Lebenshilfe NÖ: 342 Beschäftigte bekommen keinen Bonus

Der Betriebsratsvorsitzende der Lebenshilfe Niederösterreich Christian Hörhan mit Julia Fenninger. Sie bekommt keinen Pflegebonus, obwohl sie in der Behindertenbetreuung arbeitet und pflegerische Tätigkeiten verrichtet.

Mit der verkorksten Entgelterhöhung für Beschäftigte in Pflege- und Betreuungsberufen zeige die Regierung einmal mehr, wie wenig Ahnung sie von der Branche hat, kritisieren Beschäftigte der Lebenshilfe Niederösterreich.

Mehr Geld für alle sollte es werden. Eine Extrazahlung für alle in Pflege- und Betreuungsberufen beschäftigten Personen. Nur unter alle fallen offenbar nicht alle. In der Lebenshilfe Niederösterreich arbeiten 796 Menschen im Pflegebereich, 454 von ihnen können sich (voraussichtlich) Anfang kommenden Jahres über eine Bonuszahlung „im unteren vierstelligen Bereich“ freuen. Ihre 342 KollegInnen gehen leer aus. Dabei verrichten sie dieselben Tätigkeiten, arbeiten oft im selben Team. MitarbeiterInnen der Lebenshilfe Niederösterreich, mit denen KOMPETENZ gesprochen hat, sprechen von „Keiltreiberei“.

Das Problem verbirgt sich hinter vielerlei Abkürzungen. Entscheidend ist Art. 15a B-VG des EEZG und der Unterschied von FSB, UBV und DGKP. In der 15a-Vereinbarung des EEZG, des sogenannten Entgelterhöhungs-Zweckzuschussgesetzes, sind jene Berufsgruppen zusammengefasst, die die Entgelterhöhung erhalten sollen. Die Zahlung ist Teil des im Mai groß angekündigten und im September konkretisierten Pflegepakets der Regierung. Darin ist auch eine Sonderzahlung vorgesehen, einst hieß es in Höhe von etwa einem Monatsgehalt, Details sind bis dato offen. Medial ist mittlerweile von einem Betrag „im unteren vierstelligen Bereich“ die Rede. Der Bund will dafür rund 570 Millionen Euro ausgeben.

Der Hintergedanke: Eine Art Entschädigung für die Beschäftigten für zwei Corona-Jahre, zwei Jahre Arbeiten am Limit und darüber hinaus. Insgesamt solle damit auch der Pflegeberuf attraktiver werden, denn Österreich braucht bis zum Jahr 2030 rund 70.000 zusätzliche Pflegekräfte. Das Gegenteil sei derzeit der Fall, beobachtet Christian Hörhan, Betriebsratsvorsitzender der Lebenshilfe Niederösterreich. Hätten sich vor fünf bis zehn Jahren noch die Bewerbungen gestapelt, seien aktuell Stellen oft monatelang ausgeschrieben – „ohne dass sich auch nur eine Person bewirbt“.

„Ich trage genauso Verantwortung“

Eine, die sich vor zehn Jahre beworben hatte, ist Julia Fenninger. Die Anfang 30-Jährige sitzt im Betriebsratsbüro im Erdgeschoss der Lebenshilfe Sollenau (Bezirk Wiener Neustadt-Land). Sie ist gelernte Köchin und wagte sich als Quereinsteigerin zur Lebenshilfe. Seit 2012 arbeitet sie in der Behindertenbetreuung. Zwar absolvierte sie keine facheinschlägige Ausbildung, also etwa zur Fachsozialbetreuerin (FSB) oder Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP), jedoch ein verpflichtendes UBV-Modul (Unterstützung bei der Basisversorgung). Eine solche Schulung berechtigt sie dazu, grundpflegerische Tätigkeiten unter Anleitung einer Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin auszuüben. Folglich verrichtet sie seit Jahren dieselben Tätigkeiten wie ihre KollegInnen – eine Entgelterhöhung bekommt sie trotzdem nicht. Denn MitarbeiterInnen in multiprofessionellen Teams wie Fenninger sind in der 15a-Vereinbarung nicht vorgesehen. „Ich assistiere KlientInnen bei der Medikamenteneinnahme, übernehme dieselben pflegerischen Tätigkeiten und trage die gleiche Verantwortung wie meine KollegInnen“, ärgert sich Fenninger.

„Ich assistiere KlientInnen bei der Medikamenteneinnahme, übernehme dieselben pflegerischen Tätigkeiten und trage die gleiche Verantwortung wie meine KollegInnen.“

Julia Fenninger

Während der Pandemie sei sie dem Virus genauso ausgesetzt gewesen wie alle anderen im Team, arbeitete teils in voller Schutzausrüstung, während ein ganzes Haus voller KlientInnen mit Corona infiziert war. „Ich arbeite direkt an der Front – und bekomme keinen Bonus“.  

Mittlerweile sei die Personalsituation angespannter als je zuvor, beklagt Fenninger. Fehlt es in der Industrie an Personal – wird weniger produziert. Diese Alternative besteht in der Pflege und in Betreuungsberufen nicht. „Die Menschen, die wir betreuen, haben dieselben Bedürfnisse wie immer, da ist es egal ob wir fünf oder zwei BetreuerInnen haben“, beklagt Fenninger. Die gelernte Köchin betont immer wieder, wie wohl sie sich grundsätzlich in ihrem neuen Job fühle – „aber das funktioniert einfach nicht mehr. Wir kommen in eine Situation, in der wir selbst die Grundbedürfnisse unser KlientInnen nicht mehr erfüllen können“.

„Keiltreiberei“

Rund 150 Kilometer weiter westlich ist die Situation eine ähnliche. Bei der Lebenshilfe in Aschbach-Markt (Bezirk Amstetten) arbeiten Paul Meierhofer und Anja Reitbauer Seite an Seite. Er ist Fachsozialbetreuer Behindertenarbeit, sie Sozial- und Kindergartenpädagogin mit UBV-Schulung – er bekommt eine Entgelterhöhung, sie nicht. Warum? Beiden fehlt das Verständnis dafür. Auch wenn Meierhofer sich grundsätzlich über die Zahlung freut, betrachtet er die Ungleichbehandlung als „Keiltreiberei“. Dadurch zeige die Politik einmal mehr, dass sie von den Vorgängen im Sozial- und Pflegebereich wenig Ahnung habe – dass bei Einrichtungen wie der Lebenshilfe eben auch Menschen Pflegetätigkeiten ausüben, deren Titel oder Ausbildung nicht das Wort „Pflege“ oder „Behindertenarbeit“ beinhalte.

„Ich glaube, es geht da gar nicht um Böswilligkeit, sondern um Unwissenheit. Den EntscheidungsträgerInnen fehlt einfach der Einblick in unsere Arbeit“

Anja Reitbauer

Menschen wie Anja Reitbauer, die zwar fünf Jahre Kindergartenpädagogik, zwei Jahre Sozialpädagogik auf dem Buckel hat, zusätzlich eine UBV-Schulung absolvierte – und deren Tätigkeiten sich von Meierhofers nicht unterscheiden – gehen dadurch leer aus. „Ich glaube, es geht da gar nicht um Böswilligkeit, sondern um Unwissenheit. Den EntscheidungsträgerInnen fehlt einfach der Einblick in unsere Arbeit“, kritisiert Reitbauer.

In seinem Büro in Sollenau versucht sich Betriebsratsvorsitzender Christian Hörhan gegen den Be- bzw. Fehlschluss der Regierung zu stemmen. Was ihn freut: Die Solidarität unter den Beschäftigten ist groß. 507 Unterschriften (von knapp 800 in der Betreuung tätigen MitarbeiterInnen) konnte er sammeln, das heißt, auch von jenen, die den Bonus erhalten werden. Zusammen mit einem Brief und einer Bitte um Stellungnahme gingen diese Ende Oktober an Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), Landeshauptfrau Johanna Mickl-Leitner (ÖVP) und Soziallandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP). Eine Antwort stand bis Redaktionsschluss noch aus.

Zukunft Krise?

Zu wenig Bezahlung, zu wenig Wertschätzung, zu wenig Personal – es sind die immer selben Forderungen, die seit Jahren von den Beschäftigten an die Regierungen herangetragen werden. Mit den immer selben Unvermögen der Verantwortlichen gegen die Gesundheits- und Pflegekrise etwas zu unternehmen. Dass viele der Beschäftigten der Branche irgendwann den Rücken kehren – Hörhan, Fenninger, Meierhofer und Reitbauer haben volles Verständnis.

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