Steigt der Anteil gemeinnütziger Wohnungen um zehn Prozent, sinkt der Quadratmeterpreis von Privatwohnungen um bis zu 40 Cent. Klingt kompliziert, ist aber so – und Wifo-Ökonom Michael Klien erklärt im KOMPETENZ-Interview wieso.
KOMPETENZ: Sie haben sich in einer Studie mit der preisdämpfenden Wirkung des gemeinnützigen Wohnbaus auseinandergesetzt. Zuallererst: Was bedeutet „gemeinnütziger Wohnbau“?
Michael Klien: In Österreich wird oft sozialer Wohnbau, kommunaler Wohnbau und gemeinnütziger Wohnbau vermischt. Gemeinnütziger Wohnbau ist, neben dem Staat und dem Privatsektor, ein dritter Sektor in Form von Non- oder Limited-Profit Unternehmen. Diese Anbieter sind gesetzlich dazu verpflichtet, dass die Mieten den Kosten entsprechen. Den Mieter:innen werden die Baukosten, die Grundkosten, die Finanzierungskosten und so weiter monatlich abgerechnet – nicht mehr.
KOMPETENZ: Und diese Wohnungen sind automatisch günstiger?
Michael Klien: In allen Bundesländern oder Gemeinden sieht man Unterschiede zwischen dem privaten Segment und dem Gemeinnützigen. Mit Blick auf vergleichbare Wohnungen sind die Gemeinnützigen durchwegs günstiger als die Privaten. Wie groß der Abstand ist, das hängt stark vom lokalen Wohnungsmarkt ab: wie groß die Nachfrage ist, ob viel oder wenig gebaut wurde. Je nach dem wie angespannt der Wohnungsmarkt ist, ist es für private Vermieter:innen möglich, deutlich höhere Aufschläge draufzulegen.
„Wenn der Anteil der Gemeinnützigen groß genug ist, etwa in einem Verhältnis von 50:50 zu den Privaten, dann sieht man, dass Privatvermieter:innen geringere Aufschläge verlangen können.“
Michael Klien
KOMPETENZ: Konkret: Ich wohne in einer Privatwohnung, umgeben von sehr vielen gemeinnützigen Wohnungen. Zahle ich deshalb weniger Miete?
Michael Klien: Wenn der Anteil der Gemeinnützigen groß genug ist, etwa in einem Verhältnis von 50:50 zu den Privaten, dann sieht man, dass Privatvermieter:innen geringere Aufschläge verlangen können. Das heißt, vom gemeinnützigen Wohnbau profitieren nicht nur Mieter:innen dieser Wohnungen, sondern es gibt einen Spillover-Effekt mit preisdämpfenden Auswirkungen im privaten Segment.
KOMPETENZ: Lässt sich das beziffern?
Michael Klien: Grob lässt sich sagen: Wenn sich das Verhältnis von gemeinnützig zu privat um zehn Prozent Richtung gemeinnützig verschiebt, wird der Quadratmeter in Privatwohnungen 30 bis 40 Cent günstiger
KOMPETENZ: Was folgt daraus politisch? Sollte man den Anteil gemeinnütziger Wohnungen so weit wie möglich erhöhen?
Michael Klien: Ich möchte die Studie nicht so verstanden wissen, dass private Bautätigkeit oder private Vermietung per se schlecht wäre. Angebotsseitige Politik im Wohnbau ist notwendig, vor allem vor dem Hintergrund des starken Bevölkerungswachstums der letzten Jahrzehnte. Hohe Nachfrage und ein geringes Angebot ermöglicht es Vermieter:innen, hohe Aufschläge auf die Kostendeckung zu verlangen. Das heißt, wenn wir auf der Angebotsseite nichts tun, wird sich das Problem nicht lösen. Wir müssen froh sein, dass die Bautätigkeit in Wien, in Graz und in vielen anderen Regionen Österreichs stark war, um diese Nachfrage abdecken zu können. Was noch schlimmer wäre als teure Privatwohnungen wären gar keine Wohnungen.
Aber jetzt, wo der Bauboom im Privatsektor vorbei ist, ist es wohnungspolitisch sinnvoll, wenn die Bautätigkeit fortgesetzt wird. Und die Gemeinnützigen würden sich dafür aus verschiedensten Gründen anbieten.
KOMPETENZ: Inwiefern?
Die Mieten sind zuletzt stark gestiegen. Um hier Entspannung reinzubringen, muss weiter gebaut werden. Private werden das wegen der hohen Bau- und Finanzierungskosten derzeit kaum machen, da winken keine Profite. Wenn die Länder gemeinnützigen Wohnbau jetzt fördern, stabilisiert das einerseits die Bauwirtschaft und bietet andererseits die Möglichkeit, Mieten zu senken. Bei den Gemeinnützigen hätten wir eine doppelte Dividende: Wir können das Angebot erweitern und zusätzlich die Preise im Privatsektor dämpfen.
KOMPETENZ: Das heißt, für eine erfolgreiche Wohnbaupolitik braucht es eine ausgewogene Balance zwischen privat und gemeinnützig?
Michael Klien: Den Wohnungsmangel können die Gemeinnützigen alleine oder der kommunale Wohnungsbau in der Geschwindigkeit nicht schaffen. Das ist langfristig ihr Vorteil, dass sie nicht so stark auf Marktreize reagieren und ihre Preise stabiler sind. Aber wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung beispielsweise in Wien anschaut oder auch in anderen urbanen Regionen, das hätten die Gemeinnützigen oder der kommunale Wohnbau nicht stemmen können. Es war gut, dass Private Profite gesehen haben und aktiv geworden sind. Es war gut, dass es in dieser Nachfragesituation viel privaten Wohnungsbau gegeben hat. Aber wenn sich jetzt die Marktanteile wieder hin zu den Gemeinnützigen verschieben, trägt das zur Stabilisierung der Mieten und dem Wohnungsmarkt insgesamt bei.
KOMPETENZ: Mit Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Lage am Wohnungsmarkt Ihrer Meinung nach entwickeln?
Michael Klien: Wir sehen anhand aktueller Zahlen, dass der Wohnungsbau sehr stark zurückgeht. Das hat sich schon vor Corona angedeutet. Das Jahr 2019 war in Sachen Baubewilligung die Spitze, derzeit sind viel weniger Neubauten geplant. Das heißt, es wird in den nächsten Jahren weniger neue Privatwohnungen auf dem Markt geben. Für Private ist die Situation gerade sehr unattraktiv: Die Baukosten, die Zinssätze und Finanzierungskosten sind enorm hoch. Die Kreditvergaben sind eingebrochen. Bei den Gemeinnützigen erwarten wir eine stabilere Entwicklung, aber auch hier wird weniger gebaut werden. Wichtig wäre hier eine entsprechende Wohnbauförderung durch die Länder. Günstige Darlehen sind die einzige Möglichkeit, wie gemeinnütziger Wohnbau weiter forciert werden kann.
Aber meiner Meinung nach sind die Länder hier auf einem guten Weg. Wird mehr gemeinnützig und wenig privat gebaut, bedeutet das, dass sich der Anteil des gemeinnützigen Wohnbaus im Vergleich zu den Privaten erhöhen wird. Wovon, wie gesagt, alle Mieter:innen profitieren könnten.
ZUR PERSON:
Michael Klien, 40, ist Senior Economist am Institut für Wirtschaftsforschung Wifo. Im Mai 2023 veröffentlichte er mit Peter Huber, Peter Reschenhofer (WIFO), Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald und Gerald Kössl die Studie „Die preisdämpfende Wirkung des gemeinnützigen Wohnbaus“.