Revolutionäre Steuerpolitik im Roten Wien

Werbeplakat für Luxussteuern im Wien Museum
Foto: Alexia Weiss

Das Wien Museum spürt in der Montag Abend in den Räumlichkeiten des MUSA neben dem Rathaus eröffneten Ausstellung „Das Rote Wien, 1919-1934“ der Neukonzeption der Stadt in der Zwischenkriegszeit nach. Einige der Baumeister des revolutionären Projekts waren zuvor in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, wie etwa Jakob Reumann oder Hugo Breitner.

Wien nach dem Ersten Weltkrieg: Die Stadt, die heuer zum zehnten Mal in Folge von der internationalen Beratungsagentur Mercer zu jener mit der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt wurde, war 1919 „die Krisenstadt des Kontinents“, sagt Kurator Werner Michael Schwarz. Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit beherrschten den Alltag vieler WienerInnen. Die Herausforderung schlechthin war die Wohnungsfrage.

Die Gemeindebauten, die bis heute international als best practice Modell gelten, waren in der Zeit interessanterweise nicht die erste Wahl. Die Siedlerbewegung machte sich für Gartensiedlungen an der Peripherie der Stadt stark. Einige solche Siedlungen entstanden, doch die Stadt setzte schließlich auf ein anderes, in der Zeit durchaus kritisiertes Konzept: Die mehrgeschossigen Gemeindebauten. Das trage zur Verdichtung der Stadt bei, wurde moniert. Nur so gelinge es aber, vielen Menschen rasch Wohnraum zu bieten, entschied die Stadtpolitik, so Schwarz.

Ausstellungsplakat „Das rote Wien“

Das Rote Wien schuf bis 1934 mehr als 60.000 Wohnungen, dazu zahlreiche Sozial-, Gesundheits-, Freizeit-, Bildungs- und Kultureinrichtungen. Bis heute bilden viele dieser Bauwerke den Rahmen der fortschrittlichen Stadt, die Wien in der Zwischenkriegszeit wurde und die sie heute wieder ist. Möglich machte dies eine revolutionäre Steuerpolitik.

Das Mastermind dahinter war Hugo Breitner. Der Finanzstadtrat Wiens hatte die Handelsakademie besucht, dann als Angestellter der Länderbank gearbeitet. Dort baute er eine Sektion der Gewerkschaft auf. Im Roten Wien machte er durch seine Finanzpolitik vieles überhaupt erst möglich. Sein Erfolgsrezept: „Eine Reform des Steuerwesens, wobei die Umwandlung von indirekten, alle gleich belastenden Steuern in stark progressive direkte Steuern im Vordergrund standen“, wie es der Wirtschaftshistoriker Peter Eigner in seinem Beitrag zur Finanzpolitik des Roten Wien im Katalog zur aktuellen Schau skizziert. „Des Weiteren beinhaltete sie die Einführung von Luxussteuern und den Verzicht auf Kreditaufnahme bzw. auf Gewinne der städtischen Unternehmungen.“

Eingesetzt wurde Breitner von Bürgermeister Jakob Reumann, auch er begründete vor seiner politischen Laufbahn eine Gewerkschaft, und zwar die der Drechsler. Bereits in seiner Antrittsrede 1919 machte er klar: Die sozialpolitische Modernisierung der Stadt werde viel Geld kosten, die Aufwendungen dafür sollten aber nicht auf dem Anleiheweg, sondern einnahmenseitig durch ein neues Steuersystem hereinkommen. Massensteuern, die Arme und Reiche gleichermaßen trafen, sollten dabei vermieden werden.

1913, vor dem Erste Weltkrieg, stammten 50 Prozent der Einnahmen aus einer Umlage auf die staatliche Mietzinssteuer, 30 Prozent aus dem Reingewinn städtischer Monopolbetriebe, zehn Prozent auf Verzehrsteuern. Die Monopolunternehmen wie Gas- und E-Werk oder die Straßenbahn wiesen nach dem Krieg jedoch ein Defizit auf. Und Verzehr- und Mietzinssteuer verloren durch die hohe Inflation an Bedeutung, letztere wurde 1923 schließlich gänzlich abgeschafft.

Breitner machte sich also daran, das Finanz- und Steuersystem grundlegend neu zu konzipieren. Möglich wurde dies vor allem auch durch die Trennung Wiens von Niederösterreich per 1. Jänner 1922, so konnte die Stadt als eigenständiges Bundesland agieren. Vordringlichstes Problem war die Finanzierung des Wohnbaus. „Mit Gemeinderatsbeschluss vom 20. Jänner 1923 über die Einführung einer zweckgebundenen, stark progressiv gestaffelten Wohnbausteuer wurde in der Folge die hauptsächliche Finanzierungsquelle für die Errichtung der Gemeindebauten geschaffen“, so Eigner.

Luxussteuern statt Massensteuern

Legendär wurden aber die so genannten Breitner-Steuern. Luxus- statt Massensteuern lautete seine Devise: Breitner führt die Pferdeabgabe, die Hauspersonalabgabe, die Luxuswarenabgabe, die Nahrungs- und Genussmittelabgabe, eine Abgabe auf den Verbrauch von Bier, die Kraftwagenabgabe, die Hundeabgabe und die Lustbarkeitsabgabe ein. Er schuf Boden- und Mietsteuern wie die Wertzuwachsabgabe, die Wohnbausteuer und die Grundsteuer. Und er installierte Betriebs- und Verkehrssteuern wie die Fürsorgeabgabe, die Konzessionsabgabe, die Fremdenzimmerabgabe, die Anzeigenabgabe oder die Wasserkraftabgabe. Die Wohnbausteuer war dabei die einzige Massensteuer, sie wurde aber progressiv gestaffelt. Einfache Wirts- und Kaffeehäuser wurden nicht besteuert.

Am Ende machten die Luxussteuern zwischen einem Fünftel bis einem Viertel der Steuereinnahmen der Stadt aus

Am Ende machten die Luxussteuern zwischen einem Fünftel bis einem Viertel der Steuereinnahmen der Stadt aus – 1933 schließlich nur mehr 15,7 Prozent. Doch die „Breitner-Steuern“ waren da bereits zum Schlagwort geworden, das sich unter anderem auch auf ein sozialdemokratisches Plakat im Jahr 1927 seinen Weg bahnte. Breitner stand für soziale Umverteilung, was ihn – der auch noch einer jüdischen Familie entstammte, wenngleich er selbst 1910 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten war – zum Hassobjekt bei den Christlichsozialen machte. Seine Finanzpolitik wurde als „Steuerbolschewismus“ und „Steuersadismus“ verunglimpft. In der Realität war die steuerliche Belastung der Besitzenden am Ende jedoch nicht so hoch, wie es auch die Rhetorik der sozialdemokratischen Verantwortlichen vermuten hätte lassen, so Eigner.

Sein Befund: „Die Wirtschaftspolitik Breitners war eher konservativ und am Sparen orientiert als keynesianisch oder gar radikal.“ Aber: „Unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten bzw. Möglichkeiten war das Resultat – das, was die Gemeinde mit den Einnahmen machte – beeindruckend.“ Der kommunale Wohnbau und die sozialpolitischen Maßnahmen der SozialdemokratInnen hatten auch international Aufsehen erregt. Der Historiker Wolfgang Maderthaner spricht daher vom Roten Wien als „einem der außergewöhnlichsten, kreativsten und mutigsten kommunalen Experimente der neueren europäischen Geschichte“.

Was alles möglich gemacht wurde, zeichnet die aktuelle Schau des Wien Museums (in Kooperation mit dem Verein für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung)  nach. Plakate, wie jenes mit den Breitner-Steuern, aber auch Objekte wie die Spülküche der innovativen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, lassen bis heute den damaligen Zeitgeist nachspüren. Museumsdirektor Matti Bunzl und das KuratorInnenteam Werner Michael Schwarz, Georg Spitaler und Elke Wikidal machen aber bis 19. Jänner 2020 die ganze Stadt zum Museum – „begehbare Objekte“ wie das Praterstadion (für die Arbeiterolympiade 1931 in Wien errichtet), der Karl-Marx-Hof oder das von Otto Neurath gegründete Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, in dem dieser in der damals neuen Form von Bildgrafiken wirtschaftliche Themen erläuterte (Isotype genannt), werden zum Teil der Schau.

www.wienmuseum.at

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