So geht es in den Kindergärten nicht weiter

Das Betriebsratsteam der St. Nikolausstiftung: Von links nach rechts: Regina Huprich, Marion Kaiser, Barbara Brandstetter, Petra Kutschera
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wenn weiterhin so viele PädagogInnen die Kindergärten verlassen wie in den vergangenen Jahren, wird der Betrieb nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, warnen die Betriebsrätinnen der St. Nikolausstiftung.

So viele Kündigungen wie in den letzten eineinhalb Jahren habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt“, sagt Regina Huprich, Betriebsratsvorsitzende der St. Nikolausstiftung. Diese betreibt in Wien rund 90 Pfarrkindergärten. Seit Einführung des beitragsfreien Kindergartens 2009 sind dabei viele Gruppen dazugekommen.

Das Team wächst

Entsprechend ist seitdem auch die Zahl der MitarbeiterInnen gestiegen: Von damals 656 auf inzwischen 1.150. Etwa 50 von ihnen arbeiten in der Verwaltung, rund 1.100 arbeiten im mobilen Team beziehungsweise als PädagogInnen, AssistentInnen und technische Hilfskräfte.

„So viele Kündigungen wie in den letzten eineinhalb Jahren habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt.“

Regina Huprich

Eine von ihnen ist Marion Kaiser. Seit 35 Jahren ist sie als Assistentin tätig. Herausfordernd sei „der ständige Wechsel von Pädagoginnen“. Sie stehe derzeit – wieder einmal – alleine in der Gruppe. „Vor knapp drei Wochen hat eine Pädagogin begonnen und heute habe ich gehört, dass sie mich wieder verlässt.“ Das sei nicht nur für sie persönlich sehr stressig, das sei auch für die Kinder nicht gut, diese bräuchten Stabilität. Nun versuche sie vor allem für jene Mädchen und Buben, die im Herbst in die Schule kommen, das Jahr schön ausklingen zu lassen. Aber ja, „am Abend bin ich immer sehr müde“.

„Vor knapp drei Wochen hat eine neue Pädagogin begonnen und heute habe ich gehört, dass sie mich wieder verlässt.“

Marion Kaiser

Barbara Brandstetter ist Pädagogin, sie hat sich auf die Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen spezialisiert und leitet eine Inklusive Kindergruppe – die erste und bisher einzige im Rahmen der Kindergärten der St. Nikolausstiftung. Im ersten Jahr habe sie mit KollegInnen insgesamt zehn Kinder betreut, darunter etwa solche mit Entwicklungsverzögerungen oder Kinder im Autismus-Spektrum. Zwei der Kinder mit mehr Betreuungsbedarf seien übrigens im heurigen Kindergartenjahr keine Integrationskinder mehr. Warum? „Weil ich Zeit hatte, sie so zu begleiten, dass sie es jetzt nicht mehr sind.“

„Man könnte viel mehr tun, wenn es mehr Ressourcen gäbe.“

Barbara Brandstetter

Heuer seien 20 Kinder in der Gruppe, davon offiziell vier Kinder mit Integrationsbedarf, inoffiziell mehr – doch da laufen entweder noch Diagnoseverfahren oder der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe sei noch nicht entschieden. Betreut und gefördert werden sie von zwei Pädagoginnen und einer Assistentin, doch oft werde Personal aus der Gruppe abgezogen, um den Betrieb am gesamten Standort aufrechtzuerhalten. Eigentlich sei die Betreuung der Kinder daher so nicht adäquat.

Eines der Kinder bräuchte eigentlich eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Die Elternarbeit sei viel intensiver, man müsse sich auch mit TherapeutInnen austauschen. Doch es fehle ständig an Zeit. „Man könnte viel mehr tun, wenn es mehr Ressourcen gäbe.“ Das sei sehr unbefriedigend.

Die Kinder werden immer jünger

Petra Kutschera leitet einen Kindergarten in Wien-Rudolfsheim. Die Kinder in den Gruppen würden immer jünger, erzählt sie, „vor 20 Jahren war ein einjähriges Kind die Ausnahme, jetzt sind einjährige Kinder die Regel“. Die Bedürfnisse eines Einjährigen seien aber ganz andere als die eines Sechsjährigen. Wenn eine Gruppe von zwei Personen – einer PädagogIn und einer AssistentIn – betreut werde, könne man da zum Beispiel eigentlich gar keine Ausflüge machen.

„Wir wissen, was die Kinder brauchen. Aber wir wissen auch, dass wir es mit diesem Personalschlüssel nicht gut machen können.“

Petra Kutschera

In einer Gruppe mit 0- bis 6-Jährigen seien derzeit 20 bis 22 Kinder. „Für die einzelne Pädagogin ist das schwierig und bringt sie auch zur Verzweiflung. Wir wissen, was die Kinder brauchen. Aber wir wissen auch, dass wir es mit diesem Personalschlüssel nicht gut machen können.“

Immer mehr verlassen den Beruf

Genau dieser Umstand bewegt immer mehr PädagogInnen, den Beruf zu verlassen. Zusätzlich wirke noch die Belastung der Covid-Krise nach. „Das Personal ist massiv überlastet. Die KollegInnen gehen ständig über ihre Grenzen.“ Eltern wiederum brauchen Unterstützung, viele Familien hätten auch für den Sommer Betreuungszeit angemeldet. „Wir würden gerne Personal einstellen, aber wir finden niemanden. Keine PädagogInnen, nicht einmal AssistentInnen.“ Früher hätten im Juli und August oft Studierende ausgeholfen, aber nicht einmal das gelinge heuer.

Alle Betriebsrätinnen sind sich einig: Wenn der akuten Personalnot, von der alle Trägerorganisationen berichten (der Betriebsrat der St. Nikolausstiftung ist Mitglied der Wiener Themenplattform der Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik in der GPA), nichts entgegengesetzt wird, wird das System Kindergarten nicht mehr lange funktionieren – zumindest nicht als erste Bildungseinrichtung.

Den Schlüssel sieht Huprich in mehr Personal in den Gruppen und einer besseren Bezahlung. „Solange da nicht ordentlich Geld in die Hand genommen wird, werden wir keine KollegInnen kriegen.“ Sie spricht dabei auch das Thema Pension an: Immer wieder müsse sie mitansehen, wie KollegInnen verzweifelt seien, weil die Pension so niedrig sei. Da mache es dann eben einen Unterschied, ob man zuvor 2.000 Euro oder 3.000 Euro verdient habe.

Ihrer Ansicht nach brauche es keine zusätzliche Bildungsoffensive. „Es gibt genug PädagogInnen, die gerne in dem Beruf arbeiten würden, weil es eigentlich ihr Traumberuf ist. Aber unter diesen Rahmenbedingungen geht das nicht. Sie sagen, sie können hier nicht ihr Leben opfern, sie gehen in einen anderen Beruf, studieren.“ Viele ElementarpädagogInnen würden sich dazu entschließen, VolksschullehrerInnen zu werden, erzählt Kutschera. „Da arbeiten sie auch mit Kindern, aber werden besser bezahlt, haben ausreichend Vorbereitungszeit und Ferien. Ich kann das gut verstehen.“

Das Gebäude fällt in sich zusammen

Es müsse sich nun jedenfalls rasch etwas bewegen, fordert Huprich. „Sonst sehe ich schwarz.“ Vor zehn Jahren habe man bereits unter dem Titel „Kindergarten – Achtung Einsturzgefahr“ demonstriert und auf die schwierigen Arbeitsbedingungen und die zu niedrige Entlohnung aufmerksam gemacht. Jetzt aber falle das Gebäude Kindergarten tatsächlich in sich zusammen.

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