Nach wie vor ist es in den Mitgliedstaaten der EU gang und gäbe, junge Berufseinsteiger:innen für mehrere Monate als unbezahlte Praktikant:innen einzustellen. Das EU-Parlament will dem nun endlich einen Riegel vorschieben und gesetzliche Mindeststandards für Praktika definieren.
Junge Europäer:innen müssen rund 1.000 pro Monat aufbringen, um sich ein unbezahltes Praktikum leisten zu können, fand eine Studie des Europäischen Jugendforums heraus. Das EU-Parlament will diese Form von unbezahlter Arbeit nun verbieten und verbindliche Regeln erstellen. Junge Menschen, die zu Beginn ihres Arbeitslebens Praktika leisten, um ins Berufsleben einzusteigen, sollen nicht mehr als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden dürfen.
„Praktikant:innen leisten echte Arbeit und haben daher ein Recht auf faire Bezahlung, Sozialversicherung und Pensionsvorsorge“, sagt die Internationale Sekretärin der GPA, Sophia Reisecker, „Als Gewerkschaften weisen wir schon seit vielen Jahren auf bestehende Missstände hin. Mit der Ausrede, dass jungen Arbeitnehmer:innen noch nicht fertig ausgebildet sind, werden sie durch zu niedrige oder fehlende Bezahlung ausgebeutet und die Unternehmen profitieren von billigen Arbeitskräften.“
„Praktikant:innen leisten echte Arbeit und haben daher ein Recht auf faire Bezahlung, Sozialversicherung und Pensionsvorsorge.“
Sophia Reisecker
Forderung: Hochwertige Praktika
Mit breiter, parteiübergreifender Unterstützung hat das Europäische Parlament Mitte Juni für einen Antrag gestimmt, der eine Richtlinie zum Verbot unbezahlter Praktika fordert. Die Kommission ist nun aufgefordert, einen Vorschlag für eine solche Richtlinie vorzulegen.
Nur den sog. „Qualitätsrahmen für Praktika“ aus dem Jahr 2014 entsprechend zu aktualisieren wäre hier eindeutig zu wenig. „Wir erwarten als Gewerkschafter:innen mehr als nur Empfehlungen! Die neuen Regeln müssen verbindlich sein“, betont Reisecker.
Die Richtlinie soll die Qualität von Praktika in der EU sicherstellen, mit dem Ziel, die Praktikant:innen durch Mindestqualitätsstandards zu schützen. Dazu gehören verbindliche Regeln für die Dauer von Praktika, für die Vergütung und für den Zugang zu sozialem Schutz. Es sollten sowohl Pflichtpraktika, die Teil der Berufsausbildung sind , als auch sog. Praktika auf dem freien Arbeitsmarkt abgedeckt werden.
Das Entgelt muss Nahrung, Kleidung, Wohnung und Transport abdecken und dabei die Lebenshaltungskosten des jeweiligen Landes berücksichtigen. Praktika sollen sich von Einstiegspositionen unterscheiden, indem allen Praktikant:innen ein/e Mentor:in und Lernziele zur Seite gestellt werden. Weiters sollen die Mitgliedstaaten den Zugang zu Praktika für Menschen mit Behinderungen und aus sozial schwachen Verhältnissen erleichtern, sowie grenzüberschreitende Praktika fördern.
Einstieg ins Berufsleben
Eine Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass Praktika für junge Menschen ein wichtiger Einstieg in den Arbeitsmarkt sind. So haben vier von fünf befragten jungen Menschen mindestens ein Praktikum absolviert und jeder fünfte machte seine erste Berufserfahrung als Praktikant:in. Nach einem Praktikum fanden 68 Prozent einen Arbeitsplatz und 39 Prozent schlossen einen Vertrag beim gleichen Arbeitgeber ab.
„Viel zu oft sehen sich junge Menschen damit konfrontiert, ein unbezahltes Praktikum zu machen, um ins Berufsleben einsteigen zu können.“
Evelyn Regner
Evelyn Regner, die als Gewerkschafterin und Abgeordnete im EU-Parlament die Richtlinie voll und ganz unterstützt, sagt: „Jeder Mensch, der arbeitet, muss auch angemessen bezahlt werden. Viel zu oft sehen sich junge Menschen damit konfrontiert, ein unbezahltes Praktikum zu machen, um ins Berufsleben einsteigen zu können. Gratis arbeiten können sich viele nicht leisten. Ich finde: Sollen sie auch gar nicht!“
Da Praktika oft bis zu sechs Monate dauern und ein unbezahltes Praktikum durchschnittlich über 1.000 Euro im Monat kostet, muss ein junger Mensch 6.000 Euro und mehr pro Praktikum aufbringen, um seine Beschäftigung zu subventionieren! Aufgrund der extremen Teuerung in Europa werden diese Kosten 2023 mit Sicherheit noch höher sein. „Es kann nicht sein, dass Praktikant:innen de facto dafür bezahlen müssen, dass sie arbeiten dürfen – diese Situation ist absurd. Ein Praktikum muss zumindest die Lebenshaltungskosten abdecken“, betont Sophia Reisecker.
Zahlreiche Nachteile
Für die eingangs erwähnte Studie des Europäischen Jugendforums wurden über 300 junge Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern befragt. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) gaben an, mindestens zwei unbezahlte Praktika absolviert zu haben, bevor sie eine bezahlte Stelle fanden. Zusätzlich zu den Lebenshaltungskosten entstehen den Praktikant:innen noch weitere Nachteile, wie der fehlende Zugang zu Sozialversicherung und Sozialleistungen. Zahlreiche Praktikant:innen berichten außerdem von schlechten Arbeitsbedingungen. So bekämen sie etwa keine offiziellen Arbeitsverträge und die Wertschätzung für ihre Arbeit sei oft gering – manche Unternehmen sehen sie einfach nur als billige Arbeitskräfte für Aufgaben, die sonst niemand erledigen will.
Viele Praktikant:innen bewältigen die Kosten der unentgeltlichen Arbeit, indem sie sich einen zweiten Job suchen. „Das kann auf keinen Fall ein Ausweg sein! Nicht nur, dass sich überlange Arbeitszeiten und chronischer Stress auf die Gesundheit schlagen, man kann von jungen Menschen nicht verlangen, dass sie einen zusätzlichen Job annehmen, um sich ihr Praktikum finanzieren zu können“, kritisiert Reisecker.
Österreich
In Österreich absolvieren knapp 300.000 Schüler:innen und Studierende im Rahmen ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums ein verpflichtendes Praktikum. Mindestens ebenso viele absolvieren freiwillig ein Praktikum in der Hoffnung, dann den Einstieg in einen regulären Job zu schaffen.
„Wir fordern schon seit Jahren ein Ende der Ausbeutung von jungen Arbeitnehmer:innen. Daher begrüßen wir diese Initiative des europäischen Parlaments.“
Isabella Höferer
Laut Eurobarometer sind in Österreich 31 Prozent der Praktika unbezahlt. Das liegt zwar unter dem EU-Schnitt von 44 Prozent, repräsentiert aber immer noch eine große Gruppe Menschen, die unentgeltlich arbeiten müssen. Die Zahlen belegen, dass besonders junge Menschen aus sozial schwächeren Familien, aus migrantischer Herkunft und Jugendliche mit Behinderungen im EU-Vergleich in Österreich schlechter abschneiden.
„Wir fordern schon seit Jahren ein Ende der Ausbeutung von jungen Arbeitnehmer:innen. Daher begrüßen wir diese Initiative des europäischen Parlaments“, erklärt die Bundesjugendsekretärin der GPA, Isabella Höferer. Man müsse unterscheiden, ob es sich um ein kurzes Pflichtpraktikum handelt oder um ein mehrmonatiges Arbeitsverhältnis, so Höferer weiter. Die Bezahlung bei Pflichtpraktika ist meist niedriger, da diese der Ausbildung dienen. Aber auch Pflichtpraktika müssen abgegolten werden!
Ein mehrmonatiges Praktikum wie z.B. ein Ferienjob – also ein Praktikum auf dem freien Arbeitsmarkt – ist ein normales Dienstverhältnis und muss daher laut Kollektivvertrag bezahlt werden. Praktikant:innen müssen sozialversichert sein und entweder einen Arbeitsvertrag oder einen Dienstzettel erhalten. „Leider ist ein ‚Praktikum‘ oft einfach nur eine Tarnung für ein Arbeitsverhältnis, das nicht den Standards entspricht“, kritisiert Höferer.
Sozial ungerecht
Sophia Reisecker sieht hier außerdem eine versteckte soziale Selektion: „Junge Menschen aus sozial schwachen Familien haben keine Möglichkeit, ohne Bezahlung zu arbeiten, da sie bzw. ihre Familie es sich nicht leisten können. Unbezahlte Praktika vergrößern somit auch die Ungleichheit zwischen Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft“, so Reisecker weiter. „Nicht zuletzt schränken sie den Zugang junger Menschen zum Sozialsystem ein, sowohl als Beitragszahler als auch als Begünstigte.“