Die Regierung hat am 14.9.2018 die Gesetzesentwürfe für ihre angekündigte Sozialversicherungsreform vorgestellt. Im KOMPETENZ-Faktencheck werden die wichtigsten Fragen zu den möglichen Auswirkungen beantwortet.
Die Regierung verspricht Leistungsverbesserungen – ist damit zu rechnen?
Die Regierung verspricht durch die Zusammenlegung der Krankenkassen eine „Patientenmilliarde“ und stellt Leistungsverbesserungen in den Raum. Eintreten wird aber wohl das Gegenteil. Die Aussage, dass bis 2023 eine Milliarde Euro insbesondere in der Verwaltung eingespart werden soll, ist unhaltbar und konnte auch nicht erklärt werden. Im Gegenteil: In den Begleitunterlagen zum Gesetz hat das Sozialministerium bis 2023 lediglich Einsparungen von 33 Millionen angeführt. Das ist ein Dreißigstel einer Milliarde. Die erheblichen Kosten für die überhastete Fusion wurden hingegen nicht ausgewiesen. Es wurde jedoch klargestellt, dass bis 2023 Mehrkosten entstehen werden. Somit steigt der Verwaltungsaufwand in den nächsten fünf Jahren. Die Bundesregierung hat es mit der Errichtung der neuen Struktur sehr eilig. Diese soll bereits 2020 stehen. Eine derart überfallsartige Systemumstellung kommt in der Regel sehr teuer. Das zeigt auch die Vergangenheit: Die Fusion der Pensionsversicherung der Arbeiter und Angestellten im Jahr 2003 führte bis 2010 zu Mehrkosten von 200 Millionen Euro. Neben den Fusionskosten, die die Krankenkasse selbst tragen muss, werden ihr jedoch allein in den Jahren von 2019 bis 2023 ca. 600 Millionen an finanziellen Mitteln entzogen. Die Kasse bekommt weniger Geld von der Unfallversicherung, muss mehr an Privatspitäler abführen und bekommt weniger Geld vom Bund für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer: Alles in allem laufen diese Pläne auf Leistungsverschlechterungen hinaus.
Künftig soll es besseres Service geben, gleichzeitig soll die SV jedoch mit weniger Personal und weniger FunktionärInnen auskommen – ist das überhaupt möglich?
Die geplanten Einsparungen in der Verwaltung sollen vor allem durch Nichtnachbesetzungen erfolgen. Daher ist mit einem Sinken der Servicequalität insgesamt zu rechnen (längere Bearbeitungsdauer und längere Wartezeiten). Die VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen werden in der Sozialversicherung drastisch reduziert, während die Wirtschaftsvertreter deutlich mehr Einfluss bekommen. Weniger VertreterInnen bringen aber keine Einsparungen, denn diese arbeiten zu 90 Prozent ehrenamtlich. Die Selbstverwaltung kostet jährlich bloß 40 Cent pro versicherter Person.
Die Bundesregierung spricht von einer Leistungsharmonisierung, die nun umgesetzt wird. Stimmt das?
Die Reform bringt keine einheitlichen Leistungen. Denn Beamte und Selbstständige haben weiter eine eigene Krankenversicherung. In Wirklichkeit wird es also nicht zu Leistungsverbesserungen, sondern zu einer Drei-Klassen-Medizin kommen. Eine Angleichung der Leistungen erfolgt nur zwischen den Gebietskrankenkassen. Die besseren Leistungen für Selbstständige und Beamte bleiben hingegen bestehen. Die künftige Beamten- und Eisenbahnerversicherung hat einen viel größeren finanziellen Spielraum als die ÖGK, in der neben ArbeitnehmerInnen auch Arbeitslose, prekär Beschäftigte und MindestsicherungsbezieherInnen versichert sind. Werden hingegen nur stabil Beschäftigte versichert, ergeben sich pro Kopf um ca. 30 Prozent höhere Einnahmen. Da kann man auch mehr Leistungen anbieten! Zu einem Ausgleich dieser Unterschiede kommt es auch künftig nicht. Es muss deshalb mit einer Zunahme der Leistungsunterschiede gerechnet werden.
Muss man künftig bei jedem Arztbesuch etwas dazuzahlen?
Das ist leider sehr wahrscheinlich. Die Wirtschaftskammer fordert seit Jahren die Einführung von allgemeinen Selbstbehalten. Schon im Jahr 2017 forderte die WKO eine Reform des Sozialversicherungssystems, die nun von der Regierung nahezu ident umgesetzt wird. Enthalten sind auch allgemeine Selbstbehalte: „Neues Gesamtsystem von Selbstbeteiligungen, um die Leistungsbeanspruchung zu lenken.“ Die Höhe von Selbstbehalten bei Arztbesuch oder Spitalsambulanz für alle Versicherten könnten im neuen Dachverband beschlossen werden. In diesem werden die WirtschaftsvertreterInnen mit 6 zu 4 Stimmen die klare Mehrheit stellen, weshalb die Umsetzung der jahrelangen Forderung nach Selbstbehalten auf Druck von Wirtschaftskammer und Industrie bevorsteht.
Die Beitragsprüfung wandert zur Finanzverwaltung – was bedeutet das?
Künftig wird die ÖGK zwar weiter Sozialversicherungsbeiträge einheben, aber nicht mehr prüfen dürfen, ob die Beiträge korrekt bezahlt wurden. Die Beitragsprüfung wird per Gesetz an die Finanzverwaltung übertragen. Der für die ArbeitnehmerInnen zuständige Träger kann somit künftig nicht mehr prüfen, ob Unterentlohnung oder Scheinselbstständigkeit vorliegt. Weniger Prüfungen und Beiträge bedeuten für die Versicherten auch geringere Leistungen. Die Maßnahmen der Bundesregierung führen somit zu einer Verhinderung von effektiver Kontrolle von fairer Entlohnung im Sinne der Beschäftigten.
Wie geht es nun mit der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung weiter?
Im Zuge der „Reform“ wird eine massive Machtverschiebung in den Entscheidungsgremien stattfinden. So sollen in jenen Trägern, in denen ArbeiterInnen und Angestellte versichert sind, also in der Gesundheitskasse, der Pensionsversicherung und der Unfallversicherung die ArbeitgeberInnen künftig gleich viele Stimmen bekommen wie die ArbeitnehmerInnen. Das ist deswegen absurd, weil in diesen Trägern kein einziger Arbeitgeber und keine einzige Arbeitgeberin versichert sind. Künftig entscheiden also die ArbeitgeberInnen über die Köpfe der Betroffenen hinweg: bei der Einführung von Selbstbehalten, bei der Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen und bei Verteilung von Kassenarztstellen. Im Dachverband sollen die ArbeitgeberInnen sogar die deutliche Mehrheit erhalten. Was die Regierung plant, ist nichts anderes als eine einseitige Machtübernahme der DienstgeberInnen in der Sozialversicherung.
Die Anzahl der Sozialversicherungsträger soll auf fünf reduziert werden. Stimmt das?
Dass die Anzahl der Sozialversicherungsträger auf insgesamt fünf Träger reduziert wird, ist so nicht richtig. Manche Versicherungsträger wie die Betriebskrankenkassen und die Versicherungsanstalt des Österreichischen Notariats werden mitunter nur umbenannt und künftig als „Wohlfahrtseinrichtungen“ bezeichnet. Somit bleiben nicht fünf, sondern wahrscheinlich zehn Organisationen übrig.