Wenn das Illegale legal wird…

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Seit der Anhebung der gesetzlichen Arbeitszeit-Höchstgrenzen verzeichnet die Arbeitsinspektion einen starken Rückgang der Verstöße und damit auch der Strafanzeigen gegen Unternehmen. Sektionschefin Anna Ritzberger-Moser sieht die bisherige Praxis der Arbeitszeitgestaltung durch den erweiterten Spielraum legalisiert.

Der Großteil der Arbeitszeit bewegt sich nun innerhalb der erweiterten gesetzlichen Grenzen.

KOMPETENZ: Das neue Arbeitszeitgesetz ist seit rund einem Jahr, seit 1. September 2018, in Kraft. Welche Erfahrungen hat die Arbeitsinspektion damit gemacht? Werden die neuen Höchstgrenzen der Arbeitszeit von maximal 12 Stunden pro Tag bzw. maximal 60 Stunden pro Woche eingehalten?

RITZBERGER-MOSER: Die neue Regelung wird von den Betrieben angenommen, da sich die Höchstgrenze der zulässigen Arbeitszeit nach oben verschoben hat, gibt es weniger Überschreitungen. Waren es 2018 noch insgesamt 1.011 Übertretungen der zulässigen Höchstarbeitszeit, so wurden im ersten Halbjahr 2019 lediglich 223 Verstöße festgestellt. Auch die Anzahl der Strafanzeigen aufgrund einer Arbeitszeit-Übertretung ist zurückgegangen.

KOMPETENZ: Was hat sich da verändert?

RITZBERGER-MOSER: Wir stellen fest, dass sich die betriebliche Praxis  in weiten Teilen kaum verändert hat. Das neue Gesetz hat eine Legalisierung des Bisherigen gebracht. Viele Arbeitnehmer berichten, dass sie nun „jene Zeiten tatsächlich aufschreiben können, die sie immer schon gearbeitet haben.“ Die Beschwerden von ArbeitnehmerInnen wegen Übertretungen der Arbeitszeithöchstgrenzen haben daher abgenommen. Auch zu generalklauselartigen vorab Zustimmungen zu Überstunden oder zu Dienstplänen mit dauerhaft eingeplanten 12 Stunden Tagen gibt es nur wenige Anfragen.

„Wir stellen fest, dass sich die betriebliche Praxis  in weiten Teilen kaum verändert hat. Das neue Gesetz hat eine Legalisierung des Bisherigen gebracht.“

Anna Ritzberger-Moser

KOMPETENZ: Werden die Grenzen der Arbeitszeit nun eingehalten?

RITZBERGER-MOSER: Ich halte es für bemerkenswert im negativen Sinn, dass die erweiterten Arbeitszeitgrenzen in Einzelfällen von einigen wenigen Betrieben weiterhin überschritten werden. Das neue Gesetz hat den Unternehmen ein starkes Maß an Flexibilisierung gegeben. Dadurch sollte es möglich sein, sich innerhalb der Grenzen der zulässigen Höchstarbeitszeiten zu bewegen.

Insgesamt registriere ich durch die Neuregelung eine gewisse Unsicherheit. Viele ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen sind sich nicht sicher, ob es in naher Zukunft weitere Einschränkungen oder Ausdehnungen des Geltungsbereiches des Gesetzes geben wird.

KOMPETENZ: Was sind die Kernaufgaben der Arbeitsinspektion?

RITZBERGER-MOSER: Wir überwachen die Einhaltung der Arbeitszeithöchstgrenzen und anderer Schutzbestimmungen wie Ruhezeiten, die Zulässigkeit von Überstunden und die Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitgebers. Wir überprüfen auch die Einhaltung der Gesundheit und Arbeitssicherheit. Die Arbeitsbedingungen müssen passen. Dazu gehören auch der technische Arbeitnehmerschutz mit Themen wie Maschinensicherheit, verstellten Fluchtwegen, dem Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen oder dem Tragen von Schutzkleidung.

KOMPETENZ: Was passiert, wenn Sie Unregelmäßigkeiten feststellen?

RITZBERGER-MOSER: Stellt die Arbeitsinspektion Übertretungen einer Arbeitnehmerschutzvorschrift fest, wird der/die ArbeitgeberIn zunächst beraten und formlos – also ohne Bescheid – schriftlich dazu aufgefordert, innerhalb einer angemessenen Frist den rechtskonformen Zustand herzustellen. Wird dieser Aufforderung entsprochen, ist die Sache erledigt. Andernfalls gibt es eine Strafanzeige. Übertretungen werden mit Verwaltungsstrafen sanktioniert.

KOMPETENZ: Was passiert bei schwerwiegenden Übertretungen?

RITZBERGER-MOSER: Dann gibt es auch ohne vorangegangene Aufforderung eine Strafanzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn die Tages- oder Wochenhöchstarbeitszeit um mehr als 20 Prozent überschritten würde oder wenn die tägliche Ruhezeit weniger als acht Stunden beträgt.

KOMPETENZ: Kommt es oft vor, dass Arbeitszeitaufzeichnungen gefälscht werden?

Die Chefin des Arbeitsinspektorats Anna Ritzberger-Moser wünscht sich mehr Personal für Kontrollen. 300 InspektorInnen bei mehr als 3,8 Millionen ArbeitnehmerInnen sind eindeutig zu wenig.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

RITZBERGER-MOSER: Manchmal gibt es keine oder mangelhaft geführte Aufzeichnungen. Trotzdem die Aufzeichnungspflicht an den Arbeitnehmer delegiert werden kann, bleibt der Arbeitgeber dafür verantwortlich. Manchmal findet man Überschreitungen in grundsätzlich korrekt geführten Aufzeichnungen, manchmal finden sich erkennbar geschönte Aufzeichnungen. Es ist schwierig zu beweisen, wenn Arbeitszeitaufzeichnungen gefälscht sind. Die Beanstandungen in Bezug auf die Arbeitszeitaufzeichnungen sind in den letzten Jahren konstant.

KOMPETENZ: Braucht es tatsächlich das Mittel einer Strafanzeige?

RITZBERGER-MOSER: Unser Fokus ist nicht die Strafanzeige, die ArbeitsinspektorInnen wollen durch ihre Kontrolltätigkeit Veränderungen in den Betrieben und bei den Arbeitsbedingungen erreichen. In vielen Fällen liegen einfach Schlampereien oder mangelndes Bewusstsein vor. Dann werden Verbesserungen, wie die Verlegung der Pausen, mit den Inspektoren besprochen. Wenn so eine Umstellung gut funktioniert, gibt es auch keine Strafanzeige.

Wir bemühen uns Neugründern eine Basisinformation zukommen zu lassen, welche Arbeitnehmer-Schutz-Maßnahmen einzuhalten sind.

KOMPETENZ: Wie läuft eine Kontrolle in der Praxis ab?

RITZBERGER-MOSER: Die 17 Arbeitsinspektionen sind regional organisiert. Sie machen stichprobenartige Übersichtskontrollen in ganz Österreich. Dabei geht der/die ArbeitsinspektorIn in den jeweiligen Betrieb und sieht sich die Bedingungen vor Ort an. Dabei werden auch die Arbeitszeitregelungen stichprobenartig überprüft. Bei Schwerpunktaktionen konzentriert man sich auf ein bestimmtes Thema – wenn das „Arbeitszeit“ ist, erfolgt eine umfassendere Kontrolle zu diesem Thema.

KOMPETENZ: Hat das neue Gesetz hier Veränderungen gebracht?

RITZBERGER-MOSER: Durch die Neuregelung müssen wir längere Durchrechnungszeiträume begutachten als früher. Das ist aufwendig, die Prüftätigkeit wird intensiviert. Es genügt nicht mehr, sich die Aufzeichnungen einer einzigen Woche durchzusehen, die PrüferInnen müssen sich den dreimonatigen Durchrechnungszeitraum anschauen, innerhalb dessen die neuen Höchstarbeitszeiten zulässig sind. Dadurch können insgesamt weniger Betriebe geprüft werden.

„Im Schnitt wird jedes Unternehmen alle fünf Jahre einer Inspektion unterzogen.“

Anna Ritzberger Moser

KOMPETENZ: Wann wird die Arbeitsinspektion tätig?

RITZBERGER-MOSER: Wir reagieren auf konkrete Beschwerden von Beschäftigten, Betriebsräten oder Gewerkschaften, selbstverständlich ohne offenzulegen, dass wir auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht wurden oder von wem der Hinweis kam. Es gibt eine interne Anweisung, jeder plausiblen Beschwerde auch nachzugehen.

ArbeitnehmerInnen, die der Meinung sind, dass bei ihrer Arbeitszeit oder den angeordneten Überstunden gegen das neue Arbeitszeitgesetz verstoßen wird, können sich auch anonym auf der Homepage des Sozialministeriums melden.

Der größte Teil der Kontrollen passiert jedoch im Rahmen unserer Arbeitsplanung. Die InspektorInnen besuchen die Betriebe von sich aus. Im Schnitt wird jedes Unternehmen alle fünf Jahre einer Inspektion unterzogen – diesen Standard wollen wir halten. Natürlich setzen wir Prioritäten nach Kriterien wie Risikogeneigtheit und typische Belastungen. Gewisse Branchen und Betriebe werden schwerpunktmäßig häufiger kontrolliert. Grundsätzlich sind 300 ArbeitsinspektorInnen für die gesamte Wirtschaft in Österreich zuständig.

KOMPETENZ: Das klingt nicht nach einer starken Besetzung!?

RITZBERGER-MOSER: Wir sind an den äußersten Grenzen unserer personellen Ressourcen. Der Standard für entwickelte Volkswirtschaften liegt international bei einem Arbeitsinspektor/einer Arbeitsisnpektorin pro 10.000 Beschäftigte. Mit rund 300 Inspektoren bei mehr als 3,8 Millionen ArbeitnehmerInnen fehlen uns zusätzliche MitarbeiterInnen. Der Bedarf wird weiter steigen, denn Volkswirtschaft und Beschäftigung wachsen und langfristig könnten wir auch für derzeit prekäre Beschäftigungsverhältnisse zuständig werden.

KOMPETENZ: Sind Sie nicht nur für Angestellte zuständig?

RITZBERGER-MOSER: Derzeit sind vom Arbeitszeitgesetz nur Arbeitsverhältnisse erfasst; sozialpolitisch sollte aber diskutiert werden, ob auch die neuen Beschäftigungsformen eines Mindestmaßes an Regulation bedürfen. Da sollte zumindest überlegt werden, welche Mindestschutzbestimmungen gelten sollen. Ein Arbeitszeitschutz wäre nötig, um diese Beschäftigten vor Selbstausbeutung und gesundheitlichen Schäden schützen zu können. Es steht schließlich auch im allgemeinen, volkswirtschaftlichen Interesse, dass sich diese Menschen nicht komplett auspowern.

KOMPETENZ: Gibt es gewisse Problembranchen oder Problemregionen mit besonders vielen schweren Verstößen?

RITZBERGER-MOSER: Nein, schwarze Schafe gibt es immer wieder, ohne erkennbare Gemeinsamkeiten.

Zur Person:

Die studierte Juristin Anna Ritzberger-Moser ist 59 Jahre alt und arbeitet seit 1987 im Sozialministerium. Seit 2012 ist sie als Sektionschefin für die Bereiche Arbeitsrecht und das Zentral-Arbeitsinspektorat zuständig.

Die Gewerkschaft GPA hilft

GPA-Mitgliedern steht ein vielfältiges Beratungsangebot zu arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Nicht-Mitglieder können unter 050301-301 eine kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.

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