EuGH: Offene Urlaubstage müssen nach Beendigung des Dienstverhältnisses immer ausbezahlt werden

Foto: Daniel Novotny

Gute Nachrichten für ArbeitnehmerInnen, denn der Europäische Gerichtshof hat 2021 entschieden, dass es für offene Urlaubstage auf jeden Fall Geld geben muss – auch dann, wenn die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde. Songül Kepez, Rechtsexpertin in der GPA, erklärt, was dieses wichtige Urteil für die Beschäftigten bedeutet.

KOMPETENZ: Der Europäische Gerichtshof (EUGH) hat 2021 entschieden, dass Paragraf 10 Absatz 2 des österreichischen Urlaubsgesetzes unionsrechtswidrig ist. Worum ging’s da?

Songül Kepez: Es gab 2018 einen Rechtsfall, wo ein Arbeitnehmer seinen ehemaligen Arbeitgeber klagte. Der Arbeitnehmer war rund vier Monate beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt gewesen, in diesem Zeitraum hatte er rund sieben Urlaubstage angesammelt und vier davon verbraucht. Er trat ohne Angabe von Gründen vorzeitig aus dem Dienstverhältnis aus, man spricht hier auch von einem „unberechtigten vorzeitigen Austritt“. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch ca. drei nicht verbrauchte Urlaubstage. Für diese wollte er Geldersatz vom Dienstgeber. Dieser hat sich jedoch geweigert, wobei er sich auf § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz stützte.  Es ging um die Summe von rund 300 Euro.

Was des Urteil des EUGH für Beschäftigte in Österreich bedeutet:

  • Resturlaub, muss zukünftig IMMER ausbezahlt werden, wenn ein Dienstverhältnis endet.
  • Das gilt auch, wenn die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde.
  • Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt keine Rolle.
  • Es ist irrelevant, ob man vorher die Möglichkeit gehabt hätte, den Urlaub zu verbrauchen.
  • Beschäftigte können ihre Ansprüche bis zu 3 Jahre rückwirkend geltend machen.

KOMPETENZ: Was genau regelt dieser § 10 Absatz 2 im Urlaubsgesetz? Wie ist das zu verstehen?

Kepez: Dieser Paragraf besagt, dass es im Falle eines unberechtigten vorzeitigen Austritts keinen Anspruch auf finanzielle Vergütung gibt, wenn der Jahresurlaub nicht verbraucht wurde. Mit anderen Worten: Wer das Dienstverhältnis beendet und dabei die Kündigungsfrist nicht einhält, der erhält keine Urlaubsersatzleistung für den noch offenen Jahresurlaub. Die noch verbliebenen Urlaubstage werden nicht ausbezahlt. So ist das  in Österreich gesetzlich geregelt.

KOMPETENZ: Wie ging nun dieser Fall aus dem Jahr 2018 weiter?

Kepez: Der Kläger hat – immer noch in Österreich – auf Zahlung der Urlaubsersatzleistung geklagt, das Gericht hat die Klage abgewiesen, und der Fall landete schließlich beim Obersten Gerichtshof (OGH): Der Oberste Gerichtshof hatte in seiner Entscheidung damit argumentiert, dass ein unberechtigter Austritt eines Arbeitnehmers ein „Vertragsbruch“ sei, der verhindere, dass Urlaub genommen werden kann. Es würde aus Sicht des Höchstgerichts die Funktion des Urlaubs missachten, wenn sich ein/e ArbeitnehmerIn durch unberechtigten Austritt den Urlaubsanspruch „abkaufen“ lassen könne.

Der OGH hat aber trotzdem das Verfahren unterbrochen. Denn obwohl das Gericht eine Rechtsmeinung hatte, wollte man, um ganz sicher zu gehen, den EuGH dazu befragen: Ist § 10 Abs 2 des österreichischen Urlaubsgesetzes mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EU-Grundrechtscharta vereinbar?

KOMPETENZ: Wie hat der Europäische Gerichtshof entschieden?

Kepez: Ende November hat der EUGH seine Entscheidung kundgemacht, und er hat dem Arbeitnehmer recht gegeben. Mit folgender Begründung: Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist ein „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union“, von dem nicht abgewichen werden darf. Davon umfasst ist auch der Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht konsumierten Urlaub.

KOMPETENZ: Was bedeutet das konkret?

„Der Anspruch auf Urlaubsersatz – also auf Auszahlung des offenen Resturlaubs – darf nicht an Bedingungen geknüpft werden.“

Songül Kepez

Kepez: Das bedeutet, dass dieser Anspruch bedingungslos ist! Die einzige Voraussetzung für den Geldersatz ist ein beendetes Arbeitsverhältnis und ein noch nicht verbrauchter Jahresurlaub.

Ganz wichtig dabei ist auch, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hier keine Rolle spielt. Der Anspruch besteht also jedenfalls unabhängig von der Beendigungsart des Dienstverhältnisses.

Irrelevant ist außerdem die Frage: Hätte der/die ArbeitnehmerIn die Möglichkeit gehabt, den Urlaub zu verbrauchen? Man darf dem/der ArbeitnehmerIn hier keine Absicht unterstellen und auch nicht verlangen, Urlaub vor dem Austritt aufzubrauchen.

Das bedeutet also, der Anspruch auf Urlaubsersatz – also auf Auszahlung des offenen Resturlaubs – besteht, er darf nicht an Bedingungen geknüpft werden.

KOMPETENZ: Was heißt das nun in der Praxis?

„Die Entscheidung des EUGH ist daher richtungsweisend und ein Meilenstein, weil es bisher nicht möglich war, solche Ansprüche einzuklagen.“

Songül Kepez

Kepez: Wir wissen, dass es regelmäßig in der Praxis zu unberechtigten Austritten kommt. Die Urlaubsersatzleistung für nicht verbrauchten Urlaub wurde bisher verwehrt, bis jetzt waren solche Ansprüche verloren. Die Entscheidung des EUGH ist daher richtungsweisend und ein Meilenstein, weil es bisher nicht möglich war, solche Ansprüche einzuklagen.

Auch wenn ArbeitnehmerInnen die Kündigungsfrist nicht einhalten und keinen Grund für die Kündigung angeben, muss der Anspruch ab sofort ausbezahlt werden. Das ist eine wesentliche Änderung für alle ArbeitnehmerInnen! Es gibt hier keine Auslegungslücken, das Urteil des EUGH ist klar und eindeutig.

Der österreichische Gesetzgeber muss jetzt das österreichische Urlaubsgesetz dem EUGH Urteil entsprechend reparieren.

KOMPETENZ: Was bedeutet diese Änderung für Menschen, die schon vor der Entscheidung des EUGH unberechtigt ausgetreten sind?

Kepez: ArbeitnehmerInnen können ihren Anspruch rückwirkend geltend machen, sofern nicht mehr als drei Jahre seit dem Austritt zurückliegen. Wer meint, hier noch offene Ansprüche offen zu haben, den laden wir ein, zu uns in die GPA zur Beratung zu kommen.

Ich möchte noch hinzufügen: Es kann sein, dass der Kollektivvertrag oder Einzelverträge andere Verfallsfristen beinhalten – umso wichtiger ist es hier, sich den jeweiligen Vertrag genau anzusehen. Wer sich nicht auskennt, soll unbedingt zur Beratung kommen. Die Gewerkschaft hilft bei der Geltendmachung der Ansprüche!

KOMPETENZ: Gibt es noch andere Dinge, auf die die ArbeitnehmerInnen achten sollte, Klauseln zum Beispiel?

Kepez: Wir befürchten tatsächlich, dass die Arbeitgeber versuchen werden, diesen Entscheid und die Gesetzesänderung zu umgehen. So rechnen wir damit, dass ArbeitgeberInnen versuchen werden, künftig Konventionalstrafen für solche Fälle vorzusehen. Das bedeutet, dass ArbeitnehmerInnen bei einem vorzeitigen Austritt Strafe zahlen müssten. Darauf muss geachtet werden, und auch hier appellieren wir an unsere Mitglieder, bei Unsicherheiten zu uns zur Beratung zu kommen.

Stand 1.11.2022: Die EuGH-Entscheidung wurde nunmehr vom Gesetzgeber im Urlaubsgesetz umgesetzt. Auch im Fall eines unberechtigten vorzeitigen Austritts gebührt nun Ersatzleistung für vier Wochen des Anspruchs auf Urlaub aus dem laufenden Urlaubsjahr, nicht jedoch für eine 5. und 6.Woche. Der Grund für die Differenzierung: laut Unionsrecht beträgt der zustehende Jahresurlaub vier Wochen. Die Entscheidung des EUGH deckt daher nur vier Wochen. Der österreichische Gesetzgeber hätte auch eine Ersatzleistung für die 5. und 6.Woche vorsehen können, hat sich aber dagegen entschieden.

Allgemein gilt, dass jede Art der Beendigung des Dienstverhältnisses gut durchdacht und überprüft werden sollte. Oft verwirken ArbeitnehmerInnen ihre Ansprüche, weil sie nicht wissen, welche Fristen einzuhalten sind bzw. wie die Rechtslage ist.

Mein Rat an alle Beschäftigten: Man sollte auf jeden Fall die GPA oder seinen Betriebsrat fragen, ehe man das Dienstverhältnis beendet!

Wenn du Fragen zur Ausbezahlung deiner Urlaubstage nach der Kündigung hast, dann kontaktiere deine Gewerkschaft GPA: https://www.gpa.at/kontakt

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