Ein Betrieb erfindet sich neu

Betriebsratsvorsitzender Gabor Zentai und seine beiden Stellvertreterinnen Ivonne Amon (li.) und Maria Steiner (re.).

AsylwerberInnen werden seit dem Vorjahr von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen versorgt. Seitdem arbeitet ein Team von engagierten BetriebsrätInnen daran, dass dieses neu gegründete Unternehmen nach dem Betriebsübergang gut zusammenwächst.

Während früher mehrere NGOs und private Unternehmen geflüchtete Menschen in Österreich versorgt haben, wurde 2020/21 dafür eine staatliche Agentur gegründet: Die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, kurz BBU, kümmert sich seither um hilfs- und schutzbedürftige Menschen.

Die BBU hat sowohl die Grundversorgung für Geflüchtete übernommen – d.h. Unterbringung, Verpflegung, soziale, medizinische und psychologische Betreuung und Information –, als auch die Rechtsberatung und Rechtsvertretung, die Rückkehrberatung, die Dolmetscherleistungen und auch die Menschenrechtsbeobachtung.

„Was heute die BBU ist, war ein Betriebsübergang von mehreren Firmen und NGO’s, die davor für die Flüchtlingsbetreuung zuständig waren“, erklärt Betriebsratsvorsitzender Gabor Zentai. Ein Betriebsübergang – also ein Wechsel der EigentümerIn – ist für den Betriebsrat oft ein aufwendiger und länger dauernder Prozess. Hier war allerdings nicht nur ein Betrieb beteiligt – sondern gleich sechs! „Die Caritas, die Diakonie, der Verein Menschenrechte Österreich, die Volkshilfe, das private Schweizer Unternehmen ORS und der Bund“, zählt Zentai auf. „Aus all diesen Betrieben wurden MitarbeiterInnen in die BBU übernommen. Entsprechend war der Betriebsübergang eine echte Herausforderung!“

Gabor Zentai arbeitet in der Rechtsberatung der BBU, er ist Jurist und ausgebildeter Mediator. Davor war er im gleichen Bereich bei der Diakonie beschäftigt. Er ist freigestellter Vorsitzender des Betriebsrates, seine beiden Stellvertreterinnen sind Ivonne Amon und Maria Steiner. Amon arbeitet in der Grundversorgung, Steiner in der Rechtsabteilung. Insgesamt arbeitet in der BBU ein Team von zehn BetriebsrätInnen und mehreren Ersatz-BetriebsrätInnen.

Seit der Betriebsratswahl im Sommer ist die Belegschaft von rund 700 MitarbeiterInnen auf fast 900 angewachsen. „Wir haben nun 21 Standorte in der Grundversorgung, vorher waren es neun. Vor allem diese neuen Standorte benötigten Personal“, berichtet Ivonne Amon. Sie arbeitet seit fast 13 Jahren im Flüchtlingslager Traiskirchen. Von Nachtdiensten über die Organisation von Spielen oder Deutschkursen bis hin zum Büromanagement ist sie eine Allrounderin vor Ort. Derzeit ist sie im Büro tätig und u.a. für die unbegleiteten unter 14-Jährigen zuständig.

„Das starke Wachstum der Belegschaft bedeutete für uns zunächst sehr viel zusätzliche Arbeit. Zum Aufbau der neuen Standorte brauchten wir Stammpersonal zum Helfen. Die neuen KollegInnen mussten eingeschult werden, die neuen Standorte zum Laufen gebracht werden. Mittlerweile hat sich alles gut eingespielt“, erzählt Amon.

Allerdings kam dann noch Corona dazu. „Wir arbeiten direkt mit Menschen, sowohl in der Grundversorgung, als auch in der Rechtsberatung und in der Rückkehrberatung,“ erzählt auch Maria Steiner. Als Juristin war sie zu Beginn der Krise in der Rechtsberatung am Standort Salzburg Bergheim tätig. „Wir konnten nicht einfach alles ins Homeoffice verlegen. Unsere KlientInnen benötigen Ansprechpersonen.“ Aber auch als Betriebsrätin muss Steiner mit ihren KollegInnen in Kontakt sein können, besonders in dieser fordernden Zeit des Betriebsübergangs.

Der Betriebsübergang

Der Plan für die BBU kam von der Regierung Kurz I, als Innenminister Kickl die Agentur direkt im Ministerium ansiedeln wollte. Das konnte verhindert werden, die BBU wurde ausgegliedert und ist nun ein eigenständiges Unternehmen. „Wir sind ein Unternehmen im sozialen Bereich, das zu hundert Prozent im Eigentum des Staates steht“, erklärt Gabor Zentai.

Davor war für die Grundversorgung die ORS, ein privates Schweizer Dienstleistungsunternehmen, spezialisiert in der Betreuung von geflüchteten Menschen, zuständig gewesen. In der Rückkehrberatung hatten MitarbeiterInnen der Caritas und des „Verein Menschenrechte Österreich“ (VMÖ) gearbeitet, in der Rechtsberatung die Diakonie Flüchtlingsdienst, die Volkshilfe und ebenfalls der VMÖ. Es mussten nun beim Betriebsübergang die MitarbeiterInnen der jeweiligen Vorgängerbetriebe in die neuen Bereiche der BBU eingegliedert werden.

Die Beschäftigten kamen aber aus Betrieben mit unterschiedlichen Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen. In der Grundversorgung wurden auch insgesamt um die hundert Vertragsbedienstete und BeamtInnen mit übernommen. Zentai: „Sie unterstehen dem Beamtendienstrecht, das sich von normalen Arbeitsrecht unterscheidet. Auch das müssen wir als BetriebsrätInnen berücksichtigen.“ Zuständig ist entsprechend auch, neben der Gewerkschaft GPA, die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD).

Kollektivvertrag SWÖ

Mittlerweile sind fast alle in einem gemeinsamen Kollektivvertrag, dem KV der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). „Das war ein Meilenstein, den wir geschafft haben. Nun geht es um die Betriebsvereinbarungen und um die Einstufungen“, sagt Zentai. Die Gleitzeitvereinbarung ist inzwischen fertig, in Arbeit sind nun die Betriebsvereinbarungen zu Datenschutz, Mobilität und den Zulagensystemen. „Das ist unser derzeitiger Schwerpunkt, dazu verhandeln wir jede Woche.“

Oft gab es anfangs in einem Team MitarbeiterInnen, die aus unterschiedlichen Firmen kamen. Sie hatten entsprechend unterschiedliche Gehälter, verschiedene Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, verschiedene Rechte und Pflichte bei den Arbeitszeiten. „Wir mussten da möglichst rasch handeln, um diese Probleme auszuräumen. Der Kollektivvertrag und die Gleitzeit-Betriebsvereinbarung waren daher z.B. wirklich dringend“, berichtet Zentai. „Auch bei den Einstufungen liegt noch viel Arbeit vor uns“, fügt Steiner hinzu. „Wir müssen uns von Fall zu Fall ansehen, welche neue Einstufung zur Anwendung kommen soll und eine faire Lösung finden. Unser Ziel ist es, dass alle zufrieden sind und sich niemand benachteiligt fühlt. Das ist ein langer Prozess!“ Das war, sagt Steiner, im Frühjahr auch ihre Motivation als Betriebsrätin zu kandidieren: „Ein gutes Gleichgewicht und zufriedene MitarbeiterInnen sind enorm wichtig für die Qualität der Arbeit. Es sollen sich alle gehört fühlen.“

Personalmangel

Für Ivonne Amon ist dies bereits der zweite Betriebsübergang. Sie arbeitete anfangs in der Flüchtlingsbetreuung für die Firma ‚European Homecare’, ehe diese von der ORS Service GmbH übernommen wurde. Die ORS, so erinnert sie sich, war damals durchaus engagiert und auf einen guten Kollektivvertrag bedacht, durch den Betriebsübergang kam es zu Verbesserungen. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, als nun die BBU als staatsnahes Unternehmen zum neuen Arbeitgeber wurde. „Die Hoffnungen wurden leider enttäuscht. Vor allem der Personalmangel hat uns letztes Jahr sehr zu schaffen gemacht, die Personalrekrutierung zog sich sehr lange dahin, es gab in der Belegschaft großen Unmut, viele waren überlastet, bis hin zum Burn-Out.“ Schließlich setzte Geschäftsführer Andreas Achrainer ein Zeichen: Indem er seinen Rücktritt ankündigte, konnte er das BMI zum Umdenken bewegen.

Seitdem verbessert sich die Situation merklich. „Langsam bekommt es die BBU in den Griff, auch wenn manche Regionen nach wie vor unterbesetzt sind. Traiskirchen hat aber nun wieder einen guten MitarbeiterInnenstand, wir finden endlich wieder Zeit für unsere eigentliche Arbeit“, fasst Amon zusammen.

Corona im betrieblichen Alltag

„Corona war für uns alle eine riesige Herausforderung“, sagen die drei BetriebsrätInnen unisono. „Die schlimmste Zeit“, erinnert sich Amon, „war der erste Lockdown zu Anfang der Pandemie. Wir waren in Traiskirchen sechs Wochen lang in Quarantäne. Wir setzten alles daran, damit die Stimmung nicht kippt.“ In Traiskirchen leben 1.700 Menschen, die getestet und im Falle eines positiven Tests abgesondert werden mussten. „Das war nicht nur organisatorisch kompliziert umzusetzen, auch auf der psychologischen Ebene war die Situation äußerst angespannt.“

Maria Steiner hat in der Rechtsberatung ebenfalls erlebt, wie Corona alles auf den Kopf stellte. „Der Kontakt mit KlientInnen ist bei uns einfach notwendig. Auch wenn wir überall dort, wo es möglich ist, Homeoffice eingerichtet haben, wir müssen als AnsprechpartnerInnen da sein.“ Der Arbeitsalltag war schwierig mit all den neuen Vorgaben: „Es fehlt auch der fachliche Austausch. Kurze Besprechungen sind spontan nicht mehr möglich. Das macht die Arbeit nicht leichter!“, findet Steiner.

Perspektiven für die Zukunft

Und die Pläne für die Zukunft? „Bis jetzt haben wir vor allem Feuerwehrarbeit geleistet und jeweils die akuten Probleme gelöst. Das war natürlich vor allem der Kollektivvertrag“, führt Zentai aus. „Die Betriebsvereinbarungen sind ebenfalls teilweise fertig oder auf einem guten Weg, die Einstufungen werden noch einiges an Arbeit mit sich bringen. Nun müssen wir als Belegschaft aber auch enger zusammenwachsen.“ Geplant sind z.B. Betriebsversammlungen bzw. Teilbetriebsversammlungen an den einzelnen Standorten. „Das ist wichtig für den direkten Kontakt mit der Belegschaft. Wir wollen unsere Pläne vorstellen, Feedback einholen, am Teambuilding arbeiten“, sagt Zentai.

Steiner hofft, dass das gute Arbeitsklima im Betriebsrat auf die Belegschaft ausstrahlen wird: „Wir haben uns im BR-Team wirklich gut zusammengefunden. So wie wir BetriebsrätInnen zusammenarbeiten, funktioniert es ausgezeichnet, wir ziehen gemeinsam an einem Strang. So ein Arbeitsklima in der gesamten Firma, das wäre das Ziel!“

Scroll to top