Die schwedischen Gewerkschaftsverbände LO und PTK haben sich mit dem ArbeitgeberInnenverband unlängst auf eine „historische“ Reform des Arbeitsmarktes geeinigt. Eine Reform mit Licht- und Schattenseiten.
Denkbar knapp, aber dann doch ging die Regentschaft der Sozialdemokratin Magdalena Andersson am 18. September 2022 in Schweden zu Ende. Sie und das Mitte-Links Lager unterlagen dem Mitte-Rechts Lager nach mehrtätigen Auszählungen mit 176 zu 173 Mandaten. Für die Lohnabhängigen in Schweden könnte künftig dennoch mit Verbesserungen zu rechnen sein. Mit 1. Oktober nämlich tritt die Vereinbarung über „Sicherheit im Berufsleben, Wandel und Beschäftigungsschutz“ in Kraft, ein Gesetzespaket, bei welchem vor allem die Transformation der Arbeitswelt im Fokus steht.
Erste Verhandlungen zur Vereinbarung über „Sicherheit im Berufsleben, Wandel und Beschäftigungsschutz“ nahmen der schwedische ArbeitgeberInnenverband „Svenskt näringsliv“ und der schwedische Gewerkschaftsbund LO bereits 2017 auf. Mit der PTK war ab 2019 noch ein weiterer Gewerkschaftsbund an Bord. Angesichts der anstehenden Transformationen am Arbeitsmarkt, zum Beispiel im Kontext Digitalisierung und ökologischer Krise, stand die Suche nach einem geeigneten Modell für umfassende Weiterbildungsmaßnahme für Lohnabhängige im Zentrum der Verhandlungen.
Zweierlei Handschriften
Das final im Juni dieses Jahres unterzeichnete Gesetzespaket soll ab 1. Oktober in kraft treten und besteht grundsätzlich aus zwei Teilen: Einen als „Flexibilisierung“ bezeichneten Abbau des Kündigungsschutzes sowie den Ausbau des Rechts auf Weiter- und Fortbildungen. Die Veränderungen, die den Kündigungsschutz betreffen, tragen eindeutig die Handschrift der ArbeitgeberInnen. So soll ihnen in Sachen Kündigungen künftig „mehr Flexibilität“ zugesprochen werden, vor allem Kündigungen aufgrund „persönlicher Verfehlungen“ sollen erleichtert werden.
Der zweite Teil des Pakets liest sich deutlich arbeitnehmerInnenfreundlicher und trägt deutlich die Handschrift der Gewerkschaftsseite. So sieht die Reform vor, dass ein befristeter Vertrag künftig nach spätestens zwölf Monaten in eine unbefristete Stelle umgewandelt werden muss – bisher war dies erst nach 24 Monaten der Fall. ZeitarbeiterInnen muss spätestens nach zwei Jahren ein unbefristeter Vertrag oder eine Vergütung in Höhe von drei Monatsgehältern angeboten werden.
Zudem haben Lohnabhängige ab 1. Oktober während oder zwischen zwei Anstellungsverhältnissen umfangreichere Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung. Bis zu 66 Weiterbildungswochen können Lohnabhängige in Anspruch nehmen und erhalten dabei 80 Prozent des bisherigen Gehalts (maximal 2.500 Euro monatlich). Zusätzlich ist ein Kredit von maximal 1.170 Euro monatlich möglich. Dieses Programm steht all jenen offen, die in den letzten 14 Jahren mindestens acht Jahre in einem Anstellungsverhältnis waren. Auch Berufsgruppen, die keinem Kollektivvertrag unterliegen, sollen künftig erleichterten Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen bekommen.
„Flexicurity“ – ein zweischneidiges Schwert
Die Reform fällt damit unter das Schlagwort „Flexicurity“, eine Wortschöpfung aus Flexibility (Flexibilität) und Security (Sicherheit) und eine Art von Reformbestrebung, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von konservativer Seite verfolgt wurde. Durch die Strategie der „Flexicurity“ soll – in den Worten der EU-Kommission – der „Bedarf der Arbeitgeber an flexiblen Arbeitskräften mit den Anforderungen der Arbeitnehmer an die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes vereint werden“. Ergo können ArbeitnehmerInnen zwar „flexibler“, sprich einfacher, gekündigt werden, sollen jedoch zusätzliche „Sicherheit“ erhalten, indem Möglichkeiten für Aus- und Weiterbildungen erleichtert werden – das heißt, Möglichkeiten, um einen neuen, unter Umständen besseren, Job zu finden.
Wie in Österreich hat sich auch in Schweden seit langem ein konsensbasiertes, sozialpartnerschaftliches Modell etabliert – jedoch ist in den skandinavischen Ländern das Flexicurity-Modell eine Art sozialpartnerschaftliches Leitbild. Im österreichischen Gewerkschaftskosmos ist man gegenüber dem Flexicurity-Modell deutlich skeptischer. In der Vergangenheit, kritisiert der Sozialpolitikexperte der AK Wien Adi Buxbaum in einem Beitrag für den A&W-Blog, wurde „mehr Flexibilität der ArbeitnehmerInnen stets großgeschrieben“ – aber am Ende oftmals auf die „Sicherheit“ vergessen. In einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zum Thema heißt es, in der Praxis komme es zwar oftmals zur Flexibilisierung, diese gehe jedoch nicht mit einer entsprechenden Absicherung der Betroffenen einher. Das Flexicurity-Modell, so die Einschätzung des Wifo, würde sich auf „Beschäftigung, Produktivität und Ausbildung eher negativ“ auswirken.
In Schweden zeigen sich ungeachtet dessen sowohl ArbeitgeberInnen- als auch ArbeitnehmerInnenseite hoch erfreut über die Verabschiedung des Reformpakets. So spricht Mattias Dahl, stellvertretender Geschäftsführer des Schwedischen Unternehmensverbands, von einer Reform mit „großem Wert für Unternehmen und ihre Beschäftigten“ und einem „Sieg für das schwedische Arbeitsmarktmodell“. Auch PTK-Präsident Martin Lindner ist zufrieden. Die Vereinbarung stellten „eine historische Verbesserung der Möglichkeiten für den Einzelnen dar, seine Fähigkeiten weiterzuentwickeln“. Gerade in einer Umbruchsphase wie derzeit sei das enorm wichtig. Der Weg zur Reform, so LO-Präsidentin Susanna Gideonsson, sei ein „langer“ gewesen, aber „endlich“ hätte man das lang ersehnte Ziele erreicht, wie die bessere Absicherung von prekären Beschäftigungsverhältnissen. Gideonsson hebt dabei deutlich den Wert der schwedischen Sozialpartnerschaft hervor.
Mit dem Regierungswechsel in Schweden, von Mitte-Links zu Mitte-Rechts, werden aller Voraussicht nach härtere Zeiten auf die Lohnabhängigen in dem skandinavischen Land zukommen. Im doppelten Wortsinn könnte die Arbeitsmarktreform für sie also zur rechten Zeit kommen.
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