Wer in der Elementarbildung oder Pflege arbeitet, erfüllt wichtige Aufgaben in unserer Gesellschaft. Doch ist die Arbeit so hart, dass immer mehr diese Berufe aus nachvollziehbaren Gründen verlassen. Das verschlimmert aber die Lage der verbliebenen ArbeitnehmerInnen.
„Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig funktionierende Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen sind“, erklärt Karin Samer, Betriebsratsvorsitzende der Wiener Kinderfreunde. In der Krise wurde deutlich: Elementarpädagogische Einrichtungen – etwa Kindergärten, Krippen oder Tageseltern – erfüllen nicht bloß einen Bildungsauftrag, sie sichern die Berufsausübung der Eltern ab.
Schon lange vor Corona prekär, haben sich die Zustände in der Elementarbildung, noch weiter verschlechtert. Betriebsratsvorsitzende Samer: „Jetzt ist die Fluktuation im Beruf fast doppelt so hoch wie zuvor, die Personaldecke wird immer dünner“. Ähnliches gilt auch bei Betreuungseinrichtungen, wie Anton Lamprecht-Bacher, Betriebsratsvorsitzender im Grazer Odilien-Institut für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder Blindheit zu berichten weiß: „Dass zu wenig Personal vorhanden ist, das gilt bei uns in allen Bereichen“. Im Odilien-Institut arbeiten FrühförderInnen, SozialarbeiterInnen, PädagogInnen und PflegerInnen. Lamprecht-Bacher selber ist ausgebildeter Sozialbetreuer.
„Jetzt ist die Fluktuation im Beruf fast doppelt so hoch wie zuvor, die Personaldecke wird immer dünner“
Karin Samer
Das Personal ist knapp
Damit die Menschen in der Sozialwirtschaft bleiben, braucht es bessere Bedingungen. Das gilt besonders nach der Covid-Krise: Denn die Zahl der Krankenstände ist immer größer geworden, erzählt Lamprecht-Bacher: „Normal waren sieben BetreuerInnen für 26 KlientInnen im Seniorenwohn- und Pflegeheim zuständig, plötzlich waren es nur noch drei bis vier“.
Viele MitarbeiterInnen kündigen von sich aus. Zwar kommen immer wieder neue Arbeitskräfte nach, doch der von Stress geprägte Arbeitsalltag schlägt auch die Neuen schnell in die Flucht. „Für die Teamarbeit ist das natürlich extrem schwer.“ Mittlerweile ist die Arbeitsverdichtung dermaßen hoch, dass nur wenige Menschen eine Vollzeitstelle schaffen können. Das hat auch soziale Folgen.
„Eine ehemalige Kollegin ist jetzt in Pension“, erzählt Lamprecht-Bacher. „Weil sie immer nur Teilzeit arbeiten konnte, hat sie jetzt so wenig Geld übrig, dass sie nun als Putzfrau dazu verdient.“ Dass ArbeitnehmerInnen aus der Branche flüchten und woanders ihr Glück suchen, wundert Anton Lamprecht-Bacher kein bisschen.
„Normal waren sieben BetreuerInnen für 26 KlientInnen im Seniorenwohn- und Pflegeheim zuständig, plötzlich waren es nur noch drei bis vier“.
Anton Lamprecht-Bacher
Erfahrung geht verloren
Ähnliches gilt bei den ElementarpädagogInnen. Waren es früher vor allem BerufsanfängerInnen, die die Branche gewechselt haben, sind es nun viele erfahrene KollegInnen. „Vor allem ältere MitarbeiterInnen wollen sich den Stress nicht mehr antun“, so Karin Samer. Denn es gibt immer mehr Aufgaben zu erledigen: Etwa Kinder gezielt auf die Schule vorzubereiten und ihre Sprache zu fördern, aber auch die schriftliche Dokumentation ihrer Entwicklungsschritte. Karin Samer: „Wir brauchen auch Zeit, um uns mit den Eltern über die Themen des Kindes und der Familie auseinanderzusetzen, wir wollen BegleiterInnen sein.“ Doch die Rahmenbedingungen dafür stimmen nicht, trotz des neuen Regierungspakets.
Samer und Lamprecht-Bacher berichten beide, dass sich KollegInnen schon so verantwortlich fühlen, dass sie das Team nicht im Stich lassen wollen und deshalb auf Urlaub verzichten. Den angesammelten Urlaub abzubauen, das ist inzwischen beinahe unmöglich. Beide erzählen von Überforderung und Hilflosigkeit, ausgelöst von extremer Personalknappheit.
Wirrwarr an Regelungen
In der Elementarbildung müssen sich PolitikerInnen Versäumnisse eingestehen. Denn noch immer hat jedes Bundesland sein eigenes Kindergarten-Gesetz und es gelten viele unterschiedliche Dienstrechte. Gehalt, Ausbildung und Vorbereitungszeit sind je nach Bundesland unterschiedlich geregelt, zudem weichen die Bestimmungen der einzelnen Träger voneinander ab. In Wien gilt die 40-Stunden-Woche, bei manchen Trägern in den Bundesländern gibt es jedoch bereits eine 37-Stunden-Arbeitswoche. Für das unterstützende Personal gilt keine einheitliche Ausbildung und es gibt für sie keinen Berufsschutz.
„Es ist dringend notwendig wenn die Ministerien mit den Ländern und mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten würden, um bundesweite Mindeststandards festzulegen“, ist sich Karin Samer sicher. „Die Politik muss wissen, wie wichtig die Kindergärten auch aus gesellschaftlicher Sicht sind.“ Denn die ersten Lernjahre eines Kindes sind entscheidend für seinen weiteren Bildungsverlauf. Wichtig ist dabei auch der Betreuungsschlüssel: Derzeit sind es (mindestens) 25 Kinder pro Gruppe – sie werden von einer Vollzeitpädagogin und einer Assistentin betreut. Keine ideale Situation für Kinder und Beschäftigte. Einer EU-Empfehlung nach, sollten es nicht mehr als 16 Kinder pro Gruppe sein.
Das unterstützende Personal ist vielfach nur Teilzeit beschäftigt. Dabei sind diese Frauen, denn Männer sind in diesem Bereich eher rar, auch für Jause, Mittagessen, Hygiene – von Abwasch bis Staubwischen – verantwortlich. „Da bleibt an Unterstützungszeit in der Gruppe nicht mehr viel übrig“, weiß Karin Samer. Immerhin: ab Herbst ist in Wien eine Vollzeitassistentin in den Gruppen der 3 bis 6 jährigen Kinder verpflichtend.
Arbeit muss attraktiver werden
„Auch unsere Arbeit muss attraktiver werden,“ ergänzt Lamprecht-Bacher. BetreuerInnen wie PflegerInnen müssen besser bezahlt werden und dafür weniger Stunden arbeiten. Trotz des überbordenden Stresslevels versuchen die Beschäftigten alles, damit die KlientInnen sich wohl fühlen und nicht spüren, wie es dem Personal geht. Doch nach Corona wurden die meisten Stunden für die Supervision eingespart. Kein Wunder, dass sich immer weniger ArbeitnehmerInnen wertgeschätzt fühlen.
Kampagne #WorteReichenNicht
Wir fordern, gemeinsam mit der Gewerkschaft vida, dass die gesamten Rahmenbedingungen im Sozial-, Gesundheits-, Pflege- und (Elementar-)Bildungsbereich verbessert werden.
Du arbeitest im Sozial-, Gesundheits-, Pflege- oder (Elementar-)Bildungsbereich und möchtest unsere Forderungen unterstützen? Dann lade ein Video- oder Foto-Statement auf die Plattform worte-reichen-nicht.at hoch und sag uns und der Bundesregierung was Sache ist und was sich in deinem Job ändern muss.