Seit 2017 ist Christian Hörhan Betriebsratsvorsitzender bei der Lebenshilfe Niederösterreich. Manchmal habe er das Gefühl er kämpfe gegen Windmühlen, aber zum Aufgeben habe er den falschen Job.
Der überlebensgroße 3D-Schriftzug „Lebenshilfe“ wirkt etwas deplatziert. Am Eingang zum Industriegelände am Rand von Sollenau (Bezirk Wiener Neustadt-Land), das überwiegend aus Baustellen, Bauzäunen, Fabrikhallen und einem Verteilerzentrum der Post besteht, mag man auf den ersten Blick keine Sozialeinrichtung vermuten. Erst im hinteren Teil des Geländes, wo die Wohnhäuser der Behindertenbetreuung der Lebenshilfe untergebracht sind, wirkt die Szenerie einladender, natürlicher, grüner. Am freundlichsten wirkt der Quittenbaum vor Christian Hörhans Büro.
Hörhan ist Betriebsratsvorsitzender der Lebenshilfe Niederösterreich. Der 45-Jährige trägt ein dunkelrotes Shirt und eine dunkle Brille, schwarzes Haar, spricht langsam und bedacht, und neigt dazu, sich gelegentlich in Schachtelsätzen zu verirren, ehe er wieder zum eigentlichen Punkt zurückkommt. Er schlägt sich täglich ganz konkret mit jenen Problemen rum, die medial nur ganz abstrakt als „Pflegekrise“ durch die Gegend schwirren. Eine manchmal mühselige, kräftezehrende Arbeit, wie er sagt. Aber zum Aufgeben hätte er den falschen Job. Seine Bürotasse trägt die Aufschrift „Für einen Burnout fehlt mir einfach die Zeit“.
Auf Hörhans Schreibtisch verteilen sich mal größere, mal kleinere Papierstapel, diverse Folder, Folien. Viele der Schriftstücke drehen sich um die derzeit laufenden Kollektivvertragsverhandlungen der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). „Höheres Einkommen. Mehr Freizeit. Bessere Arbeitsbedingungen“ steht auf einem der Folder, „Kämpfen wir gemeinsam für einen guten KV-Abschluss“ auf einem anderen. Hörhan saß auch bei den diesjährigen Verhandlungen im kleinen Verhandlungsteam. Inzwischen sind die Verhandlungen abgeschlossen.
Bis 10,2 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung
15 Prozent mehr Gehalt haben er und seine KollegInnen gefordert. Begleitet wurden die Verhandlungen von Protesten und Warnstreiks und einer Demonstration mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Wien. Geworden sind es schließlich in der 4. Verhandlungsrunde bis zu 10,2 Prozent, wobei die unteren Einkommen stärker ansteigen. Im Detail: Alle Löhne und Gehälter werden um 8 Prozent erhöht, wobei aber alle monatlich mindestens um 175 Euro erhöht werden. Das führt in der untersten Einkommensgruppe eben zu einer Gehaltserhöhung in Höhe von 10,2 Prozent und schleift sich je nach Gehaltshöhe prozentuell nach oben ein.
„Der Geldgeber sitzt nicht am Verhandlungstisch und wer am Verhandlungstisch sitzt, sitzt nicht am Geldhahn“
Christian Hörhan
Jedes Mal wieder stehen Hörhan und seine KollegInnen bei den Verhandlungen vor einem Problem, das die KV-VerhandlerInnen aus anderen Branchen so nicht kennen: Der Geldgeber sitzt nicht mit am Tisch. Finanziert werden die Sozialeinrichtungen, wie etwa die Lebenshilfe, nämlich vom Land bzw. dem Bund. Hörhan spricht von einer „absurden Situation“: „Der Geldgeber sitzt nicht am Verhandlungstisch und wer am Verhandlungstisch sitzt, sitzt nicht am Geldhahn“. Mit dem Ergebnis, dass Forderungen nach besserer Bezahlung, auch in Form von Betriebsversammlungen und Streiks, oftmals ins Leere laufen. An die öffentliche Hand adressiert spricht Hörhan von einer „politischen Frage“: Was ist dem Land und dem Bund unsere Branche wert?
Warum? Warum!
Hörhan schnupperte erstmals als Zivildiener etwas Lebenshilfe-Luft, machte dann aber eine Ausbildung zum Gärtner und Floristen. Erst 1999, die liebgewonnene Erinnerung an den Zivildienst noch im Hinterkopf, kehrte er zur Lebenshilfe zurück. 2009 wurde er erstmals in den Betriebsrat gewählt, 2014 zum stellvertretenden Betriebsratschef – und 2017 schließlich Betriebsratsvorsitzender.
Auf die Frage „warum“ antwortet Hörhan mit „warum“. „Meine Gene zwingen es mir auf, immer die Frage nach dem Warum zu stellen“, erläutert der Betriebsrat. „Ich kann nicht anders, als Sachen ständig zu hinterfragen. Und wenn ich auf „Warum?“ keine plausible Antwort bekomme, dann bohre ich weiter“. Beständiges kritisches Hinterfragen, weiterbohren – das seien im Grunde auch die Grundzutaten für eine erfolgreiche Betriebsratsarbeit.
„Aber wenn man sich schnelle Veränderungen erhofft, ist man als Betriebsratsvorsitzender wahrscheinlich nicht am richtigen Posten“
Christian Hörhan
In seinen ersten Monaten als Betriebsrat aber „wurden die Fragezeichen und die Warum noch sehr viel mehr“, erinnert sich der 45-Jährige. Anfangs dachte er, „ich bin zu blöd dazu, weil ich keinen Durchblick hatte“. Erst langsam sei er in seine Rolle hineingewachsen, durch Betriebsratsschulungen, Dutzende Betriebsratssitzungen und vor allem der Unterstützung seiner BetriebsratskollegInnen.
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Altbekannte Probleme
An den Problemstellungen habe sich – mit „Corona“ als unwillkommene Ausnahme – seither wenig verändert: Die Branche ist chronisch unterfinanziert – was in den allermeisten Fällen auf die Beschäftigten abgewälzt wird. Die Einkommen sind zu niedrig, die Belastung zu hoch, die Personaldecke zu dünn. Die Zahl der BewerberInnen gehe seit Jahren sukzessive zurück. Mittlerweile hätten sie sogar Probleme, bestehendes Personal zu halten. Teils wanderten MitarbeiterInnen in den Einzelhandel ab; nicht unbedingt eine Branche, die für ihre hervorragenden Arbeitsbedingungen bekannt ist.
Ob ihn das als Betriebsrat manchmal frustet? „Natürlich hat man das Gefühl, man arbeitet gegen Windmühlen“, muss Hörhan zugeben. „Aber wenn man sich schnelle Veränderungen erhofft, ist man als Betriebsratsvorsitzender wahrscheinlich nicht am richtigen Posten“. Manche Probleme ließen sich zügig lösen, bei anderen brauche man eben einen längeren Atem. Dann sagt Hörhan einen seiner Lieblingssätze: „Steter Tropfen höhlt den Stein“.
Zur Person:
Christian Hörhan, 45, wurde in Purgstall an der Erlauf (Bezirk Scheibbs) geboren und wohnt im Bärnkopf (Bezirk Zwettl). Seit 2009 ist er Betriebsrat bei der Lebenshilfe Niederösterreich, seit 2017 ebendort Betriebsratsvorsitzender. Zuvor absolvierte er eine Ausbildung zum Gärtner und Floristen.
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