In dem Sammelband kommen verschiedene AutorInnen zu einem brandaktuellen Thema zu Wort: zur ungleichen Verteilung der unbezahlten Versorgungsarbeit.
Die Zahlen sprechen Bände: Frauen verbringen damit in Österreich täglich durchschnittlich 266 Minuten, Männer investieren mit 108 Minuten nicht einmal halb so viel Zeit für Kochen, Putzen, Wäschewaschen und Erziehungsarbeit, aber auch für die Pflege und Betreuung von Alten oder Kranken, die zu 80 Prozent von Angehörigen geleistet wird. Würde man diese jährlich rund neun Milliarden Arbeitsstunden bezahlen, würde das etwa 100 Milliarden Euro kosten.
Auch außerhalb des Familiensystems nimmt unbezahlte Arbeit einen wichtigen Stellenwert ein: im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen oder der Nachbarschaftshilfe. 46 Prozent der ÖsterreicherInnen ab 15 Jahren gehen einer freiwilligen unbezahlten Tätigkeit nach und leisten damit eine wichtige Ergänzung zu sozialversicherungspflichtiger Arbeit im Sozialstaat: sie trainieren Fußballmannschaften, schöpfen Suppe für Obdachlose, kümmern sich um ihre kranken Nachbarn oder pflegen die Jüngsten, Schwachen und Ältesten der Gesellschaft.
Das Buch versucht die Ursachen für die ungleiche Verteilung zu ergründen und geht dabei an die Wurzeln allseits bekannter Klischees. Benjamin Breitegger gibt Einblicke in die schwierige Burschenarbeit, wo es darum geht verrostete Stereotypen, welche die freie Entwicklung der Buben oft hemmen, aufzubrechen und das Spektrum männlicher Rollenbilder zu verbreitern. Das Ziel ist es, den jungen Männern mehr Entwicklungsoptionen anzubieten und die Bereitschaft zu fördern, soziale Verantwortung zu übernehmen.
Gemeinsame Kinder sind meist die Ursache, warum Frauen länger vom Arbeitsmarkt fern bleiben. Obwohl es seit 2004 einen Rechtsanspruch auf Väterkarenz gibt, bezogen 2017 lediglich 3,8 Prozent der Väter Kinderbetreuungsgeld. Wenn sie in Karenz gehen, dann meist nur kurz. Reale Beispiele zweier Paare mit Kind zeigen, wie es funktionieren kann traditionelle Geschlechterrollen aufzubrechen.
Doch es ist nicht immer leicht, gegen gewachsene gesellschaftliche Normen anzukämpfen. Christian Berger und Jelena Gucanin illustrieren den gesellschaftlichen Tenor im Lande: Eine kurze Auszeit vom Beruf ist für Väter eine coole Sache, sie gelten rasch als männliche Vorbilder. Die vielen Mamajahren die dem coolen Papamonat gegenüberstehen, werden selten thematisiert – die Mutterliebe wird von den Frauen erwartet. Das böse Erwachen zeigt sich dann bei niedrigen Frauenpensionen oder Abhängigkeiten vom männlichen Ernährer.
Beim Pflegethema stellen Philip Pramer, Gabriele Scherndl und Elisa Tomaselli eine mutige These auf: Könnte es sein, dass jene zehntausenden 24-Stunden-Betreuerinnen aus Rumänien und der Slowakei, die jeden Monat nach Österreich kommen um hier bezahlte Sorgearbeit zu leisten, die traditionellen Rollenbilder in ihren Heimatländern aufbrechen? Wer aber leistet dann dort die unbezahlte Arbeit?
Sibylle Hamann stellt dem das holländische Pflegemodell „Buurtzorg“ entgegen, das sogenannten „Community Nurses“, die sowohl medizinisch als auch sozialarbeiterisch ausgebildet sind, ein hohes Maß an Eigenverantwortung überträgt. In Teams zu je acht bis elf Personen – fast ausschließlich Frauen – übernehmen sie in einem Stadtviertel für jeweils 40 bis 50 PatientInnen die umfassende Betreuung daheim.
Aus gewerkschaftlicher Sicht sind all diese Sozialthemen eine große Chance für die Aufwertung des Dienstes am Menschen, der derzeit von schlechter Bezahlung, personellen Engpässen und hoher Arbeitsbelastung geprägt ist. Das Buch hilft dabei, bezahlte und unbezahlte – gesellschaftlich gesehen – aber jedenfalls unbezahlbar wertvolle Arbeiten neu wahrzunehmen und will die Lust wecken, neue Wege zu einem gerechteren Miteinander einzuschlagen.
Elisa Tomaselli (Hrsg.)
Wen kümmert´s? Die (un-)sichtbare Sorgearbeit in der Gesellschaft.
ÖGB Verlag, ISBN 978-3-99046-433-5, 172 Seiten, 19,90 Euro