Seit mehr als 15 Jahren nimmt sich Gabriele Wurzer als Betriebsrätin der Anliegen und Sorgen ihrer rund 4.000 KollegInnen bei der Caritas in Wien – konkret der gemeinnützigen GesmbH – an. Dieser Teil der Caritas ist in den Bereichen mobile und stationäre Pflege, Behindertenbetreuung, der Versorgung von AsylwerberInnen und in der Familienhilfe aktiv.
In allen Einsatzfeldern geht es also um die „Arbeit mit Menschen, denen es nicht gut geht“, sagt Gabriele Wurzer. Sie achtet dabei darauf, dass es auch den MitarbeiterInnen nicht irgendwann nicht mehr gut geht. Beziehungsweise versucht sie es: etwa durch das Ausverhandeln zweier zusätzlicher Urlaubstage ab einer Betriebszugehörigkeit von einem Jahr. Oder durch die Etablierung eines Zeitwertkontos: hier können die MitarbeiterInnen so lange zusätzlich geleistete Stunden ansammeln, bis zumindest ein Monat an Zeitausgleich angesammelt ist. Den können sie dann am Stück verbrauchen – „manche lassen auch mehr Monate zusammenkommen“. Wichtig ist ihr aber auch, dass die Dienstpläne so gestaltet werden, dass jede/r die ihm/ihr zustehenden zwei freien Tage pro Woche zusammenhängend nehmen kann.
Ein Jahr Ausnahmezustand
Manches Mal wird die Realität dem Anspruch allerdings nicht gerecht – und das umso mehr, wenn, wie nun schon über ein Jahr lang auf Grund der Coronapandemie Ausnahmezustand herrscht. Dadurch spitzen sich die ohnehin im Sozial- und Pflegebereich schon schwierigen Arbeitsbedingungen weiter zu. In der Pflege muss vor allem der Personalschlüssel dringend angehoben werden, sagt Wurzer. Sie weiß, dass das auch die Caritas-Leitung so sieht: es fehlen allerdings die finanziellen Mittel.
» Derzeit leisten meine KollegInnen Unmenschliches, gehen an ihre Grenzen.«
Gabriele Wurzer
Daher appelliert Wurzer an die Politik, mit einer höheren Dotierung für bessere Pflege zu sorgen. Diese sei im Sinn der BewohnerInnen und der KlientInnen, aber eben auch im Sinn der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte. „Derzeit leisten meine KollegInnen Unmenschliches, gehen an ihre Grenzen.“ Die Situation habe sich durch COVID noch massiv verstärkt. Einerseits fallen immer wieder MitarbeiterInnen durch Erkrankung oder Quarantäne aus, das muss dann vom Rest des Teams abgefedert werden. Andererseits macht die nötige Schutzausrüstung die Arbeit physisch anstrengender. Und: Noch öfter als sonst waren die Pflegekräfte in diesem Jahr mit dem Tod konfrontiert.
Mobile Pflege
Ähnliches würden auch die MitarbeiterInnen in der mobilen Pflege berichten. Diese hat sich inzwischen professionalisiert, neben Heimhilfen sind hier auch PflegeassistentInnen sowie diplomiertes Gesundheits- und Krankenpersonal tätig. In den Haushalten werden heute zunehmend auch schwer erkrankte Personen gepflegt, die lieber zu Hause betreut werden möchten. Und das auch, wenn sie an COVID erkrankt sind: dann muss das BetreuerInnenteam entsprechende Schutzkleidung tragen. Wenn es um die Arbeitsbedingungen geht, ist die Terminplanerstellung immer wieder ein Thema. Hier werde von den MitarbeiterInnen viel – manchmal aus Sicht Wurzers zu viel – Flexibilität verlangt.
Die Herausforderungen für jene, die im Behindertenbereich KlientInnen betreuen, sind etwas andere. Hier kommt es immer wieder zu körperlichen Attacken, dabei werden Sozial- und BehindertenpädagogInnen und FachbetreuerInnen auch verletzt. Das Ziel ist hier, Arbeitsunfälle durch Aggressionen zu vermeiden. Dazu brauche es aber auch teils neue Ausbildungsinhalte, gibt Wurzer zu bedenken. Außerdem bräuchten immer mehr Menschen mit psychischen Problemen Betreuung. Hier brauche es zusätzliche Angebote.
MitarbeiterInnen, die nun in der Grundversorgung, in der AsylwerberInnen betreut werden, eingesetzt sind, sorgen sich um ihren Arbeitsplatz. Im Bereich der Begleitung von Jugendlichen (UMF) haben schon viele betreute Wohngemeinschaften wieder geschlossen. Beschäftigte in diesem Bereich können ohne entsprechende Ausbildung schwer in jenen Bereichen der Caritas eingesetzt werden, wo man ständig nach Arbeitskräften sucht, wie die Pflege oder auch die Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Immer wieder gelinge es aber doch, hier über eine Bildungskarenz Menschen neue Jobperspektiven zu eröffnen, freut sich Wurzer. Das ist aus Sicht der Betriebsrats-Vorsitzenden nur fair, denn: „Die Kolleginnen leisten in allen Bereichen tolle Arbeit und dass die Caritas so groß gewachsen ist und so einen guten Ruf hat, verdankt sie ihren MitarbeiterInnen.“
» Dass die Caritas so groß gewachsen ist und so einen guten Ruf hat, verdankt sie ihren MitarbeiterInnen.«
Gabriele Wurzer
Insgesamt ist ihr Credo: „Es gibt kein Problem, das man nicht lösen kann.“ Das gelte für sie privat wie beruflich. Wichtig ist ihr zudem: Gerechtigkeit und Professionalität müsse höher geschrieben werden als Eitelkeit. „Das würde ich mir auch von vielen Führungskräften wünschen.“ Grundsätzlich sieht sie bei der Caritas aber ein gutes Betriebsklima und ein gutes Einvernehmen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat. Eine große Errungenschaft ist der 2001, also vor 20 Jahren, abgeschlossene erste Kollektivvertrag im Sozialbereich. „Da waren wir in der Caritas Vorreiter.“ Ein Regelwerk gelte es aber auch mit Leben zu erfüllen – und MitarbeiterInnen zu ermuntern, ihre hier festgeschriebenen Rechte auch einzufordern. Genau deshalb ist Gabriele Wurzer Betriebsrätin geworden.
Zur Person
Gabriele „Gabi“ Wurzer, geb. 1961 in Wien, Ausbildung zur Textilkauffrau und zunächst in der Modebranche als Filialleiterin einer Modekette tätig. Als der Vater gesundheitliche Probleme entwickelte, Wechsel in den elterlichen Gastronomiebereich, parallel Schulungen für das Gastgewerbe. Nach dem frühen Tod des Vaters zunächst Geschäftsführerin in einem großen Konzern, dann neuerliche berufliche Umorientierung nach der Geburt ihrer Tochter, die sie alleine großzog. Ab 1993 Ausbildung zur Heimhilfe, seit 1996 bei der Caritas beschäftigt. Dort seit 2005 Betriebsrätin. Inzwischen langjährige Betriebsrats-Vorsitzende und dienstfreigestellt. Wurzer reist gerne nach Italien und in die Schweiz, mag gutes Essen, und kocht, liest und schwimmt in ihrer Freizeit. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Wien.