Der Kollektivvertrag (KV) ist ein wichtiges Instrument zur Absicherung der jährlichen Lohnsteigerungen. Auch das 13. und 14. Monatsgehalt ist nur durch den KV abgesichert. Erfolge der vorigen Jahre sind eine bessere Anrechnung von Karenzzeiten, der Papamonat, ein Mindestgehalt von 1.600 Euro und ein zukunftsweisendes Entgeltschema im Handel.
Am Beginn des Berufslebens ist der Kollektivvertrag (KV) für viele ArbeitnehmerInnen zunächst wenig greifbar. So mancher lernt das zentrale gehaltspolitische Instrument erst dann so richtig kennen und schätzen, wenn dadurch seine eigenen Rechte verbessert und abgesichert werden. Diese erste Begegnung mit dem KV bleibt den meisten Beschäftigten nachhaltig in Erinnerung.
„Der Kollektivvertrag verbessert die Position von ArbeitnehmerInnen in zentralen Bereichen wie Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen oder Entgeltschema“, erklärt der stellvertretende Bundesgeschäftsführer der GPA-djp Karl Dürtscher, der für die Kollektivvertragspolitik verantwortlich ist. Auch wichtige Errungenschaften wie die Sonderzahlungen, die Mindestgehälter und Zuschläge für Überstunden oder erschwerte Arbeitsbedingungen sind in den KVs geregelt und damit rechtlich abgesichert. „Wir brauchen die Kollektivverträge, um zentrale Rechte der ArbeitnehmerInnen, wie zum Beispiel das Ausmaß und die zeitliche Verteilung der Arbeitszeit, branchenspezifisch zu gestalten“, erklärt Dürtscher. „Das Gesetz gibt lediglich die Rahmenbedingungen vor, erst durch Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen werden die Arbeitsbedingungen konkretisiert.“
In der Praxis ist das harte Arbeit: Die GPA-djp betreut insgesamt rund 170 Kollektivverträge und verhandelt diese regelmäßig neu. „Und glücklicherweise kommen ständig neue KVs hinzu“, so Dürtscher.
Stärkere Position
Der Kollektivvertrag regelt vor allem arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die ArbeitnehmerInnen dann nicht mehr individuell mit dem jeweiligen Arbeitgeber verhandeln müssen – diese sind als Rechtsanspruch im Kollektivvertrag festgeschrieben. „Wir regeln über den Kollektivvertrag auch viele Ist-Gehälter, die KV-Abdeckung beträgt in Österreich 98 Prozent“, betont Dürtscher. Das bringt den ArbeitnehmerInnen große Vorteile: So sind z. B. im Einzelhandel in Österreich alle Arbeitsverträge vom Kollektivvertrag erfasst, während in Deutschland nur noch 23 Prozent der Angestellten dieser Branche einem Kollektivvertrag angehören. Entsprechend schwieriger ist dort die Verhandlungsposition der Beschäftigten.
Aktuell sind die KV-VerhandlerInnen stark mit dem Thema Mindestlohn und -gehalt befasst, der in einer Zeit, in der viele Menschen trotz Vollzeitbeschäftigung armutsgefährdet sind, immer bedeutender wird. „Heuer wurde bereits in weiteren 21 Kollektivverträgen ein Mindestgehalt von 1.500 Euro verankert. In sieben KVs wurden 1.700 Euro als Mindestgehalt durchgesetzt“, erzählt Dürtscher.
Auch die Anrechnung der Karenzzeiten bei den Gehaltsvorrückungen hat sich dank intensiver Verhandlungen verbessert: „Seit Jahresbeginn werden Karenzzeiten in 19 Kollektivverträgen berücksichtigt – darunter so große Bereiche wie die Elektro- und Elektronikindustrie, Mineral-, Papier- und Chemische Industrie, aber auch in der Sozialwirtschaft Österreich und der Textilindustrie. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Verringerung der Einkommensschere zwischen Frauen und Männern“, erklärt Dürtscher. Der Familienzeitbonus „Papamonat“ wurde mit Jahresanfang in neun Kollektivverträgen erfolgreich verankert.
Kräftige Lohnsteigerung erwartet
Für die aktuelle Herbstlohnrunde erwartet sich der stellvertretende GPA-djp-Bundesgeschäftsführer einen deutlich positiven Abschluss der Metaller und kräftige Reallohnsteigerungen für die gesamte Industrie, denn „die drei Parameter Inflationsrate, Wirtschaftsentwicklung und Produktivitätssteigerung zeigen deutlich nach oben.“ Auch im Handel gäbe es gute Umsatzzuwächse. Eine zukunftsweisende Forderung sei die sechste Urlaubswoche, die Dürtscher „als Abtausch für die fortschreitende Arbeitszeitflexibilisierung“ sieht. Auch die Rahmenbedingungen der Teilzeit sollten über die KVs künftig weiter verbessert werden, Dürtscher strebt „lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle“ an.
Für Heidemarie Schreiberhuber, Betriebsratsvorsitzende der Pfeiffer Logistik in Traun, ist der Kollektivvertrag ein bedeutendes Instrument zur Durchsetzung der Interessen der ArbeitnehmerInnen: „Die Verankerung des Mindestlohnes auf Ebene des KV ist in unserer Branche besonders wichtig, weil im Handel sehr viele Frauen arbeiten und der Anteil der Teilzeitbeschäftigten besonders hoch ist. Viele MitarbeiterInnen sind finanziell auf das Weihnachts- und Urlaubsgeld angewiesen, wenn es darum geht, größere Anschaffungen oder Reparaturen zu finanzieren“, weiß die Gewerkschafterin. „Das jährliche Plus ist in unserer Branche deswegen besonders wichtig, weil Frauen seltener selbst eine Lohnerhöhung fordern als Männer. Würde es die regelmäßigen kollektivvertraglichen Erhöhungen nicht geben, würden die Beschäftigten über die Jahre einen saftigen Reallohnverlust erleiden“, ist Schreiberhuber überzeugt.
Zuschläge im KV abgesichert
Trotz teils kraftraubender Verhandlungen blickt Schreiberhuber mit Stolz auf große Erfolge der vergangenen Jahre zurück: „Die volle Anrechnung der Karenzzeiten bei Vorrückungen und ihre Berücksichtigung bei den Vordienstzeiten, Zuschläge für besondere Öffnungszeiten oder Inventur, Sonntagsarbeit oder die Lagerzulage – all dies haben wir in den Kollektivvertrag hineinverhandelt und so für alle KollegInnen abgesichert.“ Als besonderen Erfolg wertet sie das Mindestgrundgehalt von 1.600 Euro brutto für Angestellte mit Einzelhandels- oder kaufmännisch administrativer Lehre. Auch die doppelte Entlohnung plus extra Freizeit für Arbeit am Marienfeiertag im Dezember ist im Handels-KV verankert.
Für Gerhard Grill, den Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrates der voestalpine Wire Austria in der Steiermark, haben die Kollektivvertragsverhandlungen in der Metallindustrie eine ganz besondere Vorreiterfunktion: „Wir haben einen sehr hohen Organisationsgrad und tun uns daher leichter, gewisse Rechte der ArbeitnehmerInnen im KV zu verankern, als Branchen mit weniger Mitgliedern.“ Aus Sicht des Gewerkschafters wäre eine Lohn- oder Gehaltsfindung ohne das bewährte Instrument des Kollektivvertrages undenkbar. „Der KV hat drei wichtige Funktionen: Erstens die Friedensfunktion, zweitens die Schutzfunktion, die Mindeststandards festschreibt, die ansonsten permanent unterlaufen würden. Drittens die Wettbewerbsfunktion, die für alle Beschäftigten und auch die Arbeitgeber der jeweiligen Branche dieselben Bedingungen herstellt“, erklärt Grill. Gerade diese Wettbewerbsfunktion des KV sei auch für Arbeitgeber interessant, denn sie bringe mehr Fairness bei der Besetzung von Positionen.
Beeindruckende Verbesserungen
Der Kollektivvertrag hat den Beschäftigten in der Metallindustrie in den vergangenen Jahrzehnten einige beeindruckende Verbesserungen gebracht: „Die Umstellung der Vorrückungen mit gleichzeitiger Verteiloption hat den Beschäftigten mehr Gerechtigkeit gebracht“, erklärt Grill. Diese Verteilerfunktion ist im KV verankert und deswegen besonders wichtig, weil außerordentliche individuelle Gehaltserhöhungen immer schwieriger zu erreichen sind und es dennoch eines Topfes für Belohnungen bedürfe.
Die Marschrichtung für den Herbst ist für Grill klar: „Alle schauen bei den Kollektivvertragsverhandlungen auf uns Metaller. Wir dürfen nicht denselben Fehler machen wie die Gewerkschaften in Deutschland, die über viele Jahre bei den Lohnforderungen zu zurückhaltend waren. Wenn die Wirtschaft anzieht, dann müssen auch die Löhne anziehen“, betont Grill die Wichtigkeit einer ordentlichen Lohnerhöhung. Langfristig zählt für den Gewerkschafter neben dem ausgehandelten Prozentsatz – der vor allem medial wichtig sei – aber vor allem das Rahmenrecht des Metaller-KV: „Das Urlaubsrecht und die Dienstreiseregelungen müssen dringend neu strukturiert werden – das hat volkswirtschaftlich eine sehr große Bedeutung“, ist Grill überzeugt.
Der Kollektivvertrag im Sozialbereich ist noch ziemlich jung. Monika Fließer, Betriebsratsvorsitzende der Lebenshilfen Soziale Dienste GmbH in Graz sieht die Bedeutung des KVs in dem nun – mit Ausnahme von Vorarlberg – österreichweit einheitlichen Gehaltsniveau: „Vor 2005 hat es viele unterschiedliche Lohntabellen gegeben – ein paar waren gut, die meisten hatten allerdings eine miserable Höhe. Der Kollektivvertrag hat eine Einheitlichkeit geschaffen, von der die Beschäftigten profitieren.“ Vor Inkraft-Treten des Kollektivvertrages gab es unterschiedliche entgeltliche Vereinbarungen, die zwischen den jeweiligen Dienstgebern und dem Betriebsrat abgeschlossen wurden. Der KV gibt nun einheitliche Rahmenbedingungen vor, die Beschäftigten wissen, mit wie viel Entgelt sie definitiv rechnen können. „Leider bleibt es beim Mindestgehalt, die DienstgeberInnen sind nicht wie in anderen Branchen bereit, überkollektivvertraglich zu entlohnen“, ist Fließer enttäuscht.
KV hat riesige Bedeutung
„Für die KollegInnen im Sozialbereich hat der KV eine wirklich riesige Bedeutung, er sichert die jährlichen Erhöhungen inklusive der Biennalsprünge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Zulagen aller Art ab“, erklärt Fließer. Berechnungen haben gezeigt, dass sich für Angestellte der Verwendungsgruppe 6, in der sich die meisten Beschäftigten befinden, seit 2005 eine ca. 50-prozentige Erhöhung der Bruttobezüge ergeben hat. „Darauf sind wir stolz“, betont die Verhandlerin und warnt vor politischen Tendenzen, alles auf die betriebliche Ebene zu verlagern. Einzelne Betriebsratskörperschaften könnten nie so stark sein wie alle zusammen: „Gäbe es unterschiedliche Regelungen in den Betrieben, kämen diese enorm unter Druck, was sich wieder negativ auf die Beschäftigten auswirken würde.“
Eine der größten Errungenschaften der vergangenen Jahre ist für Fließer das amtliche Kilometergeld, das für dienstliche Fahrten ausbezahlt wird: „Das ist für viele Beschäftigte eine wichtige Einkommenskonstante.“ Auch die im KV festgelegte einheitliche Arbeitszeitregelung hätte in der Branche – vor allem im stationären Bereich – sehr viel Ruhe gebracht. „Der KV schreibt vor, dass eine ArbeitnehmerIn eine bestimmte Anzahl an Wochenenden im Durchrechnungszeitraum frei haben muss, Dienstpläne müssen so rechtzeitig erstellt werden, dass die KollegInnen Privates planen können“, erklärt Fließer.
Rechte des Mobilen Dienstes gestärkt
Auch die Rechte der MitarbeiterInnen des Mobilen Dienstes konnten kollektivvertraglich gestärkt werden: Seit 1.2.2017 wird – beim geteilten Dienst – die Heimfahrt während der Mittagspause als Arbeitszeit angerechnet, auch Kilometergeld wird vergütet. „Für unsere MitarbeiterInnen ist das ein echter Gewinn“, so Fließer.
Der Sozialbereich hat noch viel vor: „Wir wollen eine 35-Stunden- Woche, um ein Gehaltsplus von acht Prozent für die Beschäftigen zu erreichen“, so Fließer. Viele MitarbeiterInnen mit geringem Beschäftigungsausmaß würden derzeit an der Armutsgrenze leben. „Diese KollegInnen – vor allem jene im Mobilen Bereich – würden gerne mehr arbeiten. Von einem 15-Stunden-Job kann man langfristig nicht leben“, so die Gewerkschafterin. Neben einem Mindestgehalt von 1.700 Euro setzt sich Fließer auch für eine bessere kollektivvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten ein. l