„Vermögensbezogene Steuern sind ein Muss“

Direktor der Diakonie Michael Chalupka, Foto: Nurith Wagner-Strauss

Diakonie-Direktor Michael Chalupka mahnt ein, bei einer Steuerreform den Pflegebereich mitzudenken.

KOMPETENZ: Die Regierung wurde eben umgebildet, nachdem der Finanzminister vor allem wegen des Themas Steuerreform das Handtuch geschmissen hat. Dringendste Aufgabe seines Nachfolgers wird also sein, diese Steuerreform rasch auf den Weg zu bringen. Was erhoffen Sie sich hier?

Michael Chalupka: Ich denke, das Wichtige ist, dass wir uns nicht auf einzelne Elemente fixieren, sondern dass eine Steuerreform darüber hinaus geht. Das heißt, wir brauchen in Österreich einerseits eine Sicherung des Sozialstaats, andererseits große Zukunftsausgaben, Investitionen in Sektoren, wo wir als Diakonie jetzt schon sehen, dass die Schere zwischen Arm und Reich Auswirkungen hat.

KOMPETENZ: An welche Zukunftsausgaben denken Sie da?

Michael Chalupka: Das sind ganz klar die Bereiche Kinderbetreuung und Bildung. Wir haben immer noch ein Bildungssystem, das segregiert. Und wir brauchen die Absicherung von Pflege und Betreuung älterer Menschen. Das klingt vielleicht aufs erste paradox, wenn man sagt, Steuerreform und dann Mehrausgaben fordert. Natürlich müssen wir auch die Lohnsteuer entlasten. Aber dennoch muss man immer die großen Ziele vor Augen haben. Nichts ist eindimensional.

Nehmen wir den Bereich Pflege: wenn wir hier investieren, schaffen wir auch Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, daraus folgen neue Steuereinnahmen. Auch in Regionen, die benachteiligt sind, würde Infrastruktur geschaffen, denn ich kann die Betreuung von alten, von pflegebedürftigen Menschen nicht irgendwohin auslagern. Das muss ich vor Ort machen. Das gilt sogar für solche Dinge, wo sich jetzt alle sträuben, wie die Flüchtlingsbetreuung.

Investitionen in soziale Infrastruktur schaffen auch Möglichkeiten von Beschäftigung, und zwar nicht nur für die Betreuer, sondern zum Beispiel auch für Angehörige, die so in ihrer Betreuungsarbeit entlastet werden und ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen können. Diese Gesamtsituation darf man bei Überlegungen zu einer Steuerreform nicht aus den Augen lassen – aber da höre ich wenig.

KOMPETENZ: Wo sehen Sie den Fokus in der aktuellen Debatte?

Michael Chalupka: Es wird viel über das Sparen gesprochen, aber eben kaum über notwendige Investitionen. Es gibt Stimmen der Vernunft wie die des Wirtschaftsforschungsinstituts, aber von den Parteien hört man da wenig. Und wenn sind es Ideen, welche Massensteuern eingeführt werden könnten, die dann wieder alle belasten.

KOMPETENZ: Ihnen geht es also um das Thema Verteilungsgerechtigkeit. Wie kann man diese erreichen?

Michael Chalupka: Zur Verteilungsgerechtigkeit haben wir einmal einen Befund in einer dreifachen Weise, denn wir glauben, sehen und wissen, dass Ungleichverteilung für eine Gesellschaft schlecht ist. Wir glauben es, weil wir eine christliche Organisation sind und das zu unserem Selbstverständnis gehört, dass alle Güter, all das, was uns geschenkt wird, nicht zu unserem Eigenen wird, sondern der Gemeinschaft gehört. Deshalb gibt es im Alten Testament ja auch immer wieder Gesetze, Normen, die sagen, Schulden müssen getilgt werden. Wenn man sich Griechenland ansieht, wäre es wahrscheinlich auch wirtschaftlich sinnvoller gewesen, einen Schnitt zu machen.

Wir sehen, dass die ungleiche Verteilung etwas ist, was der Gesellschaft schadet, in unserer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wir haben zum Beispiel in Wien ein Projekt, wo wir eine Schuljause organisieren, weil Lehrerinnen und Lehrern in bestimmten Gegenden aufgefallen ist, dass viele Kinder in der Früh unkonzentriert sind, da sie nicht gefrühstückt haben.

Und schließlich wissen wir, dass Ungleichverteilung schädlich ist, weil dies wissenschaftlich belegt und Mainstream ist. Auch die OECD sagt heute, dass die extreme Ungleichverteilung der Vermögen weltweit in den vergangenen 30 Jahren zu gesundheitlichen und Sicherheitsproblemen in der Gesamtgesellschaft geführt hat. Das heißt umgekehrt: eine Gesellschaft, die gleicher verteilt ist, ist auch eine gesundere, sicherere Gesellschaft, in der man besser leben kann.

KOMPETENZ: Wie ist eine solche Verteilungsgerechtigkeit nun aber zu erreichen?

Michael Chalupka: Österreich hat ja ein Modell, das zeigt, dass es möglich ist. Es gibt sozialstaatliche Interventionen und der Sozialstaat ist ein Schutzschild. Vermögensbezogene Steuern kommen allerdings kaum zu Tragen. Alle sollen aber ihren Teil beitragen können, und ich sage bewusst können, denn es gibt ja Menschen, die sehr reich sind, und sagen, wir wollen nicht nur Charity, wir wollen hier gesamtgesellschaftlich etwas beitragen. Vermögensbezogene Steuern halte ich für ein Muss.

KOMPETENZ: Wie sollen diese konkret aussehen?

Michael Chalupka: Wie man es ausarbeitet, das ist der Regierung zu überlassen. Aber was mir auffällt: die Debatte ist eine sehr merkwürdige.

KOMPETENZ: Inwiefern?

Michael Chalupka: Wir haben in Österreich eine hundertprozentige Vermögenssteuer und zwar nur für eine ganz bestimmte Gruppe, nämlich für alle, die pflegebedürftig sind. Wir haben drei große Risiken im Leben: krank, arbeitslos oder pflegebedürftig zu werden. Die ersten beiden Risiken haben wir solidarisch abgefedert. Bei der Pflege ist das anders. In dem Moment, in dem man pflegebedürftig wird, und das kann jedem von uns passieren, schlägt eine hundertprozentige Vermögenssteuer zu – und gleichzeitig eine hundertprozentige Erbschaftssteuer, denn meist wird alles vorhandene Vermögen für die Pflege aufgebraucht.

KOMPETENZ: Hier braucht es also auch eine solidarische Lösung.

Michael Chalupka: Ja. Pflege ist zu einem großen Lebensrisiko geworden. Da haben wir also eine hundertprozentige Belastung für die einen und reden bei vermögensbezogenen Steuern von Abgaben im Promillebereich. In der öffentlichen Debatte wird aber so getan, als ob dadurch auf den Mittelstand, auf die kleinen Leute zugegriffen würde. Und wenn dann in der Debatte wieder Massensteuern auftauchen, wie etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent, dann wäre das erneut eine Belastung für alle, die Auswirkungen auf die Kaufkraft hätte. Die wirtschaftliche Entwicklung abzuwürgen kann aber auch nicht die Lösung sein. Von Vermögen, die irgendwo angelegt sind, gibt es jedenfalls keinen Konsum.

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