Das Ungleichheitsvirus

In Brasilien wird der Kontrast zwischen arm und reich besonders deutlich. Wer arm ist erholt sich nicht nur langsamer von der Wirtschaftskrise sondern hat auch ein höheres Risiko an Corona zu erkranken und zu sterben.
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In einer Sammelstudie kommt die NGO OXFAM zum Schluss die Maßnahmen gegen die Coronakrise verschärfen die Armut. Was dagegen zu tun sei, sei längst bekannt.

„Die Corona-Pandemie stellt eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit dar: Erstmals seitdem Ungleichheit statistisch erfasst wird, droht sie in praktisch allen Ländern zur gleichen Zeit anzusteigen.“ Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der britischen Organisation OXFAM unter dem Titel „Wie die Corona-Pandemie soziale Ungleichheit verschärft und warum wir unsere Wirtschaft gerechter gestalten müssen“. Die NGO hat dafür 295 WirtschaftswissenschaftlerInnen aus 79 Ländern befragt, darüber hinaus wurden eigene Berechnungen angestellt. Das Ergebnis zeigt, es bedarf eines groben Umbaus der Wirtschaft, dass alle Menschen von der gemeinsamen Wertschöpfung profitieren.

Einkommensunterschiede vergrößern sich

Ganze 87 Prozent der befragten ÖkonomInnen gehen davon aus, dass sich die Einkommensunterschiede in ihren jeweiligen Ländern durch die Coronakrise noch weiter auseinander bewegen werden. Besonders betroffen davon sind schon jetzt Menschen im informellen Sektor, die von Sozialleistungen, wie Arbeitslosenunterstützung oder Krankengeld ausgeschlossen  sind. Rund 61 Prozent der Arbeitenden weltweit werden dem informellen Sektor zugerechnet, darunter LieferantInnen, TaxifahrerInnen, Markt- und StraßenhändlerInnen, Wachleute, Reinigungskräfte, FabrikarbeiterInnen, BäuerInnen, Hausangestellte und BauarbeiterInnen. Durch die mangelnde Absicherung treffen sie Maßnahmen, wie die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Stillstand globaler Lieferketten völlig ungebremst. Viele von ihnen verlieren damit ihr Einkommen zur Gänze. „Sie geraten in kürzester Zeit in Existenznot,“ so der Bericht.

Gender pay gap

Die schon bestehenden Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern verschärfen sich durch die Krise und ihre ungerecht ausgestalteten Bewältigungsmaßnahmen.

„Weltweit sind rund 740 Millionen Frauen in der informellen Wirtschaft tätig, unter anderem in Dienstleistungssektoren, wie dem Tourismus und der Gastronomie.“

Oxfam-Bericht

Insbesondere in den ärmeren Ländern arbeiten bis zu 92 Prozent der Frauen in informellen Arbeitsverhältnissen. Das bringt mehr Unsicherheit und größere Risiken mit sich: „Weltweit sind rund 740 Millionen Frauen in der informellen Wirtschaft tätig, unter anderem in Dienstleistungssektoren, wie dem Tourismus und der Gastronomie.“ Das Risiko einer Infektion mit Covid-19 ist damit unter den von Armut betroffenen Menschen größer als im Bevölkerungsdurchschnitt, insbesondere unter Frauen. Auch die Befragung der ÖkonomInnen hat gezeigt, dass man von einem zunehmenden Gender-Paygap ausgehen muss, auch Nicht-Weiße werden ökonomisch zunehmend benachteiligt. Armut und Gesundheitsrisiko gehen also Hand in Hand: In Brasilien etwa ist es für Schwarze um 40 Prozent wahrscheinlicher an COVID-19 zu sterben, als für Weiße.

Reiche werden reicher

Trotz Pandemie konnten große Konzerne auch während der anhaltenden Wirtschaftskrise  Milliardengewinne an ihre AktionärInnen ausschütten. Allein beim deutschen Autohersteller BMW wurden über 1,6 Milliarden Euro an Dividenden ausgezahlt während im vergangenen Frühjahr  20.000 MitarbeiterInnen Kurzarbeitergeld bezogen haben.

Zwar mussten auch MilliardärInnen krisenbedingte Einbußen hinnehmen. Nach nicht nur 9 Monaten hatte ihr Vermögen aber bereits wieder den Stand von vor der Pandemie erreicht. Für die ärmsten Menschen wird das dagegen 14 mal so lang dauern.

Zwar hatten auch Reiche und Superreiche krisenbedingte Einbußen. Im Gegensatz zu den Ärmeren erholen sich Reiche wirtschaftlich viel schneller als andere von der gegenwärtigen Krise. „Es dauerte nur neun Monate, bis das Vermögen der reichsten 1.000 MilliardärInnen wieder den Stand von vor der Pandemie erreicht hatte. Für die ärmsten Menschen der Welt könnte die Erholung 14-mal länger dauern, also länger als ein Jahrzehnt.“

„In vielen Teilen der Welt erhalten Top-ManagerInnen in einer Woche mehr Lohn als einE ArbeiterIn in einem ganzen Jahr.“

Oxfam-Bericht

Im letzten Jahr ist das Vermögen der zehn reichsten Männer der Welt um fast eine halbe Billion auf 1,12 Billionen US-Dollar angestiegen – nicht nur trotz, sondern auch wegen der Pandemie. Dieser Gewinn würde ausreichen um die gesamte Weltbevölkerung  gegen Covid-19 zu impfen und vor Verarmung zu bewahren. Ein anderes, moralisch kaum zu rechtfertigendes Missverhältnis zeigt sich bei den Managergehältern: „In vielen Teilen der Welt erhalten Top-ManagerInnen in einer Woche mehr Lohn als einE ArbeiterIn in einem ganzen Jahr.“

Zwei Drittel der befragten ÖkonomInnen sind daher der Meinung, dass „ihre Regierung keine Strategie zur Bekämpfung der Ungleichheit“ hätte, so der Bericht. Tatsächlich tragen „vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie ArbeiterInnen“ die Hauptlast der Krise, davon überproportional die Frauen. Eine Erkenntnis, die alarmieren sollte. Und dabei wird sich die Lage noch zuspitzen.

Wirtschaftskrise voraus!

Den Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise gelingt es also nicht nur den Großteil der Menschen nicht vor akuter Verarmung zu schützen, sondern sie verschärfen die Kluft zwischen Arm und Reich weiter. Demzufolge brauche es Programme, um der Gesundheitskrise UND der Armut zu begegnen. Die Lösung liegt auf der Hand: „Damit die notwendigen Maßnahmen finanziert werden können, müssen Konzerne und Superreiche ihren fairen Anteil zur Bewältigung der Krise beitragen,“ so die StudienautorInnen.

Gesundheitssysteme, Bildung und soziale Sicherungen funktionieren nur, wenn Staaten Geld dafür aufbringen können. Durch den Ausfall des Tourismus, zunehmender Kapitalflucht, den sinkenden Investitionen aus dem Ausland und dem Wertverfall von Rohstoffen fehlt dieses Budget oft. Insbesondere ärmere Staaten leiden unter den ausbleibenden Schuldenerlassen, wodurch der Handlungsspielraum der jeweiligen Regierungen zusätzlich eingeschränkt ist. Dass diese Engpässe nicht nur theoretischer Natur sind, zeigen chronisch unterfinanzierte öffentliche Gesundheitssysteme. „Zehn afrikanische Länder hatten zu Beginn der Krise zum Beispiel keine Beatmungsgeräte und weltweit hat ein Viertel der Gesundheitseinrichtungen kein sauberes Wasser zur Verfügung.“ Schon die Wirtschaftskrise 2008 hat gezeigt, dass geschrumpfte Staatshaushalte vor allem Arme treffen. Die Post-2008-Kürzungen im Sozialbereich gaben der Ungleichheit noch mehr Aufwind: „Diese Maßnahmen betrafen drei Viertel der Weltbevölkerung“ heißt es in dem Bericht.

Gerechte Wirtschaftweise

Zwar gäbe es die Maßnahmen um die ökonomische Gerechtigkeit zu fördern –  eine Mindestbesteuerung von Konzernen, eine höhere Besteuerung großer Vermögen und eine umfassende Finanztransaktionssteuer – umgesetzt werden sie jedoch nicht, obwohl sie unschätzbar effektiv wären. Eine einmalige Besteuerung von den größten Konzerngewinnen würde 140 Milliarden US-Dollar einbringen, „genug, um alle ArbeitnehmerInnen vor Arbeitslosigkeit zu schützen und alle Kinder und ältere Menschen in den wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Ländern finanziell zu unterstützen.“

OXFAM fordert daher die Coronakrise als Wendepunkt zu sehen. „Es gilt: Keine demokratische Gesellschaft ohne demokratische Wirtschaft.“ Doch dafür sind öffentliche Bildungs-, Gesundheits- und soziale Sicherungssysteme notwendig. Privatisierungen müssten rückgängig gemacht werden und Wohlhabende bzw. ihre Unternehmen sollten einen „fairen Anteil zum Allgemeinwohl“ beitragen. Die Unternehmen müssten im Sinne der Demokratisierung umgebaut und zukünftig am Gemeinwohl orientiert werden. Das müsse ebenso messbar sein, wie Verantwortliche dafür haftbar gemacht werden müssten. Zuletzt müsse der Markt umstrukturiert werden: „Vielfältige, inklusive und durchlässige Marktstrukturen, statt exzessiver Machtkonzentration bei einzelnen Konzernen.“ Das beinhalte unter anderem ein gemeinwohlorientiertes Kartellrecht, sowie Regulierungen, welche eine gerechte Verteilung von Gewinnen entlang der Lieferkette sicherstellen sollen.

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