Auf dem Papier sind Lohnabhängige von den Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeitswelt gut geschützt, erklärt Sozialrechtsprofessorin Susanne Auer-Mayer im KOMPETENZ-Interview. Faktisch aber sehe es etwas anders aus.
KOMPETENZ: Würden Sie davon abraten, mit dem Diensthandy private Chatnachrichten zu schreiben?
Susanne Auer-Mayer: (lacht) Da würde ich tendenziell davon abraten, ja! Für das Diensthandy gibt es unterschiedliche Vorgaben, was man damit machen darf. Wenn ich am Diensthandy private Nachrichten schreibe und die am Ende herauskommen, besteht oft die Gefahr, dass das arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Wenn ich mein Arbeitsverhältnis kündige, mein Handy zurückgebe und der Arbeitgeber findet darauf Daten, die nicht dorthin gehören, kann das im Ernstfall gegen mich verwendet wird.
KOMPETENZ: Darf die oder der ArbeitgeberIn Einblick in mein Diensthandy oder meinen Dienstlaptop nehmen?
Nein, insbesondere in die private Kommunikation darf der Arbeitgeber keinen Einblick nehmen. Auch sonst gibt’s strenge Vorgaben, was Kontrollen durch den Arbeitgeber betrifft. Wenn Kontrollmaßnahmen die Menschenwürde berühren, beispielsweise die Privatsphäre, dann braucht’s dafür eine Betriebsvereinbarung. Rechtlich ist der Arbeitgeber durchaus beschränkt – das Problem ist eher das Faktische.
KOMPETENZ: Was meinen Sie damit?
Das Arbeitsrecht ist grundsätzlich sehr stark zugunsten der ArbeitnehmerInnen reguliert, aber es wird oft nicht eingehalten. Wenn wir mit Blick auf die Digitalisierung an die Erreichbarkeit denken: Da gibt es ganz klare Vorgaben, zum Beispiel zu verpflichtenden Ruhezeiten: Ich muss elf Stunden pro Tag und am Wochenende durchgängig 36 Stunden ruhen können. Während dieser Ruhezeiten darf ich dienstlich grundsätzlich nicht beansprucht werden – und trotzdem passiert es faktisch, dass am Wochenende oder am Abend E-Mails und Anrufe kommen.
KOMPETENZ: Im März 2020 wurden viele von heute auf morgen ins Home-Office geschickt. Ist Home-Office inzwischen klarer geregelt?
Jein. Es wurden im April 2021 gewisse Regelungen zum Home-Office getroffen. Es wurde geregelt, was Home-Office ist, dass der Arbeitgeber die digitalen Arbeitsmittel dazu zur Verfügung stellen muss und versucht, den Unfallversicherungsschutz klarer zu regeln. Aber da steht noch einiges aus. Es ist zum Beispiel nach wie vor nicht klar, was passiert, wenn ich mich im Home-Office beim Zubereiten des Mittagessens verletze. Der Gesetzgeber hat auch vorgesehen, dass nur das Home-Office an sich reguliert ist, also nur das regelmäßige Arbeiten in der Wohnung. Das mobile Arbeiten, beispielsweise im Zug, ist nicht geregelt. Das führt zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten. Auch die Frage nach den Arbeitszeiten ist nach wie vor nicht klar geregelt: Wann darf ich kontaktiert werden? Wie ist das rechtlich zu werten, wenn ich kurz das Telefon abhebe oder schnell eine Mail beantworte? Da wurden auch mit dem Home-Office-Maßnahmenpaket keine Regelungen getroffen. Das heißt, wir haben allgemeine Regelungen, aber vieles ist unklar. Es wäre gut, wenn hier spezifiziert würde.
KOMPETENZ: Was sind aus Sicht der Lohnabhängigen mögliche Gefahren der Digitalisierung der Arbeitswelt?
Erstens ist die Vermengung von Arbeit und Freizeit, die Entgrenzung der Arbeitszeit ein Problem. Wenn ich mein Büro daheim habe, bin ich eher dazu verleitet, auch am Wochenende oder am Abend zu arbeiten. Mittlerweile hat fast jedeR ein E-Mail-Programm am Handy, was dazu verleitet, immer und überall Mails
zu lesen. Die Abgrenzung – auch um geistig Abstand zu gewinnen – wird dadurch immer schwieriger. Zweitens bietet die Digitalisierung extreme Kontrollmöglichkeiten. Gerade bei ArbeiterInnen, die hauptsächlich digital arbeiten. Es wäre auch technisch möglich, jeden Tastenschlag zu überwachen, den jemand macht.
KOMPETENZ: Wie verhält es sich abseits klassischer Bürotätigkeiten?
Zum Beispiel ging es in einem Fall beim Obersten Gerichtshof (OGH) um das GPS im Firmenwagen von MitarbeiterInnen im Außendienst. Mittels GPS wurde überwacht, welche Strecke sie fahren, wie lange sie stoppen und so weiter. Die ArbeitgeberInnen konnten in diesem Fall über‘s Internet beständig Einsicht nehmen. Der Dienstwagen konnte auch privat genutzt werden – selbst, wenn der Mitarbeiter im Urlaub war, wusste der Arbeitgeber, wo er sich befindet.
KOMPETENZ: Welche Möglichkeiten habe ich mich zu wehren?
Das hängt zunächst davon ab, ob es einen Betriebsrat gibt. In genannten Fall bräuchte es eine Betriebsvereinbarung und wenn der Betriebsrat nicht zugestimmt hat, dann ist es unzulässig. Das heißt – und das ist der große Vorteil –, dass der Betriebsrat klagen kann. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, bin ich, abgesehen von der möglichen Unterstützung durch die Arbeiterkammer, auf mich allein gestellt.
KOMPETENZ: Technik ist also nie neutral?
Genau! Das betrifft auch Künstliche Intelligenz (KI) und Algorithmen. Auch ein Algorithmus ist nicht neutral. Je nachdem, mit welchen Daten ich den Algorithmus füttere und welche Zielvariablen ich setze, agiert der Algorithmus anders. Auch hier kann es zu Diskriminierungen kommen. Beispielsweise hatte Amazon einst einen Algorithmus für die Personalauswahl programmiert. Das Problem war, als ‚geeignete Beschäftigte‘ wurden die bestehenden Beschäftigten eingegeben – und das waren hauptsächlich weiße Männer. Dadurch wurden Frauen oder nicht-weiße Männer diskriminiert. Technik und Digitalisierung sind weder eindeutig negativ noch eindeutig positiv. Aber diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, von daher hat es keinen Sinn, alles zu verteufeln – aber es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass damit Gefahren einhergehen.
KOMPETENZ: In einem Interview meinten Sie, „als Juristin kann ich zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen“…
… ja! Die Rechtslage ist selten sehr eindeutig, es ist immer eine Form der Auslegungssache – hier kann man etwas beitragen, indem man gewisse Ansichten vertritt oder aufzeigt, wo es Änderungsbedarf gibt. Zum Beispiel, wenn ich um Expertise gefragt werde, oder durch eigene Publikationen und Vorträge. Dadurch habe ich Möglichkeiten, zu gestalten.
Zur Person:
Susanne Auer-Mayer ist Professorin für Arbeits- und Sozialrecht mit Schwerpunkt Digitalisierung der Arbeitswelt an der Wirtschaftsuniversität Wien und seit 2022 Vorständin des Instituts für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht. Für ihre wissenschaftliche Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Herbert Tumpel Preis“ des Theodor-Körner-Fonds.
Mitbestimmung der Zukunft
Am 15. November 2022 veranstaltete die Gewerkschaft GPA eine Konferenz bei der 250 BetriebsrätInnen über Mitbestimmung vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung diskutierten. Susanne Auer-Mayer analysierte dort als Rechtsexpertin die Auswirkungen der Digitalisierung auf die betriebliche Mitbestimmung.
Eine Zusammenfassung der Konferenz findest du hier.