Überstunden eindämmen

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Überlange Arbeitszeiten machen langfristig krank. Statt in Richtung Arbeitszeitverkürzung zu gehen, verlangen viele Arbeitgeber:innen von ihren Beschäftigten dennoch immer noch jede Menge Überstunden. Besonders kritisch sind hier All-in-Verträge für Arbeitnehmer:innen zu sehen, die keine
Führungsfunktion inne haben.

„Flexidays“ nennt die Bank Austria ein Angebot für ihre Beschäftigten, bei dem das Gehalt um fünf oder zehn Prozent reduziert wird, sie dabei zwar weiter Vollzeit arbeiten, aber zusätzlich zum Jahresurlaub weitere freie Tage konsumieren können. „Wenn ich um zehn Prozent reduziere, bekomme ich gerundet 20 zusätzliche freie Tage, bei fünf Prozent sind es zehn Tage“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Adi Lehner. „Dieses Modell kommt extrem gut an und zeigt, dass es ein großes Bedürfnis gibt, mehr freie Zeit zu haben.“ Eine gute Work-Life-Balance sei wichtig, und das aus gutem Grund, so Lehner: „Wer regelmäßig Überstunden macht und keinen entsprechenden Ausgleich hat, läuft Gefahr, krank zu werden. Beim einen ist es Dauerkopfschmerz, andere rutschen in ein Burnout.“

„Wer regelmäßig Überstunden macht und keinen entsprechenden Ausgleich hat, läuft Gefahr, krank zu werden.“

Adi Lehner

Wie Unternehmen mit dem Thema Überstunden umgehen, ist höchst unterschiedlich. Was aber nur mehr selten passiert, ist, dass diese einzeln abgegolten werden. In der Bank Austria gibt es für viele Beschäftigte Überstundenpauschalen. Darüber hinaus gilt: Geleistete Überstunden sollen eher durch Gleitzeit abgebaut als ausgezahlt werden. Gut im Griff sei das Thema Arbeitszeit inzwischen in den Filialen. Der Grund: es wurden die Öffnungszeiten reduziert.

47 Millionen unbezahlte Stunden

2022 haben die Betriebe den Arbeitnehmer:innen 47 Millionen Mehr- und Überstunden weder mit Geld noch mit Zeitausgleich abgegolten. Das ergibt eine Sonderauswertung der Statistik Austria für die AK Wien. Insgesamt kostet das die Arbeitnehmer:innen 1,2 Milliarden Euro. Frauen sind noch stärker betroffen als Männer. Dabei liegt der Anteil der unbezahlten Mehr- und Überstunden bei einem Viertel. Männern werden 23 Prozent nicht abgegolten bei Frauen, die zu einem deutlich höheren Anteil Teilzeit arbeiten, sind es sogar 28 Prozent!

Das würde sich Martin Müllauer auch für den Handel wünschen. Der Betriebsratsvorsitzende des Morawa Bucheinzelhandels ist auch Chefverhandler für den Handelskollektivvertrag. Früher gab es Spitzen in der Vorweihnachtszeit, so Müllauer, da wussten alle im Handel Beschäftigten: „Jetzt müssen wir vier Wochen hineinbeißen.“ Nun komme man aus diesem Zustand aber nicht mehr heraus. Die auch aufgrund des Personalmangels dünne Personaldecke führe dazu, dass ständig eingesprungen und länger gearbeitet werden müsse. Auch hier sei in den meisten Betrieben die Devise, Zeitausgleich zu nehmen. „Die Verbliebenen machen wieder Überstunden und die Katze beißt sich in den Schwanz.“

All-in-Verträge nachrechnen

Womit der stationäre Handel gegenüber dem Onlinegeschäft punkte, sei Beratung – allerdings nur, wenn es ausreichend Personal gebe. Unternehmen würden hier daher mit langen Öffnungszeiten auch gegen das Kundenservice arbeiten, argumentiert Müllauer. Vor allem aber geht es ihm um die Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Von All-in-Verträgen, wie sie zunehmend auch Filialleiter:innen, die aber selbst nichts entscheiden dürften, angeboten würden, rät er diesen ab. „Ich habe das mit einigen Kolleg:innen durchgerechnet. Da wird dann schnell klar, dass sie damit schlechter aussteigen.“

„Ich habe All-in-Verträge mit einigen Kolleg:innen durchgerechnet. Da wird dann schnell klar, dass sie damit schlechter aussteigen.“

Martin Müllauer

Auch Günther Gallistl hält wenig von All-in-Verträgen. Er ist Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrats bei Thermo Fisher Scientific und Chefverhandler des Kollektivvertrags der Chemischen Industrie. Etwa die Hälfte der 480 Angestellten in dem Betrieb hätten All-in-Verträge. Zehn Stunde tägliche Arbeitszeit seien für sie die Regel, nicht die Ausnahme. „All-in-Verträge sind die Knechtschaft der Angestelltenschaft“, meint er. Ginge es nach ihm, gehören solche Verträge abgeschafft. Warum das Gros der Betriebe im Bereich der chemischen und Pharmaindustrie darauf setzen? „Sobald der Personalstand nach oben geht, ist das ein Kostenfaktor.“

Bei Thermo Fischer Scientific kommt man allerdings immerhin der gesetzlichen Vorgabe nach, am Jahresende eine Deckungsprüfung vorzunehmen. Dabei wird nachgerechnet, wie hoch die Differenz zwischen Mindestgrundgehalt laut KV und Überzahlung ist und wieviele Überstunden geleistet wurden. So gibt es dann für jene mit eher niedrigen Überzahlungen Nachzahlungen.

„Wir stellen fest, dass viele Beschäftigte, die mehr arbeiten als in ihrem All-in-Vertrag vorgesehen ist, dies aus Furcht oder Unwissenheit nicht ansprechen.“

Barbara Teiber

Die Vergabe von All-in-Verträgen nehme quer durch die Branchen überhand, kritisiert GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. Zunehmend würden hier auch Arbeitnehmer:innen mit niedrigen Gehältern unter Druck gesetzt. Und: „Wir stellen fest, dass viele Beschäftigte, die mehr arbeiten als in ihrem All-in-Vertrag vorgesehen ist, dies aus Furcht oder Unwissenheit nicht ansprechen.“ Teiber fordert daher eine Einschränkung von All-in-Verträgen auf Führungskräfte, die über der Höchstbemessungsgrundlage von derzeit 6.060 Euro verdienen. Für sie könne das Modell gut und zum beiderseitigen Vorteil sein. Was allerdings auch hier auffällt: eine Deckungsprüfung, wie von Thermo Fisher Scientific-Betriebsrat Gallistl geschildert, findet in vielen anderen Unternehmen nicht statt – obwohl alle Arbeitgeber laut Gesetz dazu verpflichtet wären.

Laufend Mehr- und Überstunden

Weniger Thema sind All-in-Verträge in der Sozialwirtschaft, so Beatrix Eiletz, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark und KV-Verhandlerin für die Sozialwirtschaft. Von den 3.300 Beschäftigten der Volkshilfe Steiermark, die vor allem im Bereich Pflege und Elementarpädagogik eingesetzt sind, arbeiten zwei Drittel Teilzeit. Dennoch sind lange Arbeitszeiten auch für sie ein Thema. „Die meisten machen laufend Mehr- und auch Überstunden, weil ständig eingesprungen werden muss.“ Das wirke sich physisch wie psychisch aus.

„Die meisten machen laufend Mehr- und auch Überstunden, weil ständig eingesprungen werden muss.“

Beatrix Eiletz

Nicht planbare Freizeit

Besonders mache den Beschäftigten der Sozialwirtschaft zu schaffen, „dass sie ständig in der Freizeit angerufen werden, und gefragt werden, ob sie einspringen können“. Es gebe zwar keine Verpflichtung, dem nachzukommen, doch viele würden sich den Kolleg:innen verpflichtet fühlen. Eiletz versucht dann immer wieder zu vermitteln, dass es am Arbeitgeber, besonders aber an der Politik liegen würde, die Personaldecke zu erhöhen. Bis zu einem bestimmten Punkt sei es möglich, Personalausfälle durch Krankenstand und Urlaub zu kompensieren, aber irgendwann gehe das eben nicht mehr.

Unser Tipp: Arbeitszeiten aufzeichnen

Bekommst du deine Überstunden korrekt bezahlt oder kannst du dir Zeitausgleich dafür nehmen?
Wenn du das Gefühl hast, mit der Abrechnung deiner Arbeitszeit stimmt etwas nicht, dann solltest du:

  1. unbedingt selbst deine Arbeitszeiten aufzeichnen. (Sogar in einem Streit vor Gericht werden selbst geführte Aufzeichnungen als Beweismittel anerkannt.)
  2. zu uns kommen und deine Arbeitszeiten und deinen Arbeitsvertrag von einem unserer Rechtsberater:innen prüfen lassen.

All-in-Rechner

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