Der Wiener Journalist und Politikwissenschaftler Johannes Greß legt eine tiefgehende Analyse der ideologischen Grundsätze rund um das Phänomen „Konsum“ innerhalb unseres Wirtschaftssystems vor.
Greß legt dar, dass die ideologische Funktion von Konsum mit ökologischen und biophysischen Grenzen kollidiert und geht der Frage nach, inwieweit Wirtschaftswachstum und das globale Konsumverhalten, die lange Zeit als Garanten gesellschaftlicher Stabilität galten, durch ihre destruktiven ökologischen und sozialen Folgen zur gesellschaftlichen Destabilisierung beitragen. Mit seinen Ausführungen tritt er gegen die herrschende Naivität an, zu glauben, dass die Menschheit die gegenwärtige ökologische Krise nachhaltig bewältigen könnte, ohne etwas Grundlegendes an ihrer Lebensweise zu verändern.
Viele seiner Überlegungen knüpft Greß an das Gedankengut des deutsch-amerikanischen Philosophen und Politologen Herbert Marcuse. Weitere Verbindungen werden zu ideologietheoretischen Überlegungen des argentinischen Politologen Ernesto Laclau und des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek hergestellt.
Greß theoretisiert auch individuelle journalistische Erfahrungen, Eindrücke und Gesprächsinhalte, um der These nachzugehen, wonach die unendlichen Konsummöglichkeiten als Ideologie zur Integration der (oppositionellen) Massen ins kapitalistische System fungieren. Zwecks Reflexion der Grundsätze politischer Theorien an Alltagsphänomenen begibt sich der Autor auch auf Spurensuche. Dabei werden die Mechanismen der materiellen Bedürfnisbefriedigung ebenso schonungslos analysiert wie der Zusammenhang zwischen Verzicht, Verbot bzw. Entsagung und Gewalt – den Greß als keinen zufälligen entlarvt.
Bestehende Machtstrukturen absichern
Die Tatsache, dass Regierungen und Unternehmen auf der ganzen Welt derzeit versuchen, den Spagat, zwischen materiellen Wohlstandszuwächsen und gleichzeitiger ökologischer Nachhaltigkeit zu schaffen, bezeichnet Greß als „grünen Kapitalismus“, der ebenso wie das sogenannte „nachhaltige Wachstum“ bzw. die „ökologische Modernisierung“ weniger darauf abziele, die Umwelt zu bewahren, als bestehende Macht- und Herrschaftsstrukturen abzusichern.
Eindrucksvoll zeichnet er den krassen Interessenskonflikt zwischen dem Glauben, dass durch Wachstum Ungleichheit verringert werden könnte bzw. dass durch steigende Produktionen Beschäftigung und gesellschaftliche Integration möglich wären und der Begrenztheit natürlicher Ressourcen nach. Greß zeigt, dass die Auswirkungen der ökologischen Krise längst bei den Globalisierungsgewinnern der nördlichen Industriewelt angekommen sind und schafft damit ein durch Daten und Fakten fundiertes Plädoyer für eine nachhaltige Lebensweise.
Der Autor entwirft den Begriff der Konsumideologie und geht der Frage nach, welche Funktion „entpolitisierter Massenkonsum“ heute haben kann. In einem alternativen Entwurf, bemisst Greß Wohlstand nicht anhand wirtschaftlicher Indikatoren, sondern am Freisein von Ausbeutung, Unterdrückung und einer Klassenherrschaft. Als Konstanten eines erfüllten Lebens definiert er sinnstiftende Arbeit, soziale Teilhabe, leistbare Mobilität und Gemeingüter, eine intakte Umwelt sowie eine hochwertige und inklusive Bildung.
Johannes Gress
Konsumideologie: Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise: Von Bio-Bananen, Postdemokratie und Grünem Kapitalismus.
Black Books. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2022