Statt mit direkten Anweisungen erfolgt die Steuerung in vielen Unternehmen heute über Zielvereinbarungen. Das soll Kreativität und Motivation erhöhen. Tatsächlich kommt es häufig zu erhöhtem Leistungsdruck und längeren Arbeitszeiten.
Die Idee der indirekten Steuerung im Unternehmen entstand ursprünglich im Silikon Valley der 1970er-Jahre. Die Beschäftigten entwickelten dort Organisationsformen, die ihnen ermöglichten längerfristig und erfolgreich gemeinsam an technischen Innovationen zu arbeiten. UnternehmensberaterInnen untersuchten diese neuen Organisationsformen und versuchten sie auf andere Unternehmen umzulegen und so „an das Gold in den Köpfen der Beschäftigten“ heran zu kommen, also ihr Wissen und ihre Kreativität optimal zu nutzen. Seit den 1990er-Jahren hat sich diese Form der Arbeitsorganisation überall durchgesetzt. Dass das Konzept durchaus erfolgreich ist, zeigt sich an der steigenden Arbeitsproduktivität. Diese stieg in den 20 Jahren von 1995 bis 2015 um nahezu 16 Prozent. Die Produktivität pro Stunde stieg im gleichen Zeitraum sogar um 25 Prozent.
Die indirekte Steuerung über vereinbarte Ziele hat jedoch auch Schattenseiten. Zielvereinbarungen für einzelne MitabeiterInnen, Unternehmensteile oder Teams werden mit hohen Anforderungen, engen Budgetvorgaben und einer immer strikteren Kontrolle verknüpft. Scheinbar steigt dadurch die Partizipation und Mitbestimmung. De facto kommt es aber zu einer Individualisierung der Verantwortung. Managementaufgaben werden auf die Beschäftigten abgewälzt. Diese stehen ständig unter Druck, sich zu bewähren und notfalls auch mit Ellbogentechnik durchzusetzen.
Beispiel IT-Unternehmen
In einem IT-Unternehmen wurde die Abteilung für die Schulung der MitarbeiterInnen zu einem selbstständigen Unternehmensteil gemacht, die Führungskräfte wurden entfernt und den MitarbeiterInnen selbst überlassen, mit den zugeteilten Mitteln profitabel zu arbeiten. Nach kürzester Zeit schrieb die Abteilung rote Zahlen und die Gruppe trennte sich daraufhin von 2 MitarbeiterInnen. Der Rest wurde schließlich wieder ins Unternehmen eingegliedert.
Im Denken der indirekten Steuerung wird Leistung immer mehr als etwas definiert, das am Markt verwertbar sein muss. Trotz zunehmender Digitalisierung werden die Konzepte dafür immer intransparenter und für die Betroffenen nur schwer nachvollziehbar. Das erhöht die Angst vor Jobverlust und die Bereitschaft zur Selbstausbeutung. Denn Unternehmenseinheiten werden nur dann weiter geführt, wenn sie die Gewinnerwartungen erfüllen, die wiederum oft mit der Arbeitsproduktivität nichts zu tun haben. Sie richten sich vielmehr nach den Erwartungen der Shareholder. Die Risiken für den Erfolg oder Misserfolg trägt nicht mehr die Unternehmensführung sondern der/die Beschäftigte. Die Mitsprachemöglichkeiten des Betriebsrats werden dabei häufig umgangen. Viele dieser Entwicklungen bringen wesentliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen mit sich.
Auswirkungen auf die Arbeitszeit
Das scheinbar selbstbestimmte Arbeiten in Teams an gemeinsamen Zielen führt in vielen Fällen zu automatischen Arbeitszeitverlängerungen und dem Zwang ständig erreichbar zu sein. Die Arbeitgeber verzichten häufig auf eine Kontrolle der Arbeitszeiten. Tatsächlich bringt das aber nicht mehr Autonomie. In der Praxis kommt es dadurch in vielen Betrieben zu einem Kontrollverlust über die eigene Arbeitszeit, die sich immer mehr in die Freizeit ausdehnt. Viele BetriebsrätInnen setzen sich daher für eine elektronische Zeiterfassung ein. Dieser kommt eine völlig neue Bedeutung zu. Es geht längst nicht mehr darum, dass die ArbeitgeberInnen kontrollieren, ob die Beschäftigten tatsächlich zum Dienst erscheinen, sondern darum, Beschäftigten und BetriebsrätInnen eine Kontrolle über die geleisteten Arbeitszeiten zurück zu geben.
Beispiel Krankenhaus
In einer Station eines Krankenhauses wurde die Einteilung der Arbeitszeiten vom Team selbstständig organisiert. Von der Krankenhausleitung wurde gleichzeitig ein knapper Personalschlüssel festgelegt und dass die Station 24 Stunden besetzt sein muss. Wurde unter diesen Voraussetzungen ein Teammitglied krank, mussten die anderen Teammitglieder für einen Ersatz sorgen. Für Teammitglieder, die gefragt werden, ob sie einspringen können, ist es so fast unmöglich, sich gegen die „freiwillige“ Arbeitszeitverlängerung zu wehren.
Auswirkungen auf die Bezahlung
Zielvereinbarungen werden häufig mit erfolgsbasierter Bezahlung verknüpft. Das bedeutet, dass zumindest ein Teil des Entgelts von der individuellen Leistung abhängt. Dadurch sollen MitarbeiterInnen zu noch mehr Einsatz motiviert werden. Wie die leistungsorientierte Bezahlung im Einzelfall gestaltet ist, variiert je nach Unternehmen. Neuere Studien zeigen jedoch, dass Leistungslohn nur begrenzt motivieren kann, oft sogar die gegenteilige Wirkung entfaltet.
Zielvereinbarung und Digitalisierung
Vor allem in großen internationalen Konzernen werden die Leistungs- und Verhaltensdaten der MitarbeiterInnen immer häufiger zentral abgespeichert und auf Knopfdruck zugänglich gemacht. Oft ist für die Beschäftigten unklar, wer auf die Daten zugreifen kann und was damit passiert. Dadurch werden auch wesentliche datenschutzrechtliche Fragen aufgeworfen.
Zielvereinbarungen und Mitbestimmung
Immer wieder kommt es vor, dass in Unternehmen Zielvereinbarungen eingeführt werden und die Geschäftsführung der Ansicht ist, der Betriebsrat müsse nicht unbedingt einbezogen werden. Diese Behauptung ist jedoch falsch. Grundsätzlich geht den Betriebsrat alles etwas an, das im Unternehmen geschieht. Konkret hat der Betriebsrat aufgrund der Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes das Recht sich eingehend über die Art und Weise des Zielvereinbarungssystems zu informieren und muss vom Betriebsinhaber zu Beratung beigezogen werden. Die Vorschläge des Betriebsrats müssen angehört werden.
Broschüre Zielvereinbarungen
Wer mehr über Zielvereinbarungssysteme und die damit verbundenen Probleme und Mitgestaltungsmöglichkeiten des Betriebsrats nachlesen möchte, dem sei die Broschüre „Zielvereinbarungen – Marktorientierte Steuerung im Betrieb“ der GPA-djp ans Herz gelegt. Mitglieder können die Broschüre kostenlos auf der GPA-djp-Website herunter laden.
Die Gewerkschaft GPA hilft
GPA-Mitgliedern steht ein vielfältiges Beratungsangebot zu arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Nicht-Mitglieder können unter 050301-301 eine kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.