Betriebsrat als Stabilitätsanker in der Krise

Foto: Markus Zahranik

Zwei WissenschafterInnen haben die Auswirkungen der Covid19-Pandemie auf ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretung untersucht. Hubert Eichmann von Forba im Gespräch mit KOMPETENZ.

Die „Pfadabhängigkeit“ ist eine der zentralen Erkenntnisse der zuletzt veröffentlichten Studie von Hubert Eichmann und Sarah Nowak von FORBA. Die beiden SozialwissenschafterInnen sind der Frage nachgegangen, wie sich die Corona-Pandemie „auf die Beschäftigten und auf die (digitalisierte) Betriebsratsarbeit“ ausgewirkt haben. Sie haben in einer Literaturanalyse „Unmengen“ an Studien dazu analysiert, wie Eichmann im Interview berichtet.

Betriebsrat

Hubert Eichmann ist studierter Soziologe und seit fast 20 Jahren bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, bekannt als FORBA, wo er „viele unterschiedliche Facetten der Arbeitswelt“ unter die Lupe nimmt. Eine der Facetten ist die eingangs erwähnte Pfadabhängigkeit, welche die ForscherInnen in der Corona-Pandemie bei Betriebsrats-Körperschaften beobachten konnten. Aber was ist das?

„Dort wo die Betriebsratsarbeit vor der Corona-Krise gut lief, ist man auch in der Krise gut durchgekommen.“

Hubert Eichmann

Die erfolgreiche Mitwirkung bzw. Wirksamkeit von betrieblicher Mitbestimmung ist dort am größten, „wo bereits vor Corona eine (langjährig) etablierte Mitbestimmungskultur im Betrieb vorhanden war, mit proaktiven Betriebsratsakteuren und viel Hintergrundwissen rund um die Ausgestaltung von Einflusszonen in der arbeits- bzw. betriebspolitischen Arena“, so die Studie. Eichmann sagt es so: „Dort wo die Betriebsratsarbeit vor der Corona-Krise gut lief, ist man auch in der Krise gut durchgekommen. Wo man davor schon schwach war, ist die Arbeit für die Belegschaft zum Teil durch Corona richtiggehend zusammen gebrochen“. Meist sei ein großer Betriebsrat, wie in Unternehmen mit zahlenmäßig starker Belegschaft, stabil gewesen. Man müsse sogar von einer Aufwertung des Betriebsrats sprechen, weil er geradezu als „Stabilitätsanker“ in unruhigen Zeiten wahrgenommen wurde. Oft sei Betriebsratsarbeit weit über das gewohnte Maß hinaus gegangen. BetriebsrätInnen hätten sehr schnell Modelle für Kurzarbeit und Homeoffice-Regelungen mitausgearbeitet, die davor noch unerprobt waren. Bei großen Unternehmen in Deutschland seien auch „Ad-hoc Krisenstäbe“ eingerichtet worden, in denen die unterschiedlichen Stakeholder im Unternehmen zusammen kamen, darunter auch BetriebsrätInnen.

Corona war nicht zuletzt ein „Boost“ für die Digitalisierung auch in der Betriebsratsarbeit, etwa in der Online-Beratung ihrer KollegInnen. Der persönliche Kontakt, das Gespräch zwischen Tür und Angel wird nichtsdestoweniger wichtig bleiben.

Die Arbeitnehmervertretung hatte aber oft auch eine wichtige soziale Funktion inne. So etwa beim Thema Corona selbst, das, wie es Eichmann beschreibt „ja nicht ganz unkonfliktiv in seiner Einschätzung ist.“ Hier fungierten häufig der Betriebsrat oder die Betriebsrätin als „Integrationsfigur“. Sie waren es, die Konflikte vom Betrieb fern hielten und Kompromisse aushandelten, wenn es etwa um das Maskentragen bei der Arbeit ging.

Belegschaft

Wie aber wirkte sich die Krise auf die Arbeitnehmenden und ihre Arbeitsbedingungen selbst aus? Wenig überraschend: Unterschiedlich. Hierbei haben Hubert Eichmann und Sarah Nowak vier grobe Gruppen ausmachen können.

Da wäre einmal die Gruppe der systemrelevanten Berufe, also jene, „die trotz hoher Inzidenzraten die Stellung halten mussten“, wie Arbeitende in der Pflege und dem gesamten Gesundheitswesen. Sie zählen aber auch den Handel, der während der Lockdowns geöffnet hatte, sowie Lehr- und Reinigungskräfte und Lieferdienste zu dieser Gruppe. Jene waren vom gesundheitlichen Risiko der Ansteckung zwar mehr betroffen, die öffentliche Anerkennung jedoch leider nur ein „Strohfeuer“, wie es in der Studie heißt. Die Berufsgruppe zeigt aber durchaus ein „steigendes Selbstbewusstsein“, das sich „neben einer erhöhten Kündigungsbereitschaft in einer höheren Konfliktbereitschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen manifestieren dürfte.“

Die „Lockdown-Branchen“, wie sie Eichmann nennt, umfassen Beschäftigte in der Beherbergung, Gastronomie, Teile des Einzelhandels, Kunst und Kultur, wo sich auch viele Kleinbetriebe wieder finden. Sie hatten am massivsten unten den Auswirkungen der Pandemiepolitik zu leiden. Ihre Belegschaft rangierte zwischen „wenns gut geht Kurzarbeit, wenns schlecht läuft Entlassung“, so der Studienautor.

Die dritte Gruppe umfasst jene deren Arbeit zumindest zeitweise ins Homeoffice verlegt wurde, also rund „39 Prozent aller unselbstständig Erwerbstätigen in Österreich“. Dies hatte zwar ein geringeres Ansteckungsrisiko und mehr Flexibilität zur Folge, aber auch eine zeitliche Entgrenzung und „die Erfahrung eines Work-Family-Konflikts.“ Frauen erlebten die Lockdowns als „Backlash“ was die gängigen Rollenklischees und Mehrfachbelastungen angehe.

Die Beschäftigten im vierten Segment „fallen auf, weil es keine, oder ganz wenig Untersuchungen zu ihren Berufsgruppen gab“, so Eichmann im Gespräch. „Hier gab es kaum einen Einbruch der Wertschöpfung.“ Beschäftigte am Bau oder in der Produktion waren sehr rasch wieder im „Normalmodus“, dementsprechend haben es die Beschäftigten auch weniger als groben Einschnitt wahrgenommen als die anderer Branchen.

Perspektiven

Fragt man Hubert Eichmann nach den längerfristigen Auswirkungen, sieht er Nachteile aber auch Chancen:  Bestimmte Berufsgruppen schätzen die zunehmende Flexibilität, insbesondere durch Homeoffice, aber eben bei weitem nicht alle. Die damit einhergehenden Risiken der Verpflichtung, immer und überall arbeiten zu müssen, waren schon vor Corona bekannt und sind seitdem größer geworden. Zum Stichwort „New Work“: „Ich halte den Begriff für eine ziemlich leere Worthülse, kenne solche Konzepte schon seit 20 Jahren, da ist nicht so viel Neues dabei.“

„Ich halte den Begriff ‚New Work‘ für eine ziemlich leere Worthülse, kenne solche Konzepte schon seit 20 Jahren, da ist nicht so viel Neues dabei.“

Hubert Eichmann

Viel eindeutiger seien die Chancen der Arbeitenden, wenn es um den in der Corona-Pandemie aufgetauchten Fachkräftemangel gehe. Der gehe auf einen demographischen Wandel zurück und sei ein „bleibendes Phänomen“. Mit der steigenden Fluktuation „aus dem Job in einen anderen Job“ sieht der Wissenschafter zukünftig „mehr Durchsetzungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer-Interessensvertretungen“. Eine positive Erkenntnis zum Abschluss, die Lust macht die Studie von Sarah Nowak und Hubert Eichmann genauer anzuschauen.

Die komplette von der Arbeiterkammer heraus gegebene Studie findet sich hier zum Download

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