„Die Flexilehre ist ein Einfallstor für prekäre Beschäftigung“

ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer im Kompetenz-Interview
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Susanne Hofer ist die erste weibliche Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend ÖGJ. Im Kompetenz-Interview erklärt sie, warum sie weder die Pflegelehre noch die „Flexilehre“ für eine gute Idee hält.

KOMPETENZ: Susanne, wie bist du zur Gewerkschaft gekommen?

HOFER: Ich habe mich in der Steiermark bei einer SchülerInnenvertretung engagiert, dort bin ich erstmals mit der Gewerkschaft in Berührung gekommen. Ich hatte das Glück, dass ich durch mein Studium ausreichend Zeit dafür hatte. Später wurde ich zur Vorsitzenden der GPA-djp-Jugend gewählt und unlängst durfte ich bei der gesamten ÖGB-Jugend das Ruder übernehmen. Seit 2017 arbeite ich in Graz als Assistentin für Kinder mit Beeinträchtigungen bei der Lebenshilfe – ich bin seit Juni 2018 aber für Gewerkschaftsarbeit freigestellt.

Bei der Gewerkschaft bin ich auch zuständig für die Anliegen der Lehrlinge. Bei der Lehre lernt man einerseits in einem Betrieb, andererseits besucht man die Berufsschule. In Österreich gibt es aktuell über 200 Lehrberufe für mehr als 100.000 Lehrlinge.

KOMPETENZ: Nur ein Drittel aller Lehranfänger ist weiblich, fast die Hälfte davon strebt sehr traditionelle Jobs an, wie Friseuse, Verkäuferin oder Bürokraft. Was gibt es da nachzubessern?

HOFER: Viele junge Menschen wissen gar nicht wie groß das Angebot ist und greifen daher auf das Alt-Bekannte zurück.

Ein Lösungsansatz wäre eine frühere Berufsorientierung: Die Regierung will das ab der neunten Schulstufe forcieren. Aus unserer Sicht, und das ist durch Studien belegt, setzt die Berufsorientierung damit zu spät an. Wir brauchen eine Berufsorientierung, die in der schulischen und vorschulischen Erziehung integraler Bestandteil ist und schon im Kindergarten beginnt. Nur so können Rollenbilder aufgebrochen werden.

KOMPETENZ: Die Anzahl der Lehrlinge ist bis 2017 stark zurückgegangen, erst seit 2018 gibt wieder es einen leichten Aufwärtstrend. Die neue Regierung will daher die Lehre aufwerten.

„Für die Aufwertung der Lehre braucht es aber auch mehr Geld für Berufsschulen. Sieht man sich die Klassenzimmer an, da ist oft der Overhead-Projektor das modernste.“

Susanne Hofer

HOFER: Wir fordern das schon seit einigen Jahren, weil die Lehre noch immer als Bildung zweiter Klasse gilt.

Für ihre Aufwertung braucht es aber auch mehr Geld für Berufsschulen. Sieht man sich die Klassenzimmer an, da ist oft der Overhead-Projektor das modernste. Wie will man vor dem Hintergrund der fortschreitende Digitalisierung damit Lehrlingen vermitteln, was sie brauchen und womit sie im Beruf umgehen müssen?

Susanne Hofer spricht sich dafür aus Lehrstellen alle 5 Jahre zu überprüfen: „Nach 10 oder 20 Jahren kann es aber sein, dass die Ausbildung nicht mehr neusten Standards entspricht.“
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Großgeschrieben wird auch die Qualitätssicherung in der Lehre. Was ist dafür von der Regierung in Planung?

Darf man in Österreich einmal einen Lehrling ausbilden, so darf man das für immer. Nach 10 oder 20 Jahren kann es aber sein, dass die Ausbildung nicht mehr neusten Standards entspricht. Daher sollen die Lehrstellen alle fünf Jahre einer Überprüfung unterzogen werden. Das zeigt den guten Willen der Regierung. Man muss aber sehen wie viel Geld da wirklich investiert wird.

Man plant auch die verpflichtende Weiterbildung der Ausbildner. Das ist eine unserer langjährigen Forderungen, das begrüßen wir sehr.

„Etwa zehn Prozent der Lehrlinge treten erst gar nicht zur Lehrabschlussprüfung an, weil sie sich das nicht zutrauen.“

Susanne Hofer

Aber auch die Ausbildungsfortschrittskontrolle der Lehrlinge ist ein wichtiger Hebel. Anders als in der Schule gibt es in der Lehre nur eine große Prüfung am Ende der Ausbildung, die Lehrabschlussprüfung. Davor gibt es keine Teilprüfungen um zu sehen auf welchem Stand die Lehrlinge stehen. Etwa zehn Prozent treten erst gar nicht zur Lehrabschlussprüfung an, weil sie sich das nicht zutrauen.

KOMPETENZ: Wie steht es um die Arbeitsbedingungen in der Lehre? Die GPA-djp fordert eine Mindestlehrlingsentschädigung…

HOFER: Ich würde mich gefrotzelt fühlen, wenn die Regierung sagt „Wir werten die Lehre auf“ und ein Teil davon ist die Lehrlingsentschädigung in Lehrlingsentgeld umzubennen, im Geldbörsel ändert sich aber nichts.

Die GPA-djp fordert einen Mindestlohn von 700 Euro für Lehrlinge. Im zweiten Schritt wollen wir das auf 850 Euro erhöhen. Da die Wirtschaftskammer auch eine Kampagne zur Aufwertung der Lehre macht, bin ich mir sicher, dass uns die Arbeitgeber bei den nächsten Kollektivvertragsverhandlungen dabei nicht im Weg stehen werden (lacht).

KOMPETENZ: Um den Fachkräftemangel auszugleichen soll eine Pflegelehre eingeführt werden.

HOFER: Wir lehnen die Pflegelehre ab, ebenso wie Arbeiterkammer und die Verbände von pflegenden Angehörigen. Die Pflege ist psychisch und körperlich ein extrem schwerer Beruf. Aufgrund des Fachkräftemangels gibt es in den meisten Betrieben keine Ressourcen um zusätzlich noch Lehrlinge auszubilden. Da kann keine qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleistet werden. Lehrlinge in der Pflege wären billige Hilfskräfte, mehr nicht.

KOMPETENZ: Mit der Flexilehre soll Menschen mit Kleinkindern oder Betreuungsverpflichtungen die Möglichkeit gegeben werden eine Lehre zu machen. Spricht da etwas dagegen?

HOFER: Die Teilzeitlehre gibt es bereits. Man ist nur die halbe Zeit der Woche im Betrieb, bekommt dafür aber auch nur das halbe Gehalt. Dafür dauert die Lehre zwei Jahre länger, also sechs Jahre. Für uns ist das keine gute Lösung. Man sollte lieber die Kinderbetreuung ausbauen sowie die Möglichkeit schaffen außerordentlich zur Lehrabschlussprüfung anzutreten.

„Die Flexilehre ist ein Einfallstor für prekäre Beschäftigungen. Das kann für junge Frauen zur Armutsfalle werden.“

Susanne Hofer

Die Flexilehre ist ein Einfallstor für prekäre Beschäftigungen. Das kann für junge Frauen zur Armutsfalle werden.

KOMPETENZ: Die Regierung will arbeitslose Jugendliche unter 25 motivieren eine Lehre, auch in einem anderen Bundesland, zu beginnen. Auch bei Asylberechtigten will man, wie es heißt, „die Mobilität stärker fördern“.

HOFER: Ich finde das schwierig. Für mich hört sich das so an: Wir haben Fachkräftemangel in der Gastronomie in Tirol, weil dort die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Jugendliche, die in Wien keine Lehrstelle finden schickt man daher zum Arbeiten nach Tirol.

Da will man willige Arbeitskräfte für Problembranchen lukrieren. Ich finde es ziemlich frech, junge Menschen auszunutzen, die sich schwer tun oder weniger Chancen haben.

KOMPETENZ: 2008 bis 2017 haben sich 30 Prozent der Unternehmen aus der Lehre zurückgezogen. Mit dem sogenannten Blum-Bonus Neu will die Regierung insbesondere Klein- und Mittelbetriebe finanziell unterstützen, die sich in der Lehrlingsausbildung engagieren.

HOFER: Ich finde prinzipiell gut, wenn ausbildende Betriebe gefördert werden. Die Frage ist nur woher das Geld kommt. Wir fordern stattdessen einen Ausbildungsfond, die Fachkräftemilliarde. Betriebe, die nicht ausbilden, sollen ein Prozent ihrer Bruttolohnsumme abgeben und ausbildende Betriebe werden nach Qualitätskriterien gefördert, nicht nach Masse.

Kompetenz: Ende letzten Jahres wurde ein Abschiebestopp für Lehrlinge während ihrer Ausbildungszeit beschlossen. Wie bewertest du diese Initiative?

„Ich finde es eine Frechheit, dass man Lehrlinge abschiebt, wenn ihre Ausbildung zu Ende ist.“

Susanne Hofer

HOFER: Ich finde es eine Frechheit, dass man Lehrlinge abschiebt, wenn ihre Ausbildung zu Ende ist. Dabei brauchen wir sie als Fachkräfte! Man behält sich die billigen Lehrlinge für die Mitarbeit im Betrieb und schickt sie dann weg. Gut integrierte Menschen, die fertig ausgebildet sind, werden abgeschoben. Das ist einfach nur dumm.

Wir von der GPA-djp wollen, dass Menschen auch nach ihrer Lehrzeit in Österreich bleiben können.

KOMPETENZ: Wie würdest du die Regierungspläne im Bereich der Lehre abschließend beurteilen?

HOFER: Zusammenfassend kann man sagen, die Lehre braucht mehr als ein paar Namensänderungen. Wir brauchen wirkliche Reformen in der Lehrlingsausbildung. Was die Regierung auf den Tisch legt ist viel zu wenig.

Wir von der GPA-djp werden das natürlich weiter beobachten.

Zur Person

Susanne Hofer ist die erste weibliche Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend ÖGJ. Seit 2017 ist sie als Assistentin für Kinder mit Beeinträchtigungen bei der Lebenshilfe Steiermark beschäftigt. Seit Juni 2018 ist sie für Gewerkschaftsarbeit freigestellt und zuständig für die Anliegen von Lehrlingen.

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