Wenig Menschen wollen in einem Pflegeberuf arbeiten. Obwohl händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, fehlen in Österreich wichtige Rahmenbedingungen. Implacement Stiftungen, die Umschulungen im Pflegebereich begleiten, sind ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Perspektive ist alarmierend, wenn nicht bald etwas getan wird: In der Pflege fehlt es an Geld und Arbeitskräften, der Zeitdruck ist enorm, das Personal häufig überarbeitet. Mit der steigenden Lebenserwartung und der baldigen Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge, steuert Österreich auf einen Pflegenotstand zu. Bereits jetzt suchen Spitäler, Heimträger, mobile Pflegedienste und Tageszentren händeringend nach Heimhilfen, PflegeassistentInnen und diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal. Derzeit sind 67.000 Menschen in der österreichischen Pflege beschäftigt, doch Prognosen zufolge benötigen wir bis zum Jahre 2030 bundesweit 143.000 Pflegefachkräfte. Um zu handeln, bleiben also bloß noch neun Jahre.
Pflegeberufe müssen attraktiver werden
„Es wird dringend notwendig sein, die Rahmenbedingungen der Pflege zu verbessern“, erklärt die GPA-Wirtschaftsbereichssekretärin Stephanie Veigl. „Ganz konkret geht es natürlich um Bezahlung und Arbeitszeiten – die müssen lukrativer und attraktiver werden, wenn der Pflegebedarf gedeckt werden soll.“ Um Menschen den Einstieg in die Pflege-Branche schmackhafter zu machen, muss das Berufsbild verbessert werden. Einerseits durch bessere Arbeitsbedingungen: die 2022 in Kraft tretende Arbeitszeitverkürzung auf eine 37-Stunden-Woche ist ein wichtiger Schritt zu weiteren Arbeitszeitverkürzungen, notwendig ist jedoch die von der GPA geforderte flächendeckende 35-Stunden-Woche.
Denn die Dienstpläne der Pflegekräfte werden immer herausfordernder und anstrengender – oft sind die Arbeitsstunden quer über den ganzen Tag verteilt: etwa von morgens 6h bis 11h und erneut von 16h bis abends um 20h. Die Stunden dazwischen lassen sich kaum sinnvoll nutzen. Zudem müssen die ArbeitnehmerInnen längst auch das Risiko der Arbeitgeber mittragen: ist die Auftragslage schlecht, werden den Beschäftigten Stunden gekürzt – ist sie jedoch positiv, werden Mehr- und Überstunden vorausgesetzt. Das macht die ohnehin strapaziöse Tätigkeit im Pflege-und Sozialbereich noch zusätzlich schwieriger. Nicht viele wollen daher in diese Branche wechseln. So sind Arbeitssuchende, die vorher in der Industrie beschäftigt waren, kaum an einen Umstieg in den Pflegebereich interessiert. „Warum ist das so? Weil sie sich mehr Geld und Erholungszeit für diese körperlich und psychisch belastende Arbeit erwarten als es aktuell der Fall ist“, merkt Stephanie Veigl noch an.
Umstieg in die Pflege erleichtern
Die Gewerkschaften haben sich Gedanken gemacht und das Programm „Zukunft braucht Pflege“ initiiert. Um die Lücke – immerhin 76.000 Stellen– bei den Pflegekräften zu schließen, soll es Menschen aus anderen Sparten leichter gemacht werden, in die Pflege-Branche umzusteigen. Mit einem vom ÖGB entwickelten Ausbildungsmodell sollen viele der aktuell über 500.000 gemeldeten Arbeitslosen angesprochen werden.
Im ersten Schritt wird abgeklärt, ob Interessierte überhaupt für die Pflege-Branche geeignet sind. „Gerade für arbeitslose Menschen gibt es nichts Schlimmeres, als zu scheitern“, weiß die ÖGB-Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka. Eine begonnene Ausbildung wieder abbrechen zu müssen, sollte freilich vermieden werden: „Deshalb ist die Abklärung im Vorfeld so bedeutsam“.
„Vielen Menschen das Leben zu erleichtern, das ist natürlich auch ein schöner Beruf“
Stephanie Veigl, Gewerkschaft GPA
Wer in die Pflege einsteigen oder wechseln will, muss körperlich unbedingt belastbar sein, darf keine Probleme mit Gerüchen aller Art haben, benötigt eine riesige Portion Geduld– denn auch wenn der Stress überbordend wird, muss eine Pflegekraft freundlich bleiben. Bisweilen ein Kunststück. Die persönlichen Schicksale der zu pflegenden Menschen berühren die MitarbeiterInnen – sie dürfen allerdings nicht zur Belastung werden. Auch das ist eine der beruflichen Gratwanderungen. Aber der Beruf kann auch sehr erfüllend sein. GPA-Expertin Veigl von der Gewerkschaft GPA: „Vielen Menschen das Leben zu erleichtern, das ist natürlich auch ein schöner Beruf“. Und eine Berufung.
Bundesweite Implacement-Stiftung im Pflegebereich
Im nächsten Schritt werden für die Pflege-Branche geeignete Arbeitsuchende an einen Arbeitgeber vermittelt und ausgebildet – das bedeutet Unterricht in Theorie und zeitgleich die nötige Praxis beim zukünftigen Arbeitgeber. „Wenn ich nach der Schulung einen fixen Job habe, ist das eine tolle Motivation“, zeigt sich auch die Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka von der Kombination aus festem Arbeitsplatz und praxisnaher Ausbildung überzeugt.
Betreut sollen die TeilnehmerInnen dabei von einer so genannten Implacement Stiftung werden. Sie fungiert als Mittler zwischen ArbeitnehmerInnen, Unternehmen und dem Arbeitsmarktservice und soll Anliegen koordinieren. Der ÖGB hat viel Erfahrung mit Implacement Stiftungen. Es gibt auch bereits intakte Strukturen der Sozialpartner, die genutzt werden können – auch für eine bundesweite Implacement-Stiftung im Pflegebereich. AUFLEB, die Stiftung des ÖGB und der WKÖ wäre in der Lage, ein bundesweites Stiftungskonzept zu erarbeiten.1995 gegründet vermittelt AUFLEB seit bald 26 Jahren Menschen in den Arbeitsmarkt.
„Wir sind der Meinung, dass die Umschulung mit dem Bezug des normalen Arbeitslosengeldes auf längere Sicht finanziell sehr schwierig durchzuhalten ist“
Silvia Ledwinka, ÖGB
Die finanzielle Absicherung der SchulungsteilnehmerInnen ist ein weiterer essentieller Punkt, macht ÖGB-Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka deutlich: „Wir sind der Meinung, dass die Umschulung mit dem Bezug des normalen Arbeitslosengeldes auf längere Sicht finanziell sehr schwierig durchzuhalten ist“. Alle Stiftungs-SchulungsteilnehmerInnen sollen deshalb mit den Mitteln des Bundes jeweils auf 1.300 Euro netto im Monat kommen. Üblicherweise zahlt der künftige Arbeitgeber einen Beitrag in die Stiftung, damit die/der Auszubildende mehr als das Arbeitslosengeld bekommt.
Die Anbieter von Pflegediensten, wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe etc., können sich das aber nicht leisten. „Deshalb sollte der Bund Geld in die Hand nehmen, denn es gibt kein besseres Investment in die Zukunft“, so Ledwinka.
Gesundheitsminister Rudi Anschober ist aufgefordert, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, um mehr Menschen für die Arbeit im Pflegebereich zu gewinnen, auszubilden und zu beschäftigen.
Unsere gute Pflege hat keine Almosen nötig
Eine zeitgemäße Sozialpolitik verteilt keine Almosen, sie verschafft Menschen das Recht auf Betreuung, Behandlung und Teilnahme am Erwerbsleben. Ein modernes Sozialsystem muss dabei genauso auf die Bedürfnisse wie auch die bisherigen Versäumnisse – oder neu entstandenen Probleme – der Gesellschaft eingehen. Unser sozialer Zusammenhalt beruht nicht zuletzt auf einem ausgebauten und sicheren Sozialstaat. Doch ohne entsprechende Kranken- und Altenpflege haben wir keine Zukunft. „Unsere Kranken- und AltenpflegerInnen sind tragende Säulen des Sozialsystems, sie stützen uns und unsere zu pflegenden Angehörigen. Applaus alleine reicht nicht – es ist höchste Zeit für gute Arbeitsbedingungen und eine adäquate Entlohnung.“ fasst Stephanie Veigl die Situation zusammen.