Seit 2019 arbeiten Beschäftigte der britischen Automarke Bentley nur noch 35-Stunden pro Woche. Betriebsrat und Gewerkschaften haben knapp vierzig Jahre dafür gekämpft. Für die Kompetenz Online hat Andrea Kaindl beim britischen Betriebsratsratsvorsitzenden von Bentley, Davis Stu, nachgefragt.
Andrea Kaindl: Seit den 1980er-Jahren fordert der Betriebsrat von Bentley eine 35-Stunden-Woche. Wie konntet ihr das Unternehmen nun endgültig überzeugen, die Arbeitszeiten zu reduzieren?
Davis Stu: Vielleicht war auch eine Portion Glück dabei. Aber die Flexibilität, die dem Unternehmen geboten wurde, erleichterte die Verhandlung. Mit einer kürzeren Arbeitswoche können wir Lücken zwischen den Schichten schaffen, die dann entweder zur Wartung oder zur Produktion in auftragsstarken Zeiten genutzt werden können. Unsere Gehaltsverhandlungen orientierten sich an jenen von Volkswagen. Volkswagen hatte eine Einigung über einen „Zukunftspakt“ erzielt. Wir alle, Unternehmen und Gewerkschaften, standen unter einem gewissen Druck, etwas Ähnliches zu liefern.
Andrea Kaindl: Was hat die Verhandlungen herausfordernd gemacht?
Davis Stu: Es brauchte einiges an Arbeit, um die Gewerkschaftsmitglieder davon zu überzeugen, dass der Pakt in ihrem Interesse ist. Die 35-Stunden-Woche war für uns zu lukrativ, um sie aufzugeben. Wir mussten vor allem Herausforderungen bei der Einführung neuer Schichtpläne, unterschiedliche Pausenzeiten und Auswirkungen auf den Catering-Service vor Ort meistern. Unsere Pläne wurden in einem ersten Wahlgang abgelehnt, nach einigen Verbesserungen stimmten die Mitglieder bei der zweiten Wahl zu.
Andrea Kaindl: Wie läuft die 35-Stunden-Woche in der Praxis ab? Bekommen die Beschäftigten dasselbe Entgelt wie zuvor?
Davis Stu: Ja! Die Beschäftigten bekommen denselben Lohn für 35 Stunden, das bedeutet eine Lohnerhöhung von sechs Prozent. Der dadurch erhöhte Stundenlohn gilt auch für die Überstunden und Zulagen bei Schichten. Allerdings haben abseits der Produktion noch nicht alle Abteilungen die 35-Stunden-Woche aufgrund ihrer Tätigkeitsprofile bzw. den noch zu treffenden Vereinbarungen bezüglich Wartung und Sicherheit.
Die 35-Stunden-Woche war für uns zu lukrativ, um sie aufzugeben.
Davis Stu, Betriebsratsvorsitzender von Bentley, der britischen Gewerkschaft Unite.
Andrea Kaindl: Wie zufrieden sind die Beschäftigten mit der 35-Stunden-Woche? Hat sich das auf die Motivation ausgewirkt? Auf das Stresslevel?
Davis Stu: Wir erheben derzeit Daten über Arbeitsqualität und Unfälle, um die Auswirkungen der 35-Stunden-Woche festzustellen. Die Mitglieder scheinen mit der Arbeitszeitverkürzung jedenfalls sehr zufrieden zu sein. Nach 15 Uhr haben sie mehr Zeit mit der Familie und eine bessere Work-Life-Balance. Einige meinten scherzhaft, sie seien zu früh mit der Arbeit fertig und müssten nun länger auf ihr Abendessen warten, wenn sie nach Hause kommen.
Andrea Kaindl: Digitalisierung und 35-Stunden-Woche – ein Widerspruch oder perfekte Partner?
Davis Stu: Es ist noch zu früh, um das zu beantworten. Ich hoffe aber, dass sie irgendwann Hand in Hand gehen. Dann wären dank verschiedener Arbeitsmethoden weitere Arbeitszeitverkürzungen möglich.
Andrea Kaindl: Was rätst du anderen KollegInnen, die für eine 35-Stunden-Woche kämpfen?
Davis Stu: Tut es! Wichtig ist, dass es eine win-win-Situation für alle Parteien gibt. Uns ist das durch erhöhte Flexibilität gelungen. Wir planen bereits die Gehaltsforderungen für das nächste Jahr. Eine 35-Stunden-Woche eignet sich perfekt für eine 4-Tage-Woche. Wir werden unseren CO2-Fußabdruck als Hebel nutzen, um dies für 2020 und darüber hinaus zu erreichen.
Das Interview führte Andrea Kaindl, Abteilung Geschäftsbereich Interessenvertretung in der GPA-djp. Im Zuge ihrer Ausbildung an der Sozialakademie hat sie ein Monat bei der britischen Gewerkschaft Unite gearbeitet und die Arbeit zahlreicher BetriebsrätInnen vor Ort besichtigt.
Infos zum Europapraktikum der Sozialakademie: wien.arbeiterkammer.at