EU-Kommission sagt Zwangsarbeit den Kampf an

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Die Europäische Kommission will ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf den Weg bringen. Gewerkschaften begrüßen den Vorschlag – sehen aber Verbesserungsbedarf.

Sechs Tage die Woche sollen Arbeiter auf einer Baustelle in Belgien gearbeitet haben, für 650 Euro monatlich. Der Arbeitgeber: Borealis, die Chemietochter der OMV. Es ist einer der größten dokumentierten Fälle von Menschenhandel in Europa in der jüngsten Vergangenheit. Insgesamt 174 Menschen sollen betroffen gewesen sein, teilte die Staatsanwaltschaft Antwerpen im Sommer dieses Jahres mit. Die Betroffenen, angeheuert über Sub- und Subsubunternehmen, sollen meist ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt gewesen sein und stammten überwiegend aus Bangladesch, von den Philippinen und aus der Türkei.

Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeit sind bei weitem kein Phänomen, das sich auf den Globalen Süden beschränkt. Insgesamt 27,6 Millionen Menschen sind weltweit davon betroffen, davon 3,3 Millionen Kinder, schätzt die Internationale Labour Organisation (ILO). Seit 2016 ist diese Zahl um 2,7 Millionen gestiegen. Im unlängst veröffentlichten ILO-Bericht wird dabei deutlich hervorgehoben: Zwangsarbeit ist ein globales Problem, auch in Europa und Zentralasien liegt die Zahl der Zwangsarbeiter:innen bei rund 4,1 Millionen Menschen.

Leben auf Kosten des Globalen Südens

ExpertInnen, WissenschafterInnen, PolitikerInnen und Gewerkschaften kritisieren seit langem die „imperiale Lebensweise“ des Globalen Nordens. Der Wohlstand in der EU und Österreich basiert zu großen Teilen auf der sozialen und ökologischen Ausbeutung des Globalen Südens – mit den hierzulande selten wahrgenommenen Folgen, wie Zwangs- und Kinderarbeit, Armut, Hunger, Gewalt und ökologischer Zerstörung.

Die Europäische Kommission machte daher Mitte September einen Vorschlag für eine Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt. Diese Verordnung soll für alle Produkte gelten, die in der EU hergestellt werden, sowie für Ein- und Ausfuhren. Der für Handel zuständige Exekutiv-Vizepräsident der Kommission, Valdis Dombrovskis, sieht darin einen maßgeblichen Schritt „zur Bekämpfung der modernen Sklaverei“. Der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton pflichtet ihm bei: „In der derzeitigen geopolitischen Lage brauchen wir sowohl sichere als auch nachhaltige Lieferketten. Wir können kein Konsummodell aufrechterhalten, in dem Produkte nicht nachhaltig hergestellt werden“.

Der Vorschlag sieht vor, dass die Verordnung zum Verbot von aus Zwangsarbeit hergestellten Produkten, durch die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten durchgesetzt wird. Unterstützt werden sollen sie von den Zollbehörden, die Produkte an den EU-Außengrenzen identifizieren und gegebenenfalls aufhalten. Die Behörden sollen dabei auf unabhängige und überprüfbare Quellen und Bewertungen zurückgreifen, wie etwa Gewerkschaften oder ein eingerichtetes Koordinierungsnetzwerk. Wird ein Produkt identifiziert, soll dieses „unverzüglich“ vom Markt genommen und anschließend vernichtet werden bzw. dessen Einfuhr wird verboten.

Neben direkt betroffenen ArbeiterInnen sollten von der Verordnung laut Kommission auch KonsumentInnen und Unternehmen profitieren. Erstere, indem sie verstärkt darauf vertrauen könnten, dass gekaufte Produkte nicht aus Zwangsarbeit stammen. Zweitere, indem diese ihr Image aufbessern könnten und endlich ein kohärentes Regelwerk für den gesamten EU-Markt etabliert werde. 

Richtiger Schritt, mit Verbesserungsbedarf

Die Gewerkschaft industriAll Europe bewertet den Vorstoß der Kommission in einer Aussendung überwiegend positiv. Der Vorschlag sei „ein Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings müsse es in der Umsetzung darum gehen, die nun angekündigten Maßnahmen ordentlich in die Verordnung zu implementieren und in einem Ausarbeitungsprozess nicht zu verwässern. „Wird die Maßnahme ordentlich umgesetzt und überwacht, könnte diese das Leben von Millionen von ArbeiterInnen auf der ganzen Welt drastisch verbessern“, heißt es von der industrialAll Europe-Generalsekretärin Judith Kirton-Darling.

„Wird die Maßnahme ordentlich umgesetzt und überwacht, könnte diese das Leben von Millionen von ArbeiterInnen auf der ganzen Welt drastisch verbessern“

Judith Kirton-Darling

Der Europäische Gewerkschaftsbund (European Trade Union Confederation, ETUC) hebt die Rolle der europäischen Gewerkschaften in der Ausarbeitung des Vorschlags hervor. Diese seien die treibende Kraft dahinter gewesen. Mit Blick auf derzeit 27,6 Millionen ZwangsarbeiterInnen hätten „Regierungen auf der ganzen Welt die Verantwortung ArbeiterInnenrechte zu verbessern“, fordert Claes-Mikael Stahl, ETUC-Generalsekretär.

Auch die österreichische Arbeiterkammer begrüßt den Vorschlag der Union – fordert jedoch Nachbesserungen. „Wir alle müssen ein Recht darauf haben, Produkte frei von Ausbeutung kaufen zu können. Ausbeuterische Arbeit wuchert dort, wo Gewerkschaften und Tarifverhandlungen verhindert werden. Nur wenn sich Arbeiter:innen vereinigen können, haben sie die Möglichkeit, gemeinsam für existenzsichernde Löhne zu kämpfen“, bekräftigt AK-Präsidentin Renate Anderl. Denn weltweit sei nicht nur Zwangsarbeit ein massives Problem, sondern auch andere Formen der Ausbeutung und Unterdrückung.

„Ausbeuterische Arbeit wuchert dort, wo Gewerkschaften und Tarifverhandlungen verhindert werden.“

Renate Anderl

Laut Internationalem Gewerkschaftsbund wird es weltweit immer schwieriger für ArbeiterInnen eine Gewerkschaft zu gründen oder Löhne kollektiv zu verhandeln. Anderl kritisiert: „Im Entwurf wimmelt es nur so von Ausnahmebestimmungen und Schlupflöchern. Die Politik darf sich hier nicht an den berechtigten Forderungen der Bürger:innen vorbeischwindeln, sondern muss liefern. Ein strenges Gesetz muss her – ohne Wenn und Aber.“

Bis der Vorschlag zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten in Kraft treten kann, muss dieser noch vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union gebilligt werden. Laut EU-Kommission liegt der Geltungsbeginn der Verordnung 24 Monate nach Inkrafttreten.

Bis dahin wird ein Fußball-Großereignis über die Bühne gehen, das die Anstrengungen der Union in ein zweifelhaftes Licht rückt. Im November startet die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Laut Amnesty Internation sollen beim Bau der Stadien und nötigen Infrastruktur mehrere Tausend ArbeiterInnen ums Leben gekommen sein und Tausende weitere Opfer von Ausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen geworden sein. Während sich die Kataris kaum für Fußball interessieren, sind es vor allem europäische Teams und Fußballfans, die der WM entgegenfiebern.

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