Agile Arbeitsmethoden: Was sind die Erfahrungen der Beschäftigten?

Horizontal image of workplace of programmer with computer on table in dark office

„Selbstorganisation“ versprechen die einen, einen „Marketing-Gag“ dahinter befürchten die anderen. Wo werden agile Arbeitsweisen in der IT-Branche eingesetzt und wie funktioniert Agilität für die Beschäftigten wirklich? Eine Studie bringt Licht ins Dunkel und ein Betriebsrat berichtet aus seinem Arbeitsalltag.

Ganze drei Viertel der Beschäftigten in der IT-Branche geben an, dass in ihrem Unternehmen agile Arbeitsmethoden eingesetzt würden. Eine Studie des IFES im Auftrag der Arbeiterkammer ist dem Phänomen auf den Grund gegangen um Antworten auf Fragen zu finden, die sich immer wieder stellen: Wie geht es den Beschäftigten mit agilen Arbeitsmethoden? Wo tauchen Probleme auf, wenn ein Großteil der IT-Abteilungen Österreichs einer Re-Organisation unterzogen wird? 2500 Beschäftigte liefern deutliche Antworten.

Agiles Arbeiten

Das agile Arbeiten geht auf die Grundpfeiler des sogenannten „Agilen Manifests“ zurück. Es wurde vor über 20 Jahren formuliert und will Individuen und Interaktionen in den Mittelpunkt der Arbeit rücken – nicht vorgefertigte Prozesse und Werkzeuge. Das Ergebnis, also „funktionierende Software“, sei wichtiger als eine umfassende Dokumentation des Entstehungsprozesses. Zuletzt soll die flexible Zusammenarbeit mit KundInnen vor die Vereinbarung am Papier gestellt werden.

Die Chancen für ArbeitnehmerInnen liegen auf der Hand: Flachere Hierarchien, eigenverantwortliches Arbeiten, ja vielleicht sogar eine „Demokratisierung“ der Arbeit, mehr Mitbestimmung. Auf der anderen Seite stehen die Gefahr einer Entgrenzung der Arbeitszeiten, Überwachung und Arbeitsverdichtung. Was bleiben Versprechen und welche werden erfüllt?

Prinzipiell positiv

Einer, der sich mit dem Thema auskennt, ist Peter Fischel. Fischel ist seit 17 Jahren bei der Raiffeisen Informatik GmbH beschäftigt, derzeit als IT Consultant und Betriebsrat. Fischels Unternehmen sei mittlerweile als Gesamtes nach agilen Arbeitsweisen organisiert. „Die agile Arbeitsweise ist kein Allheilmittel“, sagt Peter Fischel, auch wenn er sie „prinzipiell positiv“ sehen würde. Zwar hätte er sich bei der Einführung „mehr Fingerspitzengefühl“ und „weniger Zwangsbeglückung“ gewünscht. In den meisten Bereichen seiner Firma ergebe die neue Form der Arbeitsorganisation aber Sinn, berichtet der Absolvent einer HTL für Elektrotechnik.

Peter Fischel ist seit 17 Jahren bei der Raiffeisen Informatik GmbH beschäftigt, derzeit als IT Consultant und Betriebsrat und hat jahrelange Erfahrung mit agilem Arbeiten.
Foto: privat

„Die agile Arbeitsweise ist kein Allheilmittel.“

Peter Fischel

Auch wenn die Neu-Organisation nach agilen Maßstäben für ihn selbst wenig Änderungen mit sich brachte. „Ich habe auch davor schon sehr eigenverantwortlich gearbeitet.“ Doch nicht überall würden die agilen Methoden zu den Arbeitsaufgaben passen, findet Fischel: Sie seien dort am Erfolgreichsten, wo etwas entwickelt werde. Dort stünde noch nicht genau fest, „dass das jetzt ein rosa Elefant mit Sternderl“ sein müsse. „Stattdessen wissen wir ungefähr in welche Richtung wir gehen müssen und entwickeln die Lösungen mit den Kunden gemeinsam.“ Man sei Ergebnis-offen, könne am Weg zum Ziel auch noch „die Richtung ändern oder anpassen“, sagt Fischel.
Kaum passen würden agile Methoden, „wo es um Beständigkeit, Stabilität und Sicherheit geht“, wie der Betriebsrat findet. Aber sind seine Erfahrungen repräsentativ?

Mitbestimmung?!

Wie auch Fischel sehen große Teile der Befragten die Grundpfeilern der agilen Methoden durchaus positiv. Besonders mit den Methoden Scrum, Daily Standups oder KanBan hatten die meisten gute Erfahrungen gemacht. Auch Fischels Kritik an der Organisation spiegelt sich in der IFES-Studie wieder: Ganze 68 Prozent der agilen Teams seien durch die Entscheidung von Vorgesetzten gebildet worden. Ist das die „Zwangsbeglückung“, die auch Fischel benannte? Leider ja, denn 4 von 10 BetriebsrätInnen gaben an, bei der Re-Organisation ihrer Abteilungen nicht eingebunden gewesen zu sein.

Kein Wunder: Oft gelten Betriebsvereinbarungen, also schriftliche Vereinbarungen zwischen der Betriebsrat-Körperschaft und ArbeitgeberIn, als das Mittel der Wahl bei der Mitbestimmung im Betrieb. Und bei lediglich einem Fünftel der Befragten gibt es Betriebsvereinbarungen, welche eine Abgrenzung von Arbeit und Freizeit regeln würden. In allen anderen Bereichen, seien es Regeln für die Rollen im Team oder Fragen zur Lohneinstufung agiler Arbeitsweisen, sind es noch weniger. Öfter (bei 27 Prozent der Befragten) wird hingegen die Wahl des Arbeitsortes in Betriebsvereinbarungen geregelt.

Vertrauen statt Kontrolle

Peter Fischel schätzt an der agilen Arbeitsweise vor allem Flexibilität und Eigenverantwortung. In seinem Arbeitsbereich bringt sie zwar wenig Neues, letztlich sei aber die Organisation von Urlauben und ähnliches einfacher geworden. Freie Tage müssten nicht mehr „von oben“ abgesegnet werden, auch Bestätigungen von Arztbesuchen müssten zwar eingeholt aber nur im Zweifelsfall auch vorgelegt werden. Man habe sich von einer „Kontroll- zu einer Vertrauenskultur“ entwickelt, berichtet er. Das treffe in seinem Betrieb auch bei der Einführung neuer Software zu, bei welcher die Gefahr der MitarbeiterInnen-Überwachung bestehe: Vor der Einführung werde immer der Betriebsrat involviert, um die Nutzung der Software in Betriebsvereinbarungen zu regeln, wenn das erforderlich sei. Positiv, aus Fischels Perspektive, seien die vielfältigen Fortbildungsmöglichkeiten im Betrieb, sowie die niederschwelligen Zugänge zu arbeitsmedizinischen Angeboten.

„Nach dem Abendessen noch mal in die Mails rein schauen, um die KollegInnen nicht im Stich zu lassen, ist negative Folge einer solchen Entwicklung.“

Peter Fischel

Ein Nebeneffekt der gestiegenen Eigenverantwortlichkeit sei aber, dass das bei manchen KollegInnen „unterbewussten Druck“ mit sich bringe. „Nach dem Abendessen noch mal in die Mails rein schauen, um die KollegInnen nicht im Stich zu lassen“ sei negative Folge einer solchen Entwicklung. Ebenso die erwartete Effizienzsteigerung, welche den agilen Arbeitsmethoden zugesprochen wird. Dies erhöhe den Druck auf die KollegInnen zusätzlich.

Durchwachsen

Und auch hier ist Fischels Eindruck objektivierbar mit Ergebnissen der IFES-Studie. Fragt man, warum Unternehmen auf agile Arbeitsweisen umgestellt hätten, glauben die Befragten mit dem Ziel der „Optimierung von Prozessen“ (66 Prozent) und einer „Steigerung der Kundenzufriedenheit“ (56 Prozent). An Motive, welche vor allem das Wohl der MitarbeiterInnen im Fokus haben, glauben viel Weniger. Nur 26 Prozent sind der Meinung, dass dadurch die Zufriedenheit der Beschäftigten gefördert und lediglich elf Prozent, dass die Arbeitsbelastung damit reduziert werden solle. Zuletzt thematisierte rund die Hälfte der Befragten eine Unterbesetzung im Betrieb seit der Umstellung auf agile Arbeitsmethoden.

„Ich habe schon das Gefühl, dass die Meinung der Kolleginnen und Kollegen bei strategischen Entscheidungen heute mehr gehört wird, zumindest in Detailbereichen. Wenn es um große, Technologie-Entscheidungen geht, dann nicht.“

Peter Fischel

Peter Fischels Erfahrungen mit den agilen Arbeitsmethoden sind vielleicht repräsentativer als man sich denkt. Ein abschließender Eindruck könnte als „durchwachsen“ bezeichnet werden. So auch, wenn der IT Consultant nach innerbetrieblicher Mitbestimmung gefragt wird: „Ich habe schon das Gefühl, dass die Meinung der Kolleginnen und Kollegen bei strategischen Entscheidungen heute mehr gehört wird, zumindest in Detailbereichen. Wenn es um große, Technologie-Entscheidungen geht, dann nicht.“

Hier geht’s zur Studie von IFES

Du bist Betriebsrat/Betriebsrätin und möchtest mehr über agiles Arbeiten wissen? Mit dieser Broschüre unterstützen wir BetriebsrätInnen agile Arbeitsmethoden zu bewerten und aktiv im Sinne der Beschäftigten mitzugestalten.

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