauptprobleme, die sich aufgrund mangelnder Mitbestimmung für Arbeitslose auftun?

Schmidt: Unsere Anliegen und unsere Sicht der Dinge werden innerhalb des AMS und der Gesetzgebung zu wenig gehört. Aktuell müsste das Arbeitslosengeld dringend erhöht und die Zumutbarkeitsbedingungen gelockert werden. Im Gegenzug sollte der Druck einer Total-Sperre von Geldleistungen entschärft werden. Aktuell werden auf der Seite „Arbeitlosengeld-rauf.at“ Unterschriften zur Einleitung eines diesbezüglichen Volksbegehrens gesammelt.

KOMPETENZ: Wie könnten die Informationen besser zu den Betroffenen gelangen?

Schmidt: Eine erste gute Lösung wäre die behördenunabhängige Arbeitslosen-Anwaltschaft unter Einbindung Erwerbsarbeitsloser. In Oberösterreich gibt es seit Jahren ein fertiges Konzept dazu, es liegt in den Schubladen der SozialpolitikerInnen.

KOMPETENZ: Wie könnte so eine behördenunabhängige Arbeitslosen-Anwaltschaft aussehen?

Schmidt: Wichtig wäre, dass die Beratung anonym, vertraulich und kostenlos ist. Durch die strukturierte obligatorische Beteiligung von Arbeitslosen bei so einer Anwaltschaft würden Betroffene stark eingebunden. Als GeschäftsführerIn sollte bestenfalls eine erfahrene Betroffene eingesetzt werden. Arbeit liegt nicht auf der Straße, daher halte ich eine behördenunabhängige Unterstützung, gemacht VON Arbeitslosen FÜR Arbeitslose für die zielführendste.

„Je mehr ich Arbeitssuchende von oben herab behandle, demütige und bedrohe oder unter existenziellen Druck setze, desto passiver werden die Menschen.“

Wolfgang Schmidt

KOMPETENZ: Was wäre der Unterschied zum bestehenden System?

Schmid: Je mehr ich Arbeitssuchende von oben herab behandle, demütige und bedrohe oder unter existenziellen Druck setze, desto passiver werden die Menschen. Sinkt der Druck und wird Erwerbslosigkeit als vorübergehende Lebensphase begriffen, werden Ressourcen frei und neue Kräfte stimuliert. Viele finden dann leichter individuell-sinnstiftende und ausreichend bezahlte Arbeit.

Erwerbsarbeit ist nicht der alleinige Lebenszweck des Menschen. Um das zu kommunizieren, bräuchte es einen breiten gesellschaftlichen Dialog über Demokratie und Mitbestimmung auf Augenhöhe.

Zur Person:

Wolfgang „wodt“ Schmidt hat aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit jahrelanger und wiederholter Erwerbslosigkeit 2006 die Arbeitslosen-Selbstorganisation AMSEL – Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen – in Graz mitgegründet. Über die AMSEL ist er auch ein gewählter Vertreter der Plattform „Sichtbar Werden“ der Armutskonferenz. Infos unter: http://www.amsel-org.info/

Armutskonferenz (Hrsg.): Stimmen gegen Armut. Weil soziale Ungleichheit und Ausgrenzung die Demokratie gefährden.

Verlag: Books on Demand, 2020

Der Tagungsband vereint zahlreiche Beiträge der 12. Armutskonferenz. Die AutorInnen gehen mit unterschiedlichen Zugängen der Frage nach, wie Demokratie gestaltet werden kann, damit alle gesellschaftlichen Gruppen teilhaben und mitbestimmen. Stimmen von ausgegrenzten und armutsbetroffenen Bevölkerungsgruppen sollen hör- und sichtbar gemacht werden.

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