Frauen sind zu Hause für die Familienarbeit zuständig, ebenso sind es mehrheitlich Frauen, die in Pflegeberufen ältere und kranke Menschen betreuen. Corona hat die Krise in der Care-Arbeit verschärft. Welche Strategien braucht es für einen Ausweg?
Beim 7. Barbara Prammer Symposium Mitte Jänner ging es – diesmal Online – um eine geschlechtergerechte Krisenpolitik in Österreich und auf europäischer Ebene. Im Fokus stand dabei die Care-Arbeit. Dass die Sorgearbeit durch Corona verstärkt in eine Krise gerutscht ist, bedeutet: Menschen, die Fürsorge benötigen, erhalten diese nicht mehr ausreichend, und Menschen, die bezahlt oder unbezahlt für andere sorgen, können diese Tätigkeiten nicht mehr angemessen ausüben.
Diese Krise ist zugleich eine Krise der Frauen. Denn während es 2008 die Banken waren, die als systemrelevant gerettet werden mussten, rückten bei Corona ganz andere systemtragende Berufe ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit: Medizinisches Personal, PflegerInnen und PädagogInnen wurden zwar beklatscht, aber deshalb leider nicht besser bezahlt. Dass Mütter ihre Kinder daheim im Homeschooling quasi „nebenbei“ betreuten und unterrichteten, wurde schon im ersten Lockdown als selbstverständlich vorausgesetzt.
„Die Krise bietet eine Gelegenheit darüber nachzudenken, ob die Art und Weise, wie wir füreinander sorgen, angemessen ist und wie notwendige Verbesserungen umgesetzt werden können.“
Emma Dowling
Emma Dowling, Soziologieprofessorin an der Uni Wien, definiert die Care-Krise als eine „Erschöpfung gesellschaftlicher Sorge-Ressourcen“. Mit diesen Ressourcen sind natürlich Menschen gemeint – zum großen Teil Frauen. Die Care-Krise betrifft sowohl die unbezahlte, als auch die bezahlte Sorgearbeit, da beide Bereiche unmittelbar zusammengehören: Sorgearbeit kann in unterschiedlichem Umfang in bezahlte Dienstleistungen ausgelagert werden. Die Corona-Krise hat dieses System nun an seine Grenzen gebracht.
Dowling stellt die Frage, ob „eine Rückkehr zur Normalität nach der Pandemie überhaupt wünschenswert“ sei, denn: „Die Krise bietet eine Gelegenheit darüber nachzudenken, ob die Art und Weise, wie wir füreinander sorgen, angemessen ist und wie notwendige Verbesserungen umgesetzt werden können.“
Ursachen der Care-Krise
Der englische Begriff „Care Work“, hierzulande Care-Arbeit, Pflegearbeit oder (Für)sorgearbeit, bezeichnet alle Tätigkeiten des Pflegens und Sich-Kümmerns. Der Ausdruck Care Work entstand rund um die Diskussion um unbezahlte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige und zumeist von Frauen geleistete Arbeit. Mittlerweile wird Care-Arbeit sowohl für unbezahlte, als auch für bezahlte Arbeit in Dienstleistungsberufen rund um Kinderbetreuung einerseits und Pflege älterer und kranker Menschen andererseits verwendet.
Dowling hat in Großbritannien untersucht (und darüber ein Buch publiziert), wohin die Austeritätspolitik geführt hat, mit der dort jahrzehntelang das Gesundheitswesen kaputtgespart wurde. Eins der traurigen Resultate davon sind die hohen Todesraten in britischen Altersheimen, die an Corona erkrankte Menschen aufnehmen mussten, für die es keine Plätze im Krankenhaus gab.
An solchen Beispielen zeigt Dowling, dass die gewinnorientierten sozialen Einrichtungen in England nicht funktionieren können: Gewinne werden nur dann erwirtschaftet, wenn entweder extrem an der Zeitschraube gedreht wird, was bedeutet, dass die PflegerInnen sich nicht mehr angemessen kümmern können. Oder man setzt bei der Geldschraube an, was wiederum die Löhne und die Qualität der Dienstleistungen insgesamt sinken lässt und die DienstleisterInnen in prekäre Arbeitsverhältnisse drängt.
Österreich steht im Sozialbereich glücklicherweise längst nicht dort, wo Großbritannien steht. Trotzdem befinden sich die öffentlichen Kassen und die öffentliche Daseinsvorsorge unter finanziellem Druck, nicht zuletzt durch die wirtschaftlichen Verwerfungen durch Corona, warnt Dowling. Der Pflegekräftemangel würde die Care-Krise auch in Österreich verschärfen. Das Problem für die Pflegekräfte ist nicht die Arbeit selbst, die überwiegend als befriedigend erlebt wird, sondern die Rahmenbedingungen, also steigender Arbeitsdruck, zu wenig Zeit für die einzelnen Tätigkeiten, unflexible Arbeitszeiten, etc.
Wert der unbezahlten Arbeit
Bei der Familienarbeit im eigenen Heim geht es immer noch um Sichtbarkeit und Anerkennung, wobei Anerkennung konkret den ökonomischen Wert dieser Arbeit meint. Die Leistung jener Frauen, die zu Hause (Home-Office, Kinderbetreuung, Homeschooling, Haushalt) alles am Laufen halten bleibt de facto unsichtbar – und eben unbezahlt, erläutert die Ökonomin Katharina Mader von der WU Wien. Noch vor der Pandemie, rechnet Mader vor, wurden jährlich rund 9 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit in Österreich geleistet. Dem stehen knapp ebenso viele Arbeitsstunden (9,5 Milliarden Stunden) bezahlte Arbeit gegenüber. Die unbezahlten Arbeitsstunden repräsentieren einen Wert von ca. 105 Milliarden Euro, das entspricht 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Frauen leisten pro Woche um 12,5 Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Während der Pandemie und vor allem während der Lockdowns haben Frauen deutlich mehr unbezahlte Familienarbeit geleistet. Dazu kommt, dass sie zugleich Einkommensverluste hinnehmen mussten, weil sie weniger Zeit für Erwerbsarbeit aufbringen konnten oder überhaupt ihre Jobs verloren haben. Dies wird sich auch negativ auf das Lebenseinkommen dieser Frauen und auf ihre Pensionen auswirken.
Finanzieller Druck
Sinkende Reallöhne führen dazu, dass beide Elternteile mehr Erwerbsarbeit leisten müssen, um gemeinsam die Familie finanziell zu erhalten – was wiederum die Betreuungsprobleme für Kinder und Ältere verschärft. Im Doppelverdiener-Modell sind beide Eltern erwerbstätig, doch die traditionelle Rollenverteilung führt dazu, dass die unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Hausarbeit nach wie vor auf den Schultern der Frauen lastet. In Österreich überwiegt außerdem immer noch jenes Modell, wo zwar beide verdienen, der Mann jedoch Familienerhalter und die Frau Zuverdienerin ist, was die Doppelbelastung der Frauen erst recht einzementiert.
Eines ist sicher: „Der Glaube, dass der Markt diese Probleme lösen werde, ist gerade in diesem Bereich ein Irrweg“, betont Dowling. Sie unterstreicht die Wichtigkeit einer Arbeitszeitverkürzung für eine progressive Frauenpolitik und fordert „einen grundsätzlichen Richtungswechsel von einer gewinnorientierten zu einer bedarfsorientierten Gesellschaft“.
Investitionen in einen Care Deal
Corona hat mit Home Office und Homeschooling erst recht wieder zur Unsichtbarkeit der Familienarbeit beigetragen, befürchtet Katharina Mader. Care Arbeit, folgert sie, müsse in einem ersten Schritt daher sichtbar gemacht werden, nur so kann man diese Tätigkeiten aufwerten. Wünschenswert wäre es weiters, wenn im Pflegebereich der Staat wieder verstärkt als Arbeitgeber auftritt und gute Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn das würde nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern zusätzlich einen Dominoeffekt, weil Frauen so in Beschäftigung kommen können. In Summe hätten „Investitionen in Kinderbetreuung viel mehr Effekt als in Bauunternehmen“, hebt Mader hervor.
Auch Evelyn Regner, Gewerkschafterin und Vorsitzende des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung im europäischen Parlament, betont, dass es vor allem Frauen sind, die die Corona-Krise stemmen. Die Krise trifft Frauen härter als Männer, vor allem wenn es um die Sorgearbeit, Stress, Gewalt und Arbeitslosigkeit geht.
Deshalb, so führt Regner aus, muss Europas Krisenpolitik den Fokus auf Frauen legen: „Wir müssen dafür sorgen, dass in den Programmen zum Wiederaufbau die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Frauen konsequent ausgeglichen werden. Sorgearbeit muss aufgewertet werden und in qualitative Arbeitsplätze von der Kinder- bis zur Altenbetreuung investiert werden“, so Regner. Das bedeutet, „dass an einem umfassenden Care Deal kein Weg vorbeiführt.“
Von den Finanzmitteln des Corona-Wiederaufbaufonds ‚Next Generation EU‘ werden enorme Summen als direkte Unterstützungszahlungen in die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer fließen. Österreich kann mit rund drei Milliarden Euro rechnen. Dafür muss jedoch für die Verwendung der Gelder ein nationaler Aktionsplan vorgelegt werden. „Es braucht Transparenz und eine politische Debatte, was konkret mit den EU-Geldern passiert“, fordert Regner. Die Erarbeitung dieses Aktionsplanes ist in Österreich in der öffentlichen Diskussion noch nicht angekommen, kritisiert Regner, und hinkt gegenüber anderen Ländern wie z.B. Skandinavien hinterher.
Die Fördermittel der EU sollen sozial gerecht und auf der Basis von Gender Budgeting investiert werden, d.h. gemäß dem Grundsatz, dass Frauen gleichberechtigt behandelt werden. „Wir müssen in einen echten Care Deal investieren“, betont Evelyn Regner, „es muss massiv Geld in öffentliche Dienstleistungen fließen, denn diese sind der beste Garant und Schutz für Frauen.“ Geld in Care-Berufe zu lenken ist auch deshalb eine nachhaltige Investition, weil es sich um eine sehr jobintensive Branche handelt.
Was unbedingt verhindert werden muss: „Dass nach der aktuellen Krise die Systemerhalterinnen wie so oft bei Seite geschoben werden und wir wieder zur Tagesordnung übergehen“, warnt Regner. Füreinander zu sorgen sollte in einer solidarischen Gesellschaft im Mittelpunkt stehen und hohes Ansehen genießen. Emma Dowling fordert uns daher ebenfalls auf, die Care-Arbeit ins Zentrum unserer Bemühungen zu rücken und sie vor allem „nicht wegzuschieben, damit wir etwas anderes, Wichtigeres machen können.“