Die Datenlage zur Vermögensverteilung in Österreich ist dürftig. Ökonomin Franziska Disslbacher ging der Sache auf die Spur. Ergebnis: Ein Prozent der Haushalte verfügt über 37 Prozent des Vermögens.
KOMPETENZ: Zum Einstieg ganz grundsätzlich gefragt: Was wissen wir über die Verteilung von Vermögen in Österreich?
Disslbacher: Über die höchsten Vermögen, also die Hyper-Reichen, wissen wir nach wie vor viel zu wenig. Man kann aber generell sagen, dass die meisten Menschen kein nennenswertes Vermögen besitzen. Erst ab der oberen Mitte der Vermögensverteilung spielen etwa Immobilien im Eigentum eine Rolle. Wenn man weiter nach oben geht, werden die Vermögen nicht nur größer, sondern auch komplexer – mit Aktien, Unternehmensanteilen und Ähnlichem.
KOMPETENZ: Wie würden Sie die Gruppe der Hyper-Reichen definieren?
Disslbacher: Es geht hier um ganz wenige Menschen, die so viel Vermögen haben, dass damit auch Auswirkungen auf die Gesellschaft verbunden sein können – etwa durch mehr wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten und politischen Einfluss.
KOMPETENZ: Sie haben zum Thema Ungleichverteilung und Vermögenskonzentration eine aktuelle Studie veröffentlicht. Was haben Sie herausgefunden?
Disslbacher: Es waren zum Teil überraschende Ergebnisse: So verfügt in Österreich das oberste Prozent der Haushalte über 37 Prozent des Vermögens. Innerhalb der EU sind wir damit das Land mit der zweithöchsten Vermögensungleichheit, knapp hinter den Niederlanden. Selbst in den USA, die ja oft als Paradebeispiel für Ungleichheit herangezogen werden, liegt der Vergleichswert mit 35 Prozent darunter. Wobei man natürlich dazusagen muss, dass die Ungleichheiten für die Menschen hierzulande vergleichsweise gut abgefedert werden – durch einen ausgebauten Sozialstaat, öffentlichen Wohnbau, das öffentliche Bildungssystem etc.
„Innerhalb der EU sind wir damit das Land mit der zweithöchsten Vermögensungleichheit, knapp hinter den Niederlanden.“
Franziska Disslbacher
KOMPETENZ: Wie ist Vermögen definiert, was wird hier berücksichtigt?
Disslbacher: Wir sprechen hier von Netto-Vermögen: Das umfasst Sachvermögen wie Immobilien, Unternehmensbesitz, außerdem Wertgegenstände wie Kunstwerke oder Gebrauchsgegenstände wie Autos und Finanzvermögen, also Aktien, Anleihen oder auch Lebensversicherungen. All das abzüglich der Verschuldung ergibt das Netto-Vermögen.
KOMPETENZ: Die hohe Vermögenskonzentration in Österreich ist ein Aspekt, der in Ihrer Studie auffällt. Gibt es noch andere Überraschungen?
Disslbacher: Ja, es gibt noch einen zweiten Ausreißer. Dabei geht es darum, wie die Vermögensungleichheit gemessen wird. In vielen Ländern sind freiwillige Haushaltsbefragungen die einzige Datenquelle. Solche Befragungen sind aber problembehaftet, denn wir wissen, dass gerade vermögende Haushalte die Teilnahme häufig ablehnen oder unvollständige Angaben machen. Das heißt: In Summe werden die Vermögendsten mit solchen Methoden nicht sehr gut erfasst. Als Konsequenz wird das Gesamtvermögen in den Befragungsdaten hierzulande deutlich, nämlich um ein Drittel, zu niedrig eingeschätzt.
KOMPETENZ: Welche Methode haben Sie in Ihrer Studie angewandt, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen?
Disslbacher: Wir haben die Befragungsdaten mit so genannten Reichenlisten kombiniert. Das sind Listen, die in der Regel von JournalistInnen recherchiert und publiziert werden. Wir haben länderspezifische Listen berücksichtigt, zum Beispiel die Trend Liste für Österreich.
KOMPETENZ: Wie valide sind die Daten solcher Listen?
Disslbacher: Es ist eine Methode, mit der immer häufiger gearbeitet wird. Außerdem nehmen wir bei unseren Berechnungen auf potenzielle Fehler in den Listen Rücksicht. Tatsache ist, dass ForscherInnen auf diesem Gebiet nur mangels Alternativen auf solche journalistisch erstellten Datenquellen zurückgreifen.
KOMPETENZ: Welche Auswirkungen hat eine starke Vermögenskonzentration auf die Gesellschaft?
Disslbacher: Wir wissen aus Studien zu den USA, dass die Politik den Anliegen von Vermögenden mehr Gehör schenkt. Dazu kommt, dass in den vergangenen Jahrzehnten die gesellschaftliche Bedeutung von Vermögen im Vergleich zu den Einkommen stetig zugenommen hat. Und Vermögen kann für dessen EigentümerInnen unterschiedlichste Funktionen erfüllen: Wer etwa eine Immobilie hat, kann diese nutzen, wer ein großes Aktienpaket besitzt, kann damit Einkommen erzielen. Und bei sehr großen Vermögen kommt auch der Macht-Aspekt dazu.
„In Österreich kommen derzeit nur 1,3 Prozent des Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern. Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt sind es 5,7 Prozent.“
Franziska Disslbacher
KOMPETENZ: Die Ungleichheit und hohe Konzentration von Vermögen ist kein Naturgesetz, sondern vom Menschen gemacht. Wie müsste man Ihrer Ansicht nach gegensteuern?
Disslbacher: Ein wichtiger Hebel wäre die Steuerpolitik: In Österreich kommen derzeit nur 1,3 Prozent des Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern. Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt sind es 5,7 Prozent. Gleichzeitig ist die Besteuerung von Arbeitseinkommen in Österreich im internationalen Vergleich eher hoch. Es wäre also wichtig, an der Struktur der Besteuerung anzusetzen. Die favorisierte Steuer auf Vermögen bei ÖkonomInnen ist vor diesem Hintergrund die Erbschaftssteuer. Es ist unerklärlich, warum es diese in Österreich nicht gibt. Außerdem müsste über Vermögenssteuern diskutiert werden.
KOMPETENZ: Welches Modell wäre aus Ihrer Sicht hier vorstellbar?
Disslbacher: Vorstellbar wäre ein Modell, das ab einer Million Euro an Vermögen ansetzt. Hier wäre eine Vermögenssteuer von einem Prozent denkbar. Der Satz würde dann in Stufen ansteigen und bei einem Vermögen ab einer Milliarde Euro vier Prozent ausmachen. Vermögen unter einer Million Euro, und damit 96 Prozent der Haushalte, wäre damit nicht von der Besteuerung betroffen.
KOMPETENZ: Was würde dieses Modell bringen?
Disslbacher: Dieses Modell würde jährlich elf Milliarden Euro bringen. Das entspricht dem eineinhalbfachen Budget für Familie und Jugend im heurigen Jahr. Es wäre also ein enormes Aufkommen.
KOMPETENZ: Wir haben mittlerweile ein Jahr Pandemie hinter uns. Die Ungleichheit hat sich in dieser Zeit noch verschärft. An den Börsen gibt es Rekordwerte, gleichzeitig liegt die Realwirtschaft am Boden. Welche Konsequenzen müssten gezogen werden?
Disslbacher: Die Ansage – vor dem Virus sind wir alle gleich – stimmt nicht. Das beginnt mit Unterschieden bei der realen gesundheitlichen Bedrohung etwa zwischen Berufsgruppen, die tagtäglich mit Menschen zu tun haben versus jenen, die im Homeoffice arbeiten können. Und es endet bei der besprochenen Ungleichverteilung des Vermögens mit all ihren Konsequenzen. Eine Steuerreform muss diesen Entwicklungen Rechnung tragen, sie muss der Konzentration von Vermögen entgegenwirken. Letztlich geht es darum, in welcher Gesellschaft wir nach dieser Pandemie leben wollen.
Zur Person
Franziska Disslbacher ist als Ökonomin in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Arbeiterkammer Wien tätig.
Sie lehrt an der WU Wien und forscht im Rahmen ihrer Dissertation zur Verteilung von Einkommen und Vermögen und zur intergenerationellen sozialen Mobilität.