Ungleichheit wird über Generationen weitervererbt

Soziale Ungleichheit bleibt oft über Generationen bestehen. Jedes 3. Kind bleibt einkommensarm, wenn es auch der Vater war.
Quelle: OECD, Fotos: Adobe Stock, Grafik: GPA-djp Öffentlichkeitsarbeit, Lucia Bauer

Die Aufstiegschancen im Leben sind ungleich verteilt. Kinder, deren Eltern und Großeltern arm sind, können kaum normale Einkommensverhältnisse erreichen. Bestehende Ungleichheiten hemmen den sozialen Aufstieg noch zusätzlich.

Eine aktuell veröffentlichte Studie der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit weltweit 36 Mitgliedsländern, zeigt, dass die Einkommensungleichheit in den Mitgliedsländern seit den 1990er Jahren stetig zugenommen hat, während die soziale Mobilität abnimmt. Soziale Mobilität bezeichnet die Bewegung von Einzelpersonen oder Gruppen zwischen unterschiedlichen sozioökonomischen Positionen. Das bedeutet, dass es Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung nicht oder nur ganz schwer schaffen können, den sozialen Status, in den sie hineingeboren wurden, zu verbessern. Modellrechnungen zeigen, dass die soziale Ungleichheit extrem stark weitervererbt wird: In den untersuchten Ländern dauert es durchschnittlich etwa fünf Generationen, bis die Nachkommen einer armen Familie ein Durchschnittseinkommen erreichen können.

Die Aufstiegshürden sind je nach Land verschieden. Während der Wert für die nordischen Länder lediglich bei zwei bis drei Generationen liegt, beträgt er in Deutschland und Frankreich sechs und in einigen aufstrebenden Volkswirtschaften neun und mehr Generationen.

In Österreich brauchen Menschen, deren Vater zu den zehn Prozent mit den niedrigsten Einkommen zählte, ganze fünf Generationen, um an das durchschnittliche Lebensniveau anschließen zu können. Jedes dritte Kind, dessen Vater Geringverdiener ist, wird ebenfalls Geringverdiener. Bei den restlichen zwei Dritteln beschränken sich die Aufstiegsmöglichkeiten hauptsächlich auf die nächsthöhere Einkommensgruppe. Der soziale Aufstieg funktioniert also nur innerhalb sehr enger Grenzen.

Interessant ist, dass bestehende Ungleichheiten die Chancen auf den sozialen Aufstieg noch zusätzlich mindern. In den nordeuropäischen Ländern, wo geringerer Ungleichheit herrscht, sind die Chancen für einen sozialen Aufstieg höher. Am besten ist die soziale Durchlässigkeit in Dänemark. Dort braucht es nur zwei Generationen um aus ärmlichen Verhältnissen den Aufstieg in eine normale Einkommensdimension zu schaffen. Hohe Ungleichheit verstärkt also geringe Aufstiegsmöglichkeiten.

Armut ist kein Ansporn zum Aufstieg

Die Chancenungleichheit hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verstärkt. Während für viele Menschen, die zwischen 1955 und 1975 geboren wurden, und deren Eltern einen geringen formalen Bildungsstand hatten, noch ein hohes Maß an Einkommensmobilität Realität war, stagniert diese Beweglichkeit für die nach 1975 Geborenen.

In einem Zeitraum von vier Jahren schafften es 60 Prozent der Menschen in der Einkommensgruppe der unteren 20 Prozent nicht, in eine höhere Einkommensgruppe zu gelangen. Die Zahlen belegen, dass Armut kein Ansporn zum Aufstieg ist.

Die Verteilungsunterschiede verfestigen sich weiter und bevorzugen die Wohlhabenden: Im Durchschnitt schaffen es 70 Prozent der Menschen in den oberen 20 Prozent der Vermögensskala, in dieser Einkommensgruppe zu bleiben. In den Haushalten der Mittelschicht rutschte jeder siebte, und in den Haushalten nahe an den unteren 20 Prozent stieg jeder fünfte in die unteren 20 Prozent ab.

Geringe Aufstiegschancen in Österreich

Michael Förster und Sebastian Königs von der Abteilung für Sozialpolitik in der OECD kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass Österreich im Vergleich mit anderen OECD Ländern zwar eine relativ geringe Einkommensungleichheit aufweist, bei der sozialen Mobilität aber trotzdem weit zurückliegt. Bei uns wird ein beträchtlicher Teil des sozioökonomischen Erfolgs bzw. Misserfolgs von einer zur nächsten Generation vererbt. Mehr als in anderen Ländern bestimmt der Verdienst des Vaters den seiner Kinder im Haupterwerbsalter. Beschäftigungs- und Bildungsergeb­nisse verfestigen sich über die Generationen hinweg sehr stark – besonders bei Frauen und MigrantInnen.

Die Chance auf eine Veränderung der eigenen Einkommenssituation im Laufe des Lebens beurteilen die Studienautoren als sehr gering: Vor allem Personen, die sehr viel verdienen und solche am unteren Ende der Einkommensskala ändern ihren Status selten. Auffallend ist eine zunehmende Polarisierung bei den mittleren Einkommen, für die untere Mittelschicht steigt auch in Österreich das Risiko für einen Abstieg. Frauen haben im Erwerbsverlauf insgesamt geringere Aufstiegschancen und größere Abstiegsrisiken als Männer.

Sozialstaat federt Ungleichheiten ab

Ähnliches zeigt eine Erhebung von Martin Schürz und Pirmin Fessler, Vermögensforschern in der Nationalbank, die sich mit Mobilität in der Vermögensverteilung befasst. Die Ungleichheit der Einkommen dürfe nicht isoliert von der Ungleichheit der privaten Vermögen betrachtet werden. So könne etwa ein bestimmtes Einkommen für einen gesunden Menschen mehr als ausreichend sein, im Falle schwerer und kostenintensiver Erkrankungen bzw. besonderer Bedürfnisse durch eine chronische Beeinträchtigung aber deutlich zu wenig sein. Je nachdem, welche Leistungen in solchen Fällen über den Sozialstaat angeboten werden, könnten Menschen in prekäre Situationen kommen, oder aber, etwa aufgrund eines sozialstaatlich organisierten Gesundheitssystems, keinerlei Einschränkungen erleben.

Auch für die Lebensverhältnisse der besonders vermögens- oder einkommensreichen Menschen sei der staatlich organisierte Schutz ihres Privateigentums und die öffentliche Sicherheit essentiell. In vielen Ländern müssten beson­ders vermögende Menschen daher mehr Geld für den Schutz ihres Eigentums und ihrer eigene Sicherheit ausgeben, als in Österreich.

Schieflage für Benachteiligte ausgleichen

Um die soziale Mobilität zu erhöhen, regt die OECD an, verstärkt in Bildung, insbesondere in jungen Jahren, zu investieren. Auch in den Bereichen Gesundheit und Familien müsste die Politik Maßnahmen setzen, die gerechtere Bedingungen für benachteiligte Kinder schaffen. So könnten die Auswirkungen finanzieller Ungleichheiten in Zukunft abgeschwächt werden.

Die OECD empfiehlt weiters Investitionen in Infrastruktur und öffentlichen Verkehr, die Schaffung von leistbarem Wohnraum und eine verbesserte Stadtplanung, die dazu beitragen solle, regionale Unterschiede und die Konzentrationen benachteiligter Haushalte in den Städten zu verringern.

Aufhorchen lässt auch die Forderung, den Kampf gegen Steuerhinterziehung bei Erbschaften und Schenkungen zu verstärken und die Steuersysteme so zu gestalten, dass es angemessene Freibeträge und Steuersätze gibt, die soziale Aufstiegschancen erleichtern. Als weitere Hilfestellungen für eine Verbesserung der Lebenssituation empfiehlt die OECD stärkere soziale Sicherheitsnetze und mehr Angebote zur Weiterbildung. Sozialansprüche sollten mit einzelnen Personen und nicht mit den Arbeitsplätzen verknüpft werden – das würde insbesondere Geringverdienern, dabei helfen, den Verlust ihres Arbeitsplatzes besser aufzufangen.

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