„Es gibt genug Menschen, die arbeiten wollen“

Marie Hasdenteufel, Ökonomin am Momentum Institut.
Foto: Ingo Pertramer

Marie Hasdenteufel, Ökonomin am Momentum Institut, kritisiert die Praxis der Mangelberufsliste. Seit der Regionalisierung 2018 wurde es Unternehmen so noch leichter gemacht, statt die Arbeitsbedingungen zu verbessern oder die Löhne anzuheben, nach Arbeitskräften außerhalb der EU zu suchen, sagt sie im Interview mit der KOMPETENZ.

KOMPETENZ: Die Wirtschaft klagt anhaltend über einen „Fachkräftemangel“. Wieviele ArbeitnehmerInnen werden aktuell österreichweit gesucht?

Marie Hasdenteufel: Einen Arbeitskräftemangel sehen wir in den Daten nicht – es gibt genug Menschen, die arbeiten wollen. Es gab im März 335.000 Menschen, die arbeitslos gemeldet waren, und gleichzeitig 113.000 offene Stellen. Wenn man dann berechnet, wie viele Arbeitssuchende auf eine offene Stelle kamen, ergab das einen Wert von 2,9. Dieser Indikator ist damit gegenüber dem März 2022 sogar um 0,25 Punkte höher gelegen. Was man sich dann noch anschauen kann, ist, wie die erwerbssuchenden Menschen ausgebildet sind und welche Ausbildung für die offenen Stellen benötigt wurde. Und da zeigt sich, sowohl bei jenen, die über einen Uniabschluss verfügen als auch bei Menschen, die eine Lehrausbildung absolviert haben – es gibt immer mehr Personen, die suchen als gesucht werden.

KOMPETENZ: Welche Branchen suchen besonders intensiv?

Marie Hasdenteufel: Am meisten Arbeitskräfte werden in der Kategorie „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“ gesucht, darunter fallen etwa die Arbeitskräfteüberlassung, die Gebäudebetreuung und der Garten- und Landschaftsbau. An zweiter Stelle lag der Handel, dann kam die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen, da ist der Kfz-Einzelhandel mit gemeint. Dann kommt die Herstellung von Waren aller Art, gefolgt von der Beherbergung und Gastronomie, dem Bauwesen, dem Gesundheits- und Sozialwesen. Die Arbeitskräfte suchenden Branchen sind also weit gefächert und die Gründe, warum so viele Stellen offen sind, sind unterschiedlich. Es können die Arbeitsbedingungen schlecht sein oder es sind die Löhne niedrig oder es gibt zu wenige Personen mit genau dieser Qualifizierung.

KOMPETENZ: Die ArbeitgeberInnenseite pocht daher regelmäßig darauf, dass zusätzliche Berufsgruppen auf die so genannte Mangelberufsliste gesetzt werden. Inwiefern löst das in der Theorie das Problem?

Marie Hasdenteufel: Aktuell ist es so, dass Berufe auf der Mangelberufsliste landen, wenn weniger als 1,5 Erwerbssuchende auf eine offene Stelle kommen. Das ist das einzige Kriterium, ob ein Beruf auf dieser Liste landet oder nicht. Und wenn sich ein Beruf auf dieser Liste findet, können sich auch Menschen aus Drittstaaten – also Ländern außerhalb der EU – bewerben. So vergrößert man den Pool der BewerberInnen, weil ArbeitgeberInnen dann auch vereinfacht auf Menschen aus dem EU-Ausland zurückgreifen können.

KOMPETENZ: Sie kritisieren diese Vorgangsweise. Warum?

Marie Hasdenteufel: Warum eine Stelle unbesetzt bleibt, kann viele Gründe haben: Das können schlechte Arbeitsbedingungen sein oder dass ein Job nicht mit der Familie vereinbar ist oder es kann der Lohn unterdurchschnittlich sein. 2018 wurde die regionale Mangelberufsliste eingeführt, das hat dazu geführt, dass die Liste noch länger wurde, weil man Berufe nominieren konnte, wo es auch nur in einem Bundesland einen Mangel gab. Vergangenes Jahr standen so 126 Berufe regional oder bundesweit auf der Liste. Konkret heißt das, wenn es in einem Bundesland zu wenige Restaurantfachkräfte gibt, können Menschen aus Drittländern angeworben werden, obwohl es in einem anderen Bundesland hier gar keinen Mangel gibt. So wurde auch dieses eine Kriterium aufgeweicht. Wenn ein Beruf auf der Mangelberufsliste landet, wird aber der Verbesserungsdruck von den Unternehmen genommen. Wenn es ein zu geringes Angebot an Arbeitskräften in einer Berufsgruppe gibt, würde man zunächst versuchen, mit den Löhnen hinaufzugehen. Das passiert so aber nicht.

KOMPETENZ: Was wäre zu tun, damit Unternehmen, Betriebe und Organisationen die Arbeitskräfte finden, die sie brauchen?

Marie Hasdenteufel: Wichtig ist, zu sehen, dass die Gründe für unbesetzte Stellen unterschiedlich sind, daher müssen auch die Lösungen unterschiedlich sein. Man kann nicht mit einem Ansatz alle offenen Stellen besetzen. Nehmen wir den Bereich der Gastronomie: Da sind die Arbeitsbedingungen oft ein Grund, warum Stellen offen bleiben. Im Gesundheits- und Sozialbereich geht es beispielsweise um die psychisch belastende Arbeit und die körperliche Anstrengung. Das führt dazu, dass Menschen nicht in der Branche bleiben. In beiden Bereichen müsste man auch an der Lohnschraube drehen. Betrachtet man die Lohnentwicklung bei den Mangelberufen, stellt man fest, dass die Gehälter deutlich weniger angehoben werden als in anderen Berufen. Vor allem aber geht es darum, an den Arbeitsbedingungen zu feilen. Was alle Branchen betrifft, ist die teils hohe Teilzeitquote von Frauen. Hier bräuchte es mehr Kinderbetreuungsplätze und bessere Öffnungszeiten, um Frauen eine Vollzeittätigkeit zu erwerben. Eine Option für Unternehmen, die nach Frauen suchen, könnte hier betriebliche Kinderbetreuung sein.

KOMPETENZ: Das Betreuungsproblem endet allerdings nicht mit dem Schuleintritt.

Marie Hasdenteufel: Damit Frauen Vollzeit arbeiten können, muss ein Kindergarten mindestens 9,5 Stunden am Tag geöffnet sein. Das betrifft ebenfalls die Nachmittagsbetreuung an Schulen. Längere Betreuungsangebote auch für Kinder im schulfähigen Alter führen ebenfalls dazu, dass mehr Frauen Vollzeit arbeiten können.

KOMPETENZ: Die Mangelberufslisten alleine sind also Ihrer Meinung nach nicht ausreichend, um zu erreichen, dass Unternehmen MitarbeiterInnen finden und Arbeit suchende Menschen einen Arbeitsplatz. Was erwarten Sie hier von der Politik?

Marie Hasdenteufel: Ein Schlüssel ist sicher die Kinderbetreuung, da geht es eben nicht nur um das Angebot von Plätzen, sondern auch um die Öffnungszeiten. So könnte man viele Frauen zurück in die Erwerbsarbeit bringen. Eine Ausweitung der Angebote bräuchte es auch im Bereich der Pflege – pflegende Angehörige können dann zum Beispiel auch von derzeit Teilzeit auf Vollzeit aufstocken. Dann gibt es Berufsgruppen, die wir verstärkt brauchen, wie Klimatechniker, die benötigen wir, damit die Klimawende gelingt. Wir als Momentum Institut empfehlen außerdem, für die Mangelberufsliste mehr Faktoren als nur die Zahl der Arbeit suchenden Menschen pro offener Arbeitsstelle.

KOMPETENZ: Welche weiteren Kriterien schlagen Sie vor?

Marie Hasdenteufel: Um tatsächlich sagen zu können, ob in einer Berufsgruppe ein Mangel an Arbeitskräften vorliegt, braucht es eine Vielzahl von Kriterien. Man könnte sich zum Beispiel anschauen, wie sich die Löhne entwickelt haben. Wenn mehr bezahlt wird und das auch nicht mehr BewerberInnen bringt, dann wäre das ein Grund, diese Tätigkeit auf die Mangelberufsliste zu setzen. Man muss sich aber auch ansehen, wie sich die Arbeitszeit entwickelt hat, ob etwa viele Überstunden geleistet werden. Wenn sich die Arbeitszeit in einer Branche erhöht, ist das ein Indiz für einen Mangel. Auch ist die Zeit, die es dauert, bis eine Stelle besetzt wird, ein Indikator. Man kann das sehr feindgliedrig auffächern. Aber nur zu sagen, wir haben so und so viele Arbeitsuchende und so und so viele freie Stellen, bildet die Situation sicher nicht vollständig ab.

Zur Person:

Marie Hasdenteufel, geb. 1997 bei Karlsruhe/Deutschland, Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Uni Frankfurt, Master in Economics an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien.

Scroll to top