Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich nach mehr als vier Verhandlungstagen am 21. Juli auf ein insgesamt 1,8 Billionen schweres Wirtschafts- und Haushaltspaket geeinigt.
Davon entfallen 1.074 Mrd. Euro auf den Haushaltsrahmen der EU (Mehrjähriger Finanzrahmen) 2021-2017 sowie 750 Mrd. Euro auf den Recovery Plan „Next Generation EU“ (NGEU), der die europäische Wirtschaft nach der schlimmsten ökonomischen Krise seit den 1930-er Jahren wieder in Fahrt bringen soll.
Nach den äußerst zähen und langwierigen Verhandlungen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs muss nun noch das Europäische Parlament diesem Finanzpaket zustimmen.
Österreichs Kanzler Kurz hat sich lange vor Beginn der Verhandlungen bereits im Bunde der sogenannten „geizigen Vier“, gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden und Schweden (später dann noch um Finnland erweitert), gegen die dringend benötigten direkten Zuschüsse für die Mitgliedstaaten ausgesprochen. Er konnte seine Verhandlungsposition auf europäischer Ebene jedoch nicht durchsetzen.
Zuschüsse sollen in nationale Projekte zur Widerbelebung der Wirtschaft fließen
Um die Herausforderungen für die europäische Wirtschaft, die durch die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie entstanden sind, bewältigen zu können, wird die EU-Kommission erstmals in der Geschichte ermächtigt, Finanzmittel auf den Kapitalmärkten aufzunehmen. Insgesamt 750 Mrd. Euro sollen lukriert und vor allem in die von der Krise besonders betroffenen Staaten fließen. Davon werden 390 Mrd. als direkte Zuschüsse und 360 Mrd. als Darlehen vergeben.
Der Verteilungsschlüssel für diese Mittel wird anhand des nationalen Einbruches des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festgelegt. 30% davon sollen jedenfalls in Maßnahmen zum Klimaschutz fließen. Die Zuschüsse werden in Übereinstimmung mit dem Recovery Plan „Next Generation EU“ (NGEU) in Programme des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU (MFR) geleitet. Die Rückzahlung dieser Kredite soll bis 2058, teilweise durch neue Eigenmittel finanziert, erfolgen.
Der Löwenanteil (312,5 Mrd. Euro) der Zuschüsse wird über ein neues EU-Programm verteilt, welches staatliche Investitionen und Reformen unterstützt. Die Mitgliedstaaten sollen dazu Pläne mit förderwürdigen Projekten für die Jahre 2021-2023 aufstellen. Die EU-Kommission wird daraufhin die Vereinbarkeit dieser Projekte mit den nationalen und europäischen Zielen überprüfen und der Rat soll dann mit qualifizierter Mehrheit über eine Förderwürdigkeit entscheiden.
Zu den Kriterien für eine positive Bewertung zählen unter anderem die Stärkung des Wachstumspotenzials, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Erhöhung der wirtschaftlichen und sozialen Widerstandsfähigkeit des jeweiligen Landes. Darüber hinaus muss jedoch auch eine Übereinstimmung mit den länderspezifischen Empfehlungen gegeben sein. Dies könnte problematisch werden, da einige dieser Empfehlungen neoliberale Strukturreformen enthalten.
Sollten ein oder mehrere Mitgliedstaat/en der Ansicht sein, dass schwerwiegende Abweichungen von einer zufriedenstellenden Erfüllung eines Projektes vorliegen, kann der Präsident des europäischen Rates ersucht werden, die Thematik an die nächste Sitzung der Staats- und Regierungschefs zu verweisen. Die finale Entscheidung, ob ein Projekt weitergeführt wird oder nicht, trifft in letzter Konsequenz aber dennoch die EU-Kommission. Hierbei konnten sich die „geizigen Vier“ mit ihrer Forderung nach einem umfassenden Vetorecht, wenn ein gefördertes Projekt nicht ihren erklärten Zielen entspricht, nicht wirklich durchsetzen.
Keinen verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus festgelegt
Ungarn und Polen hatten sich bereits lange vor diesem Gipfel gegen die Koppelung von EU-Mitteln an Rechtsstaatlichkeitskriterien ausgesprochen. In mehreren Vorschlägen rund um den Recovery Plan sowie den künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) war jedoch ein solcher Rechtsstaatsmechanismus vorgesehen. Die Staats- und Regierungschefs verständigten sich beim EU-Gipfel lediglich auf einen Arbeitsauftrag dazu, was jedenfalls als trauriger Erfolg für Ungarn und Polen gewertet werden muss. Es soll zwar grundsätzlich zu Auflagen kommen, wenn es um die Inanspruchnahme von Mitteln aus dem EU-Budget bzw. dem NGEU geht, die an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit gekoppelt sind, wie diese jedoch konkret aussehen sollen, wurde nicht weiter ausgeführt. Mögliche Sanktionen in diesem Zusammenhang gegen einzelne Mitgliedstaaten würden außerdem eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat der Regierungen benötigen. Dass das gelingt, ist nur schwer vorstellbar, denn dazu wären 55% der EU-Staaten mit 65% der Gesamtbevölkerung nötig.
In den lapidaren Schlussfolgerungen ist zum Rechtsstaatlichkeitsmechanismus folgendes festgehalten: „Der Europäische Rat hat die Bedeutung und den Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit unterstrichen“ und „Der Europäische Rat wird rasch auf das Thema zurückkommen“. Es wurden also keinerlei verbindliche Rechtsstaatsmechanismen festgelegt.
Kanzler Kurz‘ Position verringert Österreichs Zuschüsse vom Recovery Plan um 400 Millionen Euro
Österreichs Kanzler Kurz hat sich bereits vor Beginn der Verhandlungen im Bunde der sogenannten „geizigen Vier“, gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden und Schweden (später dann noch um Finnland erweitert), lediglich für Kreditvergaben und gegen direkte Zuschüsse für die Mitgliedstaaten ausgesprochen. Diese Positionierung ist insofern nicht zielführend, weil die Mitgliedstaaten ja bereits jetzt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) die Möglichkeit haben, Kredite in Höhe von insgesamt 240 Mrd. Euro abzurufen. Von weitaus größerer Bedeutung sind deshalb die direkten Zuschüsse, die an die Mitgliedstaaten vergeben werden.
Im ursprünglich von der EU-Kommission vorgelegten Recovery Plan waren Zuschüsse für die Mitgliedstaaten in Höhe von 500 Millionen Euro vorgesehen. Der Widerstand der „geizigen Vier“ hat jedoch zu einer Reduzierung dieser Mittel geführt. Obwohl es dieser Staatengruppe bedauerlicherweise gelungen ist, den Umfang der Zuschüsse von ursprünglich 500 auf 390 Milliarden Euro zu verringern, konnten sie ihre abgestimmte Verhandlungsposition, keine direkten Zuschüsse zu ermöglichen, nicht durchsetzen.
Für Österreich wirkt sich die Reduktion des Umfanges der Zuschüsse jedenfalls negativ aus, denn unser Land verliert dadurch Mittel aus dem NGEU in Höhe von 400 Mio. Euro.
Der Rabatt auf die finanziellen Verpflichtungen Österreichs zum EU-Haushalt wurde zwar vervierfacht (von 137 Mio. auf 565 Mio.), in Anbetracht der steigenden Beitragszahlungen von 2,9 auf 5,4 Mrd. Euro ist das aber wenig überraschend.
Wichtige Investitions- und Zukunftsprogramme stark gekürzt
Die Kürzungen bei den direkten Zuschüssen gehen nun zulasten verschiedener Initiativen und Programme des EU-Haushaltes. Darunter fallen allen voran Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz und in die Gesundheitssysteme.
Der „Just Transition Fund“ soll von den geplanten 37,5 auf 17,5 Mrd. gekürzt werden. Das könnte insbesondere die ArbeitnehmerInnen treffen, da dieser Fonds einen gerechten Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ermöglichen soll, worunter auch Umschulungen für Beschäftigte aus betroffenen Industrien fallen sollten. InvestEU, ein Programm um klimafreundliche Investitionen zu ermöglichen, wird von 31 auf 4 Mrd. gekürzt. Der Forschungsfonds Horizon Europe sollte ursprünglich um 13,5 Mrd. erhöht werden, nun sind es lediglich 5 Milliarden zusätzlich. Die Mittel des Studentenaustauschprogrammes Erasmus+ sollen künftig 5 Milliarden weniger betragen, als zu Beginn vorgesehen.
Das EU4Health Programm wird von den geplanten 9,4 Milliarden auf 1,67 Milliarden gekürzt. Das ist vor allem deshalb besonders bedauerlich, weil dieser Fonds die gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise EU-weit koordiniert bekämpfen hätte sollen. Das Militärbudget hingegen wurde deutlich aufgestockt. Der europäische Verteidigungsfonds wird von 575 Mio. auf 7 Mrd. Euro aufgestockt.
Kanzler Kurz poliert sein innenpolitisches Profil auf Kosten von Wirtschaft und Arbeitsplätzen auf
Die exportorientierte österreichische Wirtschaft zählt zu den Top-ProfiteurInnen des EU-Binnenmarktes. Italien ist beispielsweise Österreichs zweitwichtigster Handelspartner. Gewinnen die durch die Krise am stärksten betroffenen Volkswirtschaften in der EU nicht rasch wieder an Fahrt, wird das auch enorme Konsequenzen für die exportorientierten österreichischen Unternehmen haben. Ranghohe ÖVP Europa- oder Wirtschaftspolitiker wie Othmar Karras oder Christoph Leitl erteilten deshalb den Positionen und Plänen des Kanzlers in Bezug auf den Recovery Plan auch öffentlich eine Absage. Kurz‘ Gegenposition im Bunde der „geizigen Vier“ war und ist daher als rein innenpolitisch motivierte Profilierungstaktik unter dem Motto „Unser Geld für unsere Leut‘“ zu werten, die weder wirtschaftlich noch europapolitisch Sinn machen kann.
Neuer Haushaltsrahmen: Mehrjähriger Finanzrahmen der EU 2021-2027 beschlossen
Die Staats- und Regierungschefs haben sich auch auf einen neuen Haushaltsrahmen für die EU mit einem Gesamtvolumen von 1074,3 Milliarden Euro geeinigt. Die Obergrenze für die jährlichen Beiträge der Mitgliedstaaten wurde auf 1,4% des jeweiligen Bruttonationaleinkommens festgelegt und wird in diesem Rahmen jährlich beschlossen.
Neben den direkten Beiträgen durch die Mitgliedstaaten setzt die EU auch auf neue Eigenmittel. Beginnend mit dem 1.1.2021 soll eine Steuer auf nicht-wiederverwertbares Plastik eingeführt werden. Im nächsten Jahr wird die Kommission weitere Vorschläge für Eigenmittel vorlegen. Dazu zählt ein sogenannter „CO2-Ausgleichsmechanismus“ für Importe, um die Verlagerung des CO2-Ausstoßes zu vermeiden. Eine europaweite Digitalsteuer ist ebenfalls vorgesehen und auch die Finanztransaktionssteuer wird in diesem Zusammenhang einmal mehr als mögliche Einnahmequelle erwähnt. Eingeführt werden sollen diese neuen Steuern bis spätestens 1.1.2023. Die EU-Kommission soll darüber hinaus einen überarbeiteten Vorschlag zum Emissionshandelssystem vorlegen und diesen möglicherweise auf den Luft-und Seeverkehr ausdehnen. Die Einnahmen aus den neuen Eigenmitteln sollen für eine frühzeitige Rückzahlung der NGEU Anleihen genutzt werden.
Strukturelle Reform des Mehrjährigen Finanzrahmen der EU verabsäumt
Der EU-Haushalt subventioniert traditionellerweise hauptsächlich die Agrar- und Kohäsionspolitik. Jeweils etwa ein Drittel des Budgets werden für landwirtschaftliche Subventionen sowie Hilfsgelder für benachteiligte Regionen ausgegeben. Die restlichen Mittel fließen vor allem in Politikfelder wie Migration, Verteidigung oder Forschung.
ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen tragen mit ihren Abgaben überproportional viel zum EU-Budget bei, profitieren aber am wenigsten vom europäischen Integrationsprozess. Der MFR müsste deshalb so konstruiert sein, dass die Budgetmittel zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa führen.
Als Gewerkschaften fordern wir schon lange eine Modernisierung und Anpassung des EU-Haushaltes an die politischen Realitäten in Europa. Eine solide Investitionspolitik und vor allem die Herstellung sozialer Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten sollte durch zielgerichtete und ausreichend finanzierte EU-Programme ermöglicht werden.
Der nun von den Staats- und Regierungschefs abgesegnete Recovery Plan „Next Generation EU“, aber auch der Brexit und die damit einhergehenden Einnahmeverluste hätten als Chance gesehen werden müssen, das EU-Budget zu reformieren und eine notwendige Neuverteilung der Mittel vorzunehmen. Denn die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen auf europäischer Ebene haben sich in den letzten Jahren und vor allem während der Corona-Krise stark verändert. Ein reformierter EU-Finanzrahmen wäre die notwendige politische Antwort auf diese neuen Herausforderungen gewesen.