Das Berufsförderungsinstitut (BFI), die Erwachsenenbildungseinrichtung von ÖGB und AK, bietet Arbeitnehmer:innen ein dichtes Netz an Kursen und auch längeren Aus- und Weiterbildungen, damit sie ihren Platz am Arbeitsmarkt finden oder behalten. Die Rahmenbedingungen könnten allerdings besser sein.
Die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern, vor allem über das Arbeitsmarktservice (AMS), macht die Planbarkeit oft schwierig. Die KOMPETENZ sprach mit den beiden Aufsichtsratsmitgliedern des BFI Wien, Agnes Streissler-Führer und Bettina Wucherer.
KOMPETENZ: Das BFI wurde 1959 gegründet und basiert auf den bereits zuvor bestehenden Um- und Nachschulungswerkstätten des ÖGB. Heute umfasst das Angebot mehrere Säulen. Das reicht von Weiterbildungen über Umschulungen bis zum Nachholen von Bildungsabschlüssen, Erstausbildungen in Schulen, überbetrieblicher Lehre und Fachhochschul-Studiengängen, aber auch Integration sowohl von Menschen mit Beeinträchtigungen als auch von Migrant:innen und Geflüchteten. Was ist dabei das durchgängige Leitprinzip des BFI?
Agnes Streissler-Führer: Seit seiner Gründung durch die Gewerkschaften geht es dem BFI um die Ermächtigung der Arbeitnehmer:innen. Im BFI Wien zählt nicht, wo jemand herkommt, sondern wo jemand realistischerweise hin will. Wichtig ist in der Erwachsenenbildung auch, dass man selber die Steuerungsfunktion hat. Menschen sind keine austauschbare Ressource und Menschen werden im BFI nicht als Humankapital gesehen. Es geht darum, dass Menschen ihre eigene Berufslaufbahn und damit ihr eigenes Leben gestalten können. In einer sich laufend verändernden Welt heißt das, wir brauchen sehr flexible Bildungswege, die diese individuellen Berufslaufbahnen unterstützen.
„In der Erwachsenenbildung geht es darum, dass Menschen ihre eigene Berufslaufbahn und damit ihr eigenes Leben gestalten können.“
Agnes Streissler-Führer
KOMPETENZ: Das BFI ist gemeinsam mit anderen Anbieter:innen im Bereich Erwachsenenbildung ein wichtiger Player in der Arbeitsmarktpolitik und im Bemühen, möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu bringen. Welche Meilensteine gab es hier in den vergangenen Jahren?
Bettina Wucherer: Ein Meilenstein ist die Gründung einer Fachhochschule, ein anderer, dass das BFI Wien eine eigene Handelsakademie und Handelsschule hat. Die Schulen des BFI Wien sind mir ein großes Herzensanliegen, weil verstärkt Jugendliche mit Migrationshintergrund mit innovativen Ideen beim Unterricht abgeholt werden. Hier zeigt das BFI Wien, dass es auch um junge Menschen geht und sie Bildung unabhängig von der Herkunft und dem Einkommen der Eltern verdienen. Ein weiterer Meilenstein ist, dass wir dazu beitragen, Facharbeiter:innen auszubilden. Aber auch das Thema künstliche Intelligenz und ChatGPT bewegt uns und da hat das BFI Wien die Zeichen der Zeit erkannt. Wichtig ist, sich darauf einzulassen und sich nicht überrollen zu lassen, sodass andere Player das Thema in die Hand nehmen.
KOMPETENZ: Wie schnell kann das BFI neue Bildungsinhalte erstellen und anbieten?
Agnes Streissler-Führer: Wir sind jedes Mal wieder überrascht, wie schnell das BFI-Team reagiert. Gerade bei ChatGPT tappten noch viele Unternehmen im Dunkeln, da hatte das BFI Wien bereits Angebote, wie man damit richtig umgeht und wie man es bestmöglich für den Job nutzen kann.
Mir ist noch ein weiterer Meilenstein wichtig: das Kooperationsprojekt Öko-Booster von BFI Wien, AK, AMS und Waff. Die Teilnehmer:innen werden zu Fachkräften in klimaschutzrelevanten Bereichen, wie etwa Elektrotechnik, ausgebildet. Das Besondere ist, dass diese Ausbildung bilingual funktioniert, und zwar sowohl auf Arabisch und Deutsch als auch auf Farsi/Dari und Deutsch. Wichtig ist auch, dass die Lehrkräfte selbst ebenfalls zweisprachig sind.
KOMPETENZ: Welche Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen bräuchte das BFI seitens der Politik, um hier dem Auftrag im Sinn der Arbeitnehmer:innen beziehungsweise potenziellen Arbeitnehmer:innen noch besser nachkommen zu können? Was wünschen Sie sich da?
Die Politik muss, nicht zuletzt auch auf Grund des Fachkräftemangels, den Rahmen schaffen, sich im Job oder auch neben dem Job weiterbilden zu können.
Bettina Wucherer
Bettina Wucherer: Dass die Erwachsenenbildung einen höheren Stellenwert im Arbeitsleben bekommt. Wir hören von Seite der Wirtschaft, dass sich Arbeitnehmer:innen weiterbilden müssen, dass man neuen Ideen gegenüber offen sein müsse, dass es aber an Flexibilität fehle. Wir merken allerdings, dass in vielen Unternehmen die Personaldecke sehr dünn ist, zum Teil gewollt, zum Teil ungewollt. Die Politik muss, nicht zuletzt auch auf Grund des Fachkräftemangels, den Rahmen schaffen, sich im Job oder auch neben dem Job weiterbilden zu können. Wir merken auch als BFI Wien, wenn wir Angebote vorlegen, dann heißt es seitens der Arbeitgeber:innen, dass es während der Arbeit keine Zeit für Weiterbildung gibt.
Agnes Streissler-Führer: Da geht es einerseits um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Da geht es aber auch um eine ausreichende Finanzierung. Trainer:innen in der Erwachsenenbildung müssen besser bezahlt werden – das fordert nicht nur das BFI. Erwachsenenbildungseinrichtungen sind sehr stark abhängig von öffentlichen Beauftragungen. Da ist es dann jedes Jahr eine Zitterpartie, bis die Budgets seitens der öffentlichen Hand genehmigt werden. Das ist also ein Hanteln von Jahr zu Jahr, sodass Planungen sehr schwierig sind.
KOMPETENZ: Unter den von Ihnen genannten Meilensteinen des BFI ist die HAK in Wien. Wie unterscheidet sich diese Handelsakademie von anderen solchen Schulen?
Bettina Wucherer: Bosnisch/Kroatisch/Serbisch ist an dieser HAK vollwertige Maturasprache. Mir ist es ein großes Anliegen, dass wir alle Jugendlichen abholen und mitnehmen. Ich glaube, hier sieht man wirklich gelebte Integration. Hier wird Mehrsprachigkeit nicht als Handicap, sondern als Bonus gesehen, den die Jugendlichen mitbringen. Darüber hinaus gibt es viel Projektunterricht, manche Projekte sind auch klassenübergreifend organisiert. Wichtig ist, dabei die Lust am Lernen zu fördern.
KOMPETENZ: Seit 2016 ist das BFI auch stark engagiert im Bereich Deutschunterricht und Qualifizierungen für Geflüchtete. Nun sind wir im Jahr 2024. Wenn Sie hier Bilanz ziehen: Was ist gut gelungen? Und wo bräuchte es noch verstärkte Anstrengungen?
Agnes Streissler-Führer: Gut ist das Angebot, das hier vom BFI aufgebaut wurde. Schwierig sind die Rahmenbedingungen. Die Planungszeiträume seitens der öffentlichen Hand sind zu kurzfristig. Wenn ich ein Projekt für ein Jahre bekomme und im nächsten Jahr wird es nicht verlängert, dann muss ich Trainer:innen zunächst aufnehmen, die ich dann nach einem Jahr wieder abbauen muss. Das ist eine große Problematik. Besonders gut funktionieren die Projekte, bei denen wie bei Öko-Booster, Spracherwerb und der Erwerb anderer Qualifikationen miteinander gekoppelt werden. Das ist für mich gelebte Integration in der Bildungspolitik.
KOMPETENZ: Ein Wandel, der bereits seit geraumer Zeit alle Branchen und auch viele Jobs beziehungsweise Arbeitnehmer:innen betrifft, ist die Digitalisierung. Aber auch Künstliche Intelligenz wird immer stärker ein Thema. Was bietet das BFI hier an?
Agnes Streissler-Führer: Die digitalen Angebote sind in den vergangenen Jahren vom BFI Wien massiv ausgeweitet worden. Das eine betrifft einerseits die Methodik – im Zug der Pandemie habe wir sehr rasch Online-Angebote und E-Learning-Angebote aufgestellt. Das andere ist das Vermitteln digitaler Kompetenzen. Stolz sind wir hier zum Beispiel darauf, dass es seit 2022 den Coders.Bay gibt, hier werden Kurzausbildungen für Softwareentwicklung und Netzwerktechnik angeboten, unter den Teilnehmer:innen sind viele junge Frauen.
KOMPETENZ: Die Digitalisierung ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich viele Arbeitnehmer:innen immer wieder weiterbilden werden müssen. Stichwort Halbwertszeit von Ausbildungsinhalten: Was hat sich hier verändert?
Bettina Wucherer: Ohne lebenslanges Lernen wird es nicht mehr gehen. Was hier die Künstliche Intelligenz betrifft, gehen wir davon aus, dass nicht ganze Berufsbilder dadurch wegfallen werden, aber Teile der einzelnen Berufsbilder. Dafür werden neue Teile hinzukommen. Daher wird man sich hier neu bilden müssen. Daher wird auch seitens der Arbeitgeber:innen viel mehr begleitendes Lernen notwendig sein. Die Arbeitgeber:innen werden sich die Ressourcen dafür extern holen müssen, wie eben zum Beispiel von Erwachsenenbildungs-Anbieter:innen.
„Was hier die Künstliche Intelligenz betrifft, gehen wir davon aus, dass nicht ganze Berufsbilder dadurch wegfallen werden, aber Teile der einzelnen Berufsbilder.“
Bettina Wucherer
Agnes Streissler-Führer: Gewerkschaftliche Bildung hat immer dieses gesamtheitliche Konzept gehabt. Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass es oft um Schulungen geht, mit denen Menschen fit für die Systeme gemacht werden sollen, die zum Einsatz kommen. Unser Zugang ist, dass wir hier wieder breiter denken müssen. Menschen müssen gebildet werden, um mit den Systemen auch umgehen zu können, um sie reflektieren und weiterentwickeln zu können. Insofern ist für uns der Unterschied zwischen reiner Schulung und gesamtheitlicher Bildung ein ganz wichtiger.
KOMPETENZ: Weitergedacht hieße das, dass nicht Menschen für Systeme fit gemacht werden sollten, sondern überlegt werden, wie Systeme gestaltet werden müssen, dass sie für die Menschen gut funktionieren.
Agnes Streissler-Führer: Das ist für eine einzelne Institution wie das BFI vielleicht ein zu hoher Anspruch. Grundsätzlich ist es jedoch genau unsere Auffassung, dass aus der Perspektive eines konsequenten digitalen Humanismus Initiativen mit dem Ziel, Menschen fit für das Internet zu machen, eigentlich absurd sind. Wir sollten das auf den Kopf stellen und sagen, es sollte das Internet oder die digitale Technologie fit für den Menschen gemacht werden. Ein Beispiel: Wir haben nicht den Menschen fit für den Spaten gemacht, sondern wir haben auf den Spaten einen brauchbaren Griff und eine Trittkante montiert, damit der Spaten fit für den Menschen ist. Warum geht das bei einer so einfachen Technologie, aber bei der angeblich so großen künstlichen Intelligenz soll das nicht möglich sein? Für den einzelnen Bildungsanbieter ist das allerdings schwierig umzusetzen.
KOMPETENZ: Welche Verantwortung kommt den Arbeitgeber:innen beim Thema Weiterbildung zu?
Bettina Wucherer: Arbeitgeber:innen müssen erkennen, dass es fix und fertige Arbeitnehmer:innen nicht gibt. Man muss in die Menschen investieren. Angesichts der Arbeitszeitverdichtung, die sich auch durch die Digitalisierung ergibt, müssen wir außerdem mehr in soft skills ausbilden.
Agnes Streissler-Führer: Und es kann auch sein, dass bei Menschen, die in ein Unternehmen kommen, nicht nur das Fachwissen noch nicht gefestigt ist, sondern vielleicht auch die soziale Kompetenz noch nicht gefestigt ist. Da müssen sich die Unternehmen ihrerseits auch an den Wandel am Arbeitsmarkt anpassen. Sie können nicht erwarten, dass das Schulsystem ihnen perfekt ausgebildete Fachkräfte liefert, die sie dann eins zu eins im Betrieb einsetzen können.
KOMPETENZ: Wie kann hier ein Bewusstseinswandel gelingen, dass es im Arbeitsleben immer stärker um Fähigkeiten und Fertigkeiten und weniger um Faktenwissen gehen wird und was kann das BFI hier beitragen?
Agnes Streissler-Führer: Dieser Bewusstseinswandel ist nicht nur im BFI, sondern in der gesamten Erwachsenenbildung angekommen. Anders ist das in der Schule. Dort werden Kinder nach wie vor darauf trainiert, für Prüfungen zu büffeln. Wir müssen also an Schulen für diesen Bewusstseinswandel sorgen, auch schon an Volksschulen.
Bettina Wucherer: Ich glaube zudem, dass wir da auch noch in vielen Studienrichtungen, vor allem an Universitäten, für ein entsprechendes Bewusstsein sorgen müssen. Fachhochschulen sind da innovativer. In der Schule wünsche ich mir, dass die Lust am Lernen stärker vermittelt wird.
Agnes Streissler-Führer, geb. 1968 in Wien, Studium der Geschichte und der Volkswirtschaft an der Universität Wien. Danach 15 Jahre in der AK Wien tätig, danach acht Jahre selbstständige Unternehmensberaterin. Seit 2017 in der Gewerkschaft GPA, seit 2018 stellvertretende Bundesgeschäftsführerin. Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrats des BFI, Kammerrätin der AK Wien.
Bettina Wucherer, geb. 1970 in Klagenfurt, Jus-Studium an der Universität Wien. Seit April 2003 in der Gewerkschaft GPA zunächst im Bereich Rechtsschutz, seit 2018 stellvertretende Geschäftsführerin der Landesstelle Wien. Mitglied im Aufsichtsrat des BFI, Kammerrätin in der AK Wien.
Das BFI Wien in Zahlen
Das BFI Wien bietet fast 5.000 Bildungsveranstaltungen pro Jahr, zehn bis 15 Prozent davon online. Jährlich nehmen mehr als 35.000 Menschen an den verschiedenen Bildungsangeboten teil, 25.000 davon in öffentlich finanzierten Kursen. Schwerpunkte im Berufsausbildungszentrum des BFI Wien sind neben der Facharbeiter:innenintensivausbildung und der Überbetrieblichen Lehrausbildung die Berufsorientierung und Basisbildung (mit über 3.500 Teilnehmer:innen im Jahr 2023). Als Gewerkschaftsmitglied gibt es auf die Kurse im BFI Wien einen Rabatt von 30 Euro.