Die angekündigte Reform des Arbeitslosengeldes verzögert sich. Diese war zunächst für Juni angekündigt, verschiebt sich nun aber in den Herbst.
Die Eckpunkte, die von Seiten der VertreterInnen der Regierungsparteien angegeben wurden, klingen nach einer Quadratur des Kreises. Derzeit beträgt das Arbeitslosengeld 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Künftig soll es zu Beginn höher liegen, dann aber gesenkt werden, wobei es nicht unter 55 Prozent absinken soll. Gleichzeitig verlangen Wirtschaftsvertreter, dass die Umstellung aufkommensneutral erfolgen müsse. Das bekommt man schwer alles unter einen Hut. Und doch gibt es eine Maßnahme, die hier als Ausweg scheint: eine Wartezeit. Es wird zwar das Arbeitslosengeld anfangs (kolportiert sind 3 Monate) angehoben, dafür bekommt man die ersten 14 Tage der Arbeitslosigkeit aber gar nichts.
Warten auf’s… Arbeitslosengeld?
In der jetzigen Situation massiv gestiegener Teuerung ist es sozialpolitisch zynisch, Menschen, die ihre Arbeit verlieren, 2 Wochen gar nichts zu zahlen. Das Arbeitslosengeld in Österreich ist niedrig. Wir brauchen eine bessere soziale Absicherung arbeitsloser Menschen und nicht eine scheinbare Leistungserhöhung, die sich Betroffene selbst zahlen, indem sie zuerst nichts und dann eine Zeit lang etwas mehr bekommen.
Die Idee das Arbeitslosengeld im Lauf der Zeit abzusenken (Degression) beruht auf der Annahme bzw. Unterstellung, dass man Menschen nur weniger Geld zahlen muss, damit sie eine Arbeit finden. Doch so einfach ist das nicht. Vor allem längere Arbeitslosigkeit ist meist alles andere als eine freiwillige Entscheidung ist. Hier kommt häufig der Einwand, dass viele jemanden kennen, der/die nicht arbeiten wolle. Natürlich kann es vorkommen, dass jemand wirklich nicht arbeiten will, so wie es Arbeitgeber gibt, die sich nicht an Spielregeln halten oder PolitikerInnen, die sich nicht am Allgemeinwohl orientieren. Es gibt in allen Bevölkerungsschichten sogenannte schwarze Schafe. Man sollte aber nicht von diesen auf die gesamte Gruppe schließen.
Ein Drittel der Haushalte kann seine Ausgaben nicht mehr decken
Der Fiskalrat hat vor kurzem publiziert, dass der Anteil jener Haushalte, die mit ihren Einnahmen die Ausgaben nicht mehr bestreiten können, von einem Viertel auf über ein Drittel gestiegen ist. Das betrifft logischerweise vor allem die einkommensschwachen Haushalte und damit überproportional Arbeitslose. Nachdem weder Arbeitslosengeld noch Notstandshilfe im Ausmaß der Inflation erhöht werden, schlägt hier die Teuerung voll durch.
Zuletzt hat die Regierung im Antiteuerungspaket angekündigt, künftig bestimme Sozialleistungen regelmäßig zu valorisieren. Das ist sehr positiv. Eine allgemeine Inflationsanpassung soll künftig die Familienbeihilfe, den Kinderabsetzbetrag, das Kinderbetreuungsgeld, die Studienbeihilfe, das Reha-Geld, Krankengeld und Umschulungsgeld betreffen. Auffällig ist aber: Arbeitslosengeld und vor allem Notstandshilfe sind nicht in dieser Liste.
Wie hoch ist das Arbeitslosengeld derzeit
Die derzeitige Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt 55 Prozent des maßgeblichen Einkommens. Für niedrige Einkommen, denen ein Arbeitslosengeld unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz gebühren würde, gibt es einen Ergänzungsbetrag. Dieser stockt auf 60 Prozent bzw. mit Familienzuschlägen maximal auf 80 Prozent auf. Arbeitslosengeld kann man je nach Alter und Beschäftigungsdauer 20 bis 52 Wochen beziehen. Wer länger arbeitslos ist, kann Notstandshilfe beantragen. Diese beträgt 92 Prozent bis 95 Prozent des Arbeitslosengeldes.
2020 betrug das mittlere Einkommen der ArbeiterInnen und Angestellten inkl. anteiliger Sonderzahlungen 2.841 Euro. Demgegenüber betrug das Arbeitslosengeld im Schnitt 987 Euro und die Notstandshilfe 855 Euro. Damit beträgt das Arbeitslosengeld nur 48 Prozent und die Notstandshilfe 41 Prozent des entsprechenden Nettoeinkommens Erwerbtätiger. Das zeigt, dass vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Arbeitslosengeld versus Einkommen:
Höhe des Arbeitslosengeldes 2020: 32,90 Euro täglich (Männer 35,3 Euro, Frauen 29,70 Euro). Das bedeutet monatlich 987 Euro (Männer: 1059 Euro, Frauen: 891 Euro).
Höhe der Notstandshilfe 2020: 28,5 Euro täglich (Männer 30 Euro, Frauen 26,5 Euro). Das bedeutet monatlich 855 Euro (Männer 900 Euro, Frauen 795 Euro).
Mittleres Einkommen ArbeiterInnen und Angestellte: 2841 Euro (12 mal). Das entspricht einem Jahresnettoeinkommen von 24.750,98 Euro.
Arbeitslosigkeit und Armut
Das Arbeitslosengeld in Österreich liegt für fast alle unter der Armutsgefährdungsgrenze. Personen, die mindestens sechs Monate arbeitslos sind, haben eine Armutsgefährdungsquote von 43 Prozent. Bei ganzjährig Arbeitslosen trifft das auf 57 Prozent zu. Demgegenüber lag die Armutsgefährdungsquote derer, die mindestens sechs Monate vollzeitbeschäftigt waren, bei 6 Prozent.
Abnehmendes Arbeitslosengeld trifft vor allem Ältere und Kranke
Es sind bestimmte Gruppen, die verstärkt von langer Arbeitslosigkeit betroffen sind: Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss aufweisen sowie ältere Arbeitslose und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Zu glauben, diese Menschen mit „Anreizen“, also weniger Geld in Beschäftigung zu bringen, ist zynisch oder naiv. Niemand wird gesünder oder jünger, wenn er nach einer gewissen Dauer der Arbeitslosigkeit weniger Geld bekommt. Der Zusammenhang zwischen Alter und Dauer der Arbeitslosigkeit ist eindeutig. Die Degression trifft also Ältere, Menschen mit schlechter Gesundheit und gering Qualifizierte.
In den letzten Jahren sind die Unterschiede der Dauer von Arbeitslosigkeit zwischen den verschiedenen Altersgruppen gestiegen. Der Anstieg betraf vor allem über 50-Jährige. Auch der Anteil jener, die über 1 Jahr arbeitslos waren, an allen Arbeitslosen stieg bis 2021 stark an. 2022 war erstmals wieder ein Rückgang zu verzeichnen.
Arbeitslosigkeit betrifft fast zur Hälfte Personen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben.
Arbeitsmarktpolitik sollte diese Menschen unterstützen und nicht so tun, als würden Arbeitslose Arbeit finden, wenn sie nur weniger finanzielle Unterstützung erhalten.
Schockierende Studien-Ergebnisse
Die Studie des Sozialministeriums „So geht’s uns heute: die sozialen Krisenfolgen im ersten Quartal 2022“ zeigt, dass die Teuerung vor allem Arbeitslose hart trifft.
Unter den arbeitslosen Personen war schon Ende 2021 fast ein Drittel in Zahlungsverzug geraten. Seither hat die Teuerung die Lage weiter drastisch verschärft. 64 Prozent der arbeitslosen Befragten gaben im ersten Quartal 2022 an, unerwartete Ausgaben von 1.300 Euro nicht begleichen zu können, 52 Prozent konnten keinen einwöchigen Urlaub machen und 21 Prozent hatten finanzielle Probleme, die Wohnung zu beheizen. Jede/r Fünfte kann sich nicht einmal jeden zweiten Tag eine warme Hauptmahlzeit leisten.
Her mit sozialer Sicherheit – auch für Arbeitslose!
Alles in allem zeigt: Arbeitslose brauchen eine bessere soziale Absicherung! Dass ausgerechnet Arbeitslose auch künftig keinen regelmäßigen Teuerungsausgleich bekommen, ist sozialpolitisch skandalös. Arbeitslose brauchen bessere Unterstützung und das AMS mehr Ressourcen für eine echte Betreuung. Statt mit einem Algorithmus Menschen mit angeblich schlechteren Jobaussichten von Qualifizierung auszuschließen, braucht das AMS mehr Personal, um die Arbeitslosen bei der Arbeitssuche besser unterstützen zu können. Die derzeitige Arbeitskräfte-Knappheit bewirkt, dass auch Menschen, die noch vor kurzem geringe Chancen auf Beschäftigung hatten, in Beschäftigung kommen könnten. Daher sollten diese auch Qualifizierungen und gute Unterstützung durch das AMS erhalten.
Unsere Forderungen:
- Arbeitslosengeld erhöhen: Nettoersatzrate auf 70% anheben
- Anpassung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe an die Inflationsrate
- Anpassung der Familienzuschläge: Diese betragen seit 2001 nur 0,97 € pro Kind
- Erhöhung des Personalstandes im AMS auf ein Niveau, dass 1 Stunde Beratungszeit pro Arbeitslosen und gute Beratung von kleinen oder mittleren Unternehmen, die Personal suchen, möglich wird (Stopp des für 2023 geplanten Personalabbaues beim AMS)
- (Ziel-)Vorgaben an das AMS, dass nur in existenzsichernde Beschäftigung (mind. € 1.700) vermittelt wird
Linktipps:
>>> Fiskalrat zur Inflation
>>> Studie Sozialministerium zu den sozialen Folgend der Krise
>>> Bundesministerium für Arbeit: Arbeitsmarktinformationssystem