Sicher ohne Gewalt im Job

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Von Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen bis hin zu sexueller Belästigung und körperlichen Angriffen kennt Gewalt am Arbeitsplatz viele Facetten und hat während der Pandemie sprunghaft zugenommen. Das zeigt auch eine Umfrage im Auftrag der GPA. Wie können sich ArbeitnehmerInnen schützen?

Weil ihr das Warten zu lange dauert, verliert die Kundin die Geduld und schreit die Mitarbeiterin an der Kassa an. Zwei Männer wollen ihren 2G-Nachweis nicht am Eingang vorweisen, daher pöbeln sie den jungen Angestellten des Pflegeheims an. Solche Situationen haben wir alle in den letzten zwei Jahren beobachtet. Die Pandemie, so berichten BetriebsrätInnen und Beschäftigte, hat Dämme gebrochen. Die Gewalt am Arbeitsplatz nahm spürbar zu. Die Beschäftigten in Krankenhäusern fühlten sich bedroht, wenn vor der Tür die aufgebrachte Menge gegen die Impfungen demonstrierte. JournalistInnen wurden von Maßnahmen-GegnerInnen auf Demos angepöbelt und an ihrer Arbeit gehindert.

Egal in welcher Situation: Gewalt am Arbeitsplatz muss niemand tolerieren. „ArbeitnehmerInnen verdienen Respekt und müssen bei ihrer Tätigkeit vor allen Formen der Gewalt geschützt werden“, betont GPA-Vorsitzende Barbara Teiber, „Die Verantwortung dafür trägt der Arbeitgeber. Er oder sie hat die Verpflichtung, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen.“

Umfrage

Gewalt am Arbeitsplatz fängt nicht erst bei Schlägen oder Fußtritten an. Eine aktuelle Umfrage des IFES-Instituts, durchgeführt im Auftrag der GPA, ergab: Verbale Übergriffe wie Herumschreien, Beleidigungen oder Drohungen sind die häufigste Form von Gewalt. 56 Prozent der Befragten mussten dies in den letzten zwei Jahren am Arbeitsplatz miterleben, 39 Prozent an der eigenen Person. Eine(r) von zehn war außerdem von verbaler sexueller Belästigung betroffen.

Menschen, die im Alltag (auch) eine osteuropäische Sprache sprechen, sind häufiger betroffen, als Personen, die Deutsch sprechen. So werden z.B. PflegerInnen mit Migrationshintergrund öfter Opfer von verbaler Gewalt oder Übergriffen als ihre österreichischen KollegInnen.

„ArbeitnehmerInnen verdienen Respekt und müssen bei ihrer Tätigkeit vor allen Formen der Gewalt geschützt werden.“

Barbara Teiber

Die IFES-Daten zeigen, dass Bereiche mit KundInnenkontakt, wie Pflegeberufe und der Handel, in größerem Ausmaß von Gewalt und Aggression betroffen sind, da der Stress und die Überlastung in den letzten Jahren deutlich stärker geworden sind. Zu lange Warteschlangen oder extremer Zeitdruck infolge von Personalmangel führen entsprechend häufiger zu aggressiven Zwischenfällen.

Dort, wo Übergriffe stattfinden, sind es mehrheitlich Männer, die sie begehen: In erster Linie Kunden und Klienten, aber auch Kollegen und Vorgesetzte. Umgekehrt sind Frauen, und hier wiederum jüngere Frauen, öfter die Opfer von Gewalt.

Maßnahmen

Wie können nun ArbeitgeberInnen, die aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht für ihre Beschäftigten verantwortlich sind, diese besser gegen Gewalt schützen? Ein erster Schritt wären organisatorische Maßnahmen, wie z.B. Regeln zum Umgang miteinander oder Sicherheitsbesprechungen. Kommt es in Betrieben immer wieder zu Übergriffen, so sind Schulungsmaßnahmen und Konflikttrainings sinnvoll. „Bei uns gibt es schon länger Deeskalationstrainings für die KollegInnen“, berichtet Angelika Hlawaty, BR-Vorsitzende bei ‚Jugend am Werk’. Wichtig ist hier, so Hlawaty weiter, ein gemeinsames Gewaltverständnis und Regeln zum Umgang mit Gewalt.

Auch Supervision, Coaching und Krisenintervention sind zielführend, werden aber von nur rund 25 Prozent der Betriebe angeboten, denn solche Maßnahmen sind kostenintensiv. Große Handelsketten können sich Prävention besser leisten als kleine PMUs, weiß Martin Müllauer, BR-Vorsitzender bei Morawa Buch und Medien: „Hier hätte die Regierung während der Pandemie den Handel besser unterstützen müssen und Geld zur Verfügung stellen.“
Technische Maßnahmen, von Beleuchtung und Überwachungskameras bis hin zu baulichen Veränderungen, können ebenfalls Schutz bieten. Warteschlangenmanagement, egal ob in einer Ambulanz oder in einem Baumarkt, kann genauso helfen wie Bodenmarkierungen, die die KundInnenströme leiten. Auch Notfallpläne sind wichtig, denn so wissen alle Beteiligten, was im Ernstfall zu tun ist.

Eine ganz wesentliche Rolle bei der Gewaltprävention spielt der Betriebsrat: „Die IFES-Umfrage zeigt nämlich, dass in Betrieben mit Betriebsrat deutlich öfter Maßnahmen wie organisatorische Vorkehrungen, Schulungsmaßnahmen oder Supervision getroffen werden“, hebt Barbara Teiber hervor.

Forderungen

Im Handel appelliert die Gewerkschaft GPA an die ArbeitgeberInnen, die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. „Es braucht eine verbesserte Arbeitszeitqualität, aber vor allem auch eine bessere Personalausstattung und höhere Gehälter,“ fordert Barbara Teiber. Gleiches gilt im Gesundheits- und Pflegebereich: „Hier muss die öffentliche Hand einen Beitrag leisten und ausreichend finanzielle Mittel und Ressourcen für mehr Personal bereitstellen. Personalmangel ist in allen Branchen der hauptsächliche Grund für die enorme Zunahme an Gewalt.“
„Wir ermutigen außerdem betroffene ArbeitnehmerInnen, Gewalt am Arbeitsplatz nicht hinzunehmen“, so Teiber weiter. Unterschiedliche Gewalterfahrungen erfordern durchaus unterschiedliche Strategien. „Wichtig ist, Hilfe zu suchen und Vorgesetzte sowie den Betriebsrat zu informieren“, betont Teiber. „Und an die KundInnen appellieren wir, gegenüber den Beschäftigten mehr Respekt zu zeigen!“

Angelika Hlawaty

Betriebsratsvorsitzende der Jugend am Werk
Sozialraum GmbH

„Gewalt ist bei uns immer schon ein Thema“

Hlawatys Betrieb ist mit über 1.100 MitarbeiterInnen der größte Träger im Behindertenbereich in Wien. Zu Gewalt kommt es am häufigsten im vollbetreuten Wohnbereich. In den Wohngemeinschaften des Vereins leben acht bis vierzehn Menschen, die aufgrund von kognitiven Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen unterschiedliche Bedürfnisse haben. „Es kann z.B. zu sog. Impulsdurchbrüchen kommen, und daraus resultierende Aggressionen kriegen dann leider oft die MitarbeiterInnen ab: von verbaler Gewalt bis zu Tritten, Kratzen, Festhalten kommt es immer wieder zu Vorfällen. In einem Fall wurde eine Kollegin sogar gewürgt“, berichtet Hlawaty. Corona hat die Lage extrem verschärft: „Von einem Tag auf den anderen musste den BewohnerInnen der WG’s erklärt werden, dass sie das Haus nicht verlassen durften. Das hatte große Belastungen zur Folge und die Aggressionen stiegen deutlich an.“

Der Betriebsrat arbeitet gemeinsam mit dem Arbeitgeber an Lösungen: Das Jahr 2022 ist ein Schwerpunktjahr zur Gewaltprävention. „Das Thema begleitet uns schon seit vielen Jahren. Wir haben auch längst Richtlinien, die wir überarbeiten möchten, wir erarbeiten Handlungsabläufe, und wir evaluieren regelmäßig die psychischen Belastungen unserer KollegInnen. Es geht nicht nur um Einzelfälle, wir brauchen neue Lösungen für strukturelle und organisatorische Probleme.“ Jugend am Werk bietet für seine Beschäftigten Seminare zum Deeskalationstraining an und es wurde sogar eine eigene Stelle geschaffen, wo sich eine MitarbeiterIn ausschließlich um Gewaltprävention kümmert.

Martin Müllauer

Betriebsratsvorsitzender bei Morawa Buch und Medien GmbH

„Verbale Gewalt hat stark zugenommen“

„Die Regierung hat die Überprüfung der Maskenpflicht im Handel an die ArbeitnehmerInnen delegiert, indem sie verlangt hat, dass der Handel die Kontrollen übernimmt. Normalerweise darf ein Angestellter nicht mal einen Ladendieb aufhalten, sondern muss die Polizei rufen. Und plötzlich mussten wir die ‚Gesundheitspolizei’ spielen!“

Natürlich gab es, berichtet Müllauer, auch früher immer wieder KundInnen, die ihren Unmut geäußert haben, weil eine Bestellung nicht da oder die Schlange an der Kassa zu lang war. Covid hat dem jedoch eine neue Dimension gegeben. Lockdown, Home-Office, die Kinder zu Hause, die Lokale geschlossen, keine Möglichkeiten, sich zu unterhalten oder Sport zu treiben. „Der aufgestaute Frust hat sich leider sehr oft an meinen KollegInnen entladen. Wenn wir auf die Maskenpflicht hinwiesen oder um den 2G-Nachweis baten, führte das manchmal zu regelrechten Ausbrüchen. Die verbale Gewalt hat stark zugenommen! Verbale Entgleisungen und Beschimpfungen waren an der Tagesordnung.“

In einigen Fällen kam es auch zu Handgreiflichkeiten und tätlichen Übergriffen. Während die Plexiglasscheibe an der Kassa eine gewisse Barriere darstellte, waren MitarbeiterInnen, die mitten im Geschäft arbeiteten oder an der Tür die 2G-Nachweise kontrollierten, den Aggressionen ungefiltert ausgesetzt. „In einer Branche, wo 70 Prozent Frauen arbeiten, war das für die Kolleginnen extrem belastend!“

Ich fühle mich bedroht – was tun?

  • Geh räumlich auf Distanz zum Täter
  • Bleib ruhig, bleib respektvoll
  • Versuche, deeskalierend zu wirken, vermeide Provokationen
  • Appelliere an umstehende Personen und fordere sie auf, dir zu helfen
  • Schlag Alarm: Wende dich an den Sicherheitsdienst (falls vorhanden), an KollegInnen oder ruf die Polizei

Wer hilft mir?

Auf der Internetseite gpa.at/sicher-ohne-gewalt haben wir für dich individuelle und rechtliche Ratschläge für
die unterschiedlichen Gewalterfahrungen zusammengefasst.

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