Mehr Fachkräfte in die Betriebe

Foto: Edgar Ketzer

GPA-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher will dem Fachkräftemangel in allen Wirtschaftsbereichen durch mehr Frauen in technischen Berufen, einer attraktiveren Lehrlingsausbildung sowie durch gezielte Zuwanderung gegensteuern. Eine Qualifizierungsoffensive für Hilfskräfte und beim Jobwechsel sieht er als wichtigen Akzent.

KOMPETENZ: Warum finden Industriebetriebe zu wenige Fachkräfte?

DÜRTSCHER: Wir haben nicht nur einen Mangel an Fachkräften, aktuell manifestiert sich in allen Wirtschaftsbereichen zunehmend ein akuter Mangel an Arbeitskräften. Um gegenzusteuern muss an mehreren Schrauben gedreht werden: Es müssen mehr qualifizierte Fachkräfte ins Land kommen, die dann auch rasch entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden dürfen. Umschulungen, Qualifizierungsoffensiven und eine verstärkte Lehrlingsausbildung können ebenso zur Verbesserung der Situation beitragen, wie mehr weibliche Fachkräfte.

„Wir müssen an vielen Schrauben drehen, wenn wir mehr Fachkräfte in die Betriebe holen wollen.“

Karl Dürtscher

KOMPETENZ: Unter welchen Bedingungen sollen Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Österreich kommen?

DÜRTSCHER: Wir dürfen keine Festung sein, sondern offen für gezielte Zuwanderung. Aktuell werden in fast allen Sektoren Fachkräfte gesucht. Wenn wir nicht bald mehr Qualifizierte aus dem Ausland hereinlassen, können wir den Betrieben beim Abwandern zusehen.

Wir haben wichtige Produktionsstätten mit toller Infrastruktur und guten Arbeitsbedingungen im Land, um sie zu halten brauchen wir dringend Fachkräfte aus dem Ausland. Da geht es auch um unsere Soziale Sicherheit, denn die Abwanderung wichtiger Betriebe wäre ein Verlust für den Sozialstaat – uns würden Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge fehlen.

KOMPETENZ: In welchen Branchen werden Fachkräfte besonders dringend gebraucht?

DÜRTSCHER: Es wäre sinnvoll, gewisse Produktionen wieder in Europa verfügbar zu machen. Die Lieferkettenstörungen während der Covid-19 Pandemie haben gezeigt, dass Abhängigkeiten abgebaut werden müssen. Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte z.B. für die chemische Industrie, die Pharmabranche oder Zukunftstechnologien wie Mechatronik ebenso wie in der Pflege.

KOMPETENZ: Wie schaffen wir es, dass die Fachkräfte zu uns kommen?

DÜRTSCHER: Es gibt einen weltweiten Wettbewerb um diese Fachleute. Neben Österreich treten viele andere Staaten als Nachfrager auf. Wir müssen wertschätzender und zuvorkommender sein und bessere Bedingungen bieten, als andere. Die Menschen werden am Ende des Tages dorthin gehen, wo sie die besten Arbeits- und Lebensumstände vorfinden und sich wohlfühlen. Dafür brauchen wir eine Kulturänderung – von der generellen Ablehnung der Zuwanderung hin zu einem respektvollen Willkommen.

KOMPETENZ: Brauchen wir Fachkräfte aus bestimmten Ländern?

DÜRTSCHER: Nein, gerade in der Pflege werden derzeit viele Fachkräfte in Südamerika, Asien und auch Afrika gesucht. Ich weiß von gezielten Anwerbeaktivitäten z.B. in Nigeria.

KOMPETENZ: Wie wollen Sie verhindern, dass ausländische Arbeitskräfte bei uns zu Dumpingpreisen arbeiten (müssen)?

Es ist die Aufgabe der Politik, für entsprechende Rahmenbedingungen einer kontrollierten Aufnahme zu sorgen. Das AMS muss diese Linie dann ebenso mittragen wie Länder, Gemeinden und letztlich die Bevölkerung. Um Lohndumping zu verhindern, müssen wir die Fachkräfte aus der Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit holen und mit ordentlichen Mindestlöhnen und -gehältern in den Kollektivverträgen absichern.

„Der akute Arbeitskräftemangel manifestiert sich zunehmend in allen Wirtschaftsbereichen.“

Karl Dürtscher

KOMPETENZ: Wo gibt es dabei Probleme?

DÜRTSCHER: Wir müssen an einigen Stellschrauben drehen, um die Not am Arbeitsmarkt rasch zu lindern: Nostrifizierungen sollten einfacher, Verfahren bis zur Arbeitsbewilligung kürzer werden. Es ist nicht mein Zugang, arbeitswillige Menschen monatelang auf den nächsten Gesprächstermin bei Behörden warten zu lassen. In dieser Zeit könnten sie Deutsch lernen, sich wertgeschätzt fühlen und beginnen sich zu integrieren.

Wir brauchen vor allem rasche Klarheit, ob jemand im Land bleiben und arbeiten darf – das kann nur durch Verfahren gelingen, die schnell abklären, ob die Voraussetzungen vorliegen. Die rasche Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse würde garantieren, dass die Menschen auch gemäß ihren Qualifikationen beschäftigt werden können.

KOMPETENZ: Wo bekommen wir weitere Fachkräfte her?

DÜRTSCHER: Auch im Inland sehe ich großes Potential, wenn es gelingt, mehr Frauen in den Arbeitsprozess zu bringen und für technische Berufe zu begeistern. Dazu braucht es in erster Linie ein verlässliches Angebot einer hochwertigen Kinderbetreuung. Da haben wir aktuell ein extremes Defizit. Neben den Kinderbildungseinrichtungen muss auch die Nachmittagsbetreuung ausgebaut und aufgewertet werden.

KOMPETENZ: Wie können Betriebe für Fachkräfte attraktiver werden?

DÜRTSCHER: Der Arbeitsmarkt ist in den letzten Jahren von einem Angebotsmarkt zu einem Nachfragemarkt geworden. Weil sich Beschäftigte zunehmend aussuchen können, wo sie arbeiten möchten, befinden sich die Arbeitgeber:innen in einer Art Beauty-Contest: Sie müssen versuchen attraktiver zu werden, um Arbeitskräfte zu gewinnen. Dazu ist es notwendig, Qualifizierungen auf unterschiedlichen Ebenen anzubieten.

„Wir müssen die Beschäftigten immer besser qualifizieren.“

Karl Dürtscher

In Österreich gibt es sehr viele Menschen, die einen Beruf gelernt, diesen aber formell nicht abgeschlossen haben. Das ist ein Problem für den Arbeitsmarkt, denn wenn diese Leute ihr angestammtes Arbeitsverhältnis verlieren, müssen sie in einem anderen Betrieb oft als Hilfskräfte werken, weil sie formal gesehen nicht über die notwendige Qualifikation als Fachkraft verfügen.

Darum fordern wir einerseits in den Kollektivvertrags-Verhandlungen ein Modell, mit dem Lehrabschlüsse leicht nachholbar sind und andererseits die Beschäftigten weiter zu qualifizieren. Es gibt da bereits Initiativen einzelner Arbeitgeberverbände. Aktuell gibt dafür aber keinen Überbau, eine Art Gesamtkoordination und -regelung wäre hier nötig.

KOMPETENZ: In welchen Sparten braucht es zusätzliche Qualifizierungen am dringendsten?

DÜRTSCHER: Überall dort, wo Transformationsprozesse anstehen, beispielsweise bei der Umstellung auf alternative Energieformen und Antriebssysteme, gibt es eine große Notwendigkeit, sich neu zu orientieren. Dort entstehen ständig neue Problemstellungen und Aufgabengebiete, die Netze müssen funktionieren, neue Technologien tun sich auf. Da muss man die Mitarbeiter:innen mitnehmen, indem sie weiter ausbildet und für diese Herausforderungen qualifiziert werden. Auch die Künstliche Intelligenz wird eine echte Herausforderung werden.

KOMPETENZ: Welche Rolle spielt die Ausbildung von Lehrlingen?

DÜRTSCHER: Wir müssen in der Berufsbildung kräftig aufholen, möglichst viele Betriebe sollen Verantwortung für die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte übernehmen und junge Menschen für einen Lehrberuf begeistern. Die Lehre ist keine Sackgasse, sondern die Ausgangsbasis für verschiedene berufliche Perspektiven. Zertifizierungen und eine Gleichstellung mit anderen Ausbildungen würden eine weitere Aufwertung bedeuten. Daran gilt es zu arbeiten.

Scroll to top