Viele Mamajahre stehen einigen coolen Papamonaten gegenüber

Christian Berger ist Sprecher des Frauenvolksbegehrens und arbeitet im Bereich Wirtschaft der AK Wien.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der Sozioökonom Christian Berger erklärt den Zusammenhang zwischen Väterkarenz und der Verteilung unbezahlter Sorgearbeit, Stereotypen und Geschlechterungleichheit. Durch ökonomische Anreize könnten Versorgungstätigkeiten auch für Männer rational interessanter werden, was positive Effekte auf die Chancengleichheit und auf das Lohnniveau in Sozialberufen hätte.

KOMPETENZ: 2017 bezogen nur 3,8 Prozent der Väter in Österreich Kinderbetreuungsgeld. Wenn Männer überhaupt in Karenz gehen, dann meist nur sehr kurz. Worin sehen Sie die Gründe dafür?

CHRISTIAN BERGER: Diese Zahlen bilden ab, dass unbezahlte Arbeit größtenteils im privaten Bereich stattfindet und stark mit Weiblichkeit verknüpft ist. Diese Struktur hat sich im 18. Jahrhundert verfestigt: Auf der einen Seite stand das Weibliche, das sich „naturgemäß“ um andere sorgt, hauptsächlich in die private Sphäre verwiesen war und bis zur Selbstaufgabe ging. In starkem Widerspruch dazu wurde damals die Erwerbsarbeit definiert: Sie passierte in der Öffentlichkeit und war stark männlich geprägt. Diese Polarisierung zwischen öffentlichen und privaten Tätigkeiten ist grundlegend für Geschlechterhierarchien und hat sich bis ins 21. Jahrhundert fortgesetzt.

KOMPETENZ: Unsere emanzipierte Gesellschaft hat es nicht geschafft, sich von diesen Rollenbildern zu lösen?

„Auch die Arbeit mit Kindern oder im Sozialwesen wird verstärkt mit dem weiblichen Geschlecht verknüpft.“

Christian Berger

BERGER: Diese Stereotypisierung läuft großteils unbewusst ab. Zusätzlich prägen soziale und politische Zuschreibungen und die allgegenwärtige Werbung ein Geschlechterverhältnis, bei dem es rational scheint, dass Männer für das Haupteinkommen verantwortlich sind und Frauen zuarbeiten.

Viele Werbungen sind diskriminierend, sie zeigen Frauen bei typisch weiblich konnotierten Tätigkeiten, also bei Arbeiten, die mit privaten Diensten, mit Sorgen und Liebe verknüpft sind. Auch die Arbeit mit Kindern oder im Sozialwesen wird verstärkt mit dem weiblichen Geschlecht verknüpft.

KOMPETENZ: Welche Rolle spielt hier das Gehaltsniveau?

BERGER: Frauenlöhne sind häufig niedriger als jene der Männer. Es ist daher auch heute noch in vielen Fällen nicht rational für Männer, sich an der Sorgearbeit zu beteiligen – sie wollen das Haushaltseinkommen nicht mindern.

KOMPETENZ: Wer erzeugt derartige Rollenbilder?

BERGER: Die institutionellen Rahmenbedingungen begünstigen veraltete Geschlechterrollen, nicht ausreichend ausgebaute Kinderbetreuungseinrichtungen geben zusätzlich Unterfutter. Auch die Kultur- und Freizeitindustrie verfestigt solche Rollenvorstellungen: Häufig werden Bilder von Frauen reproduziert, die im Heim mit Putzen und Erziehungstätigkeiten ausgefüllt sind. Männer werden eher in beruflichen und sportlichen Erfolgssituationen porträtiert. Das erzeugt Bilder von gelungenen Lebensentwürfen, an denen wir uns orientieren.

KOMPETENZ: Warum werden bezahlte und unbezahlte Arbeit dermaßen unterschiedlich bewertet?

BERGER: Die Ursache ist jene Trennung in private und öffentliche, weibliche und männliche Sphären. An dem sich daraus ergebenden, dominanten Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit einerseits und Ökonomie als Marktökonomie hat sich trotz rhetorischer Modernisierung und hoher Frauenerwerbstätigkeit nicht viel geändert. Das Lohnniveau im reproduktiven Sektor, etwa im Sozialbereich, ist wesentlicher niedriger als in der Industrie. Die hohe Frauen-Teilzeitquote ist auch eine Auswirkung davon.

„Häufig werden Bilder von Frauen reproduziert, die im Heim mit Putzen und Erziehungstätigkeiten ausgefüllt sind. Männer werden eher in beruflichen und sportlichen Erfolgssituationen porträtiert.“

Christian Berger

KOMPETENZ: Wieso achten wir unbezahlte Tätigkeiten so wenig?

BERGER: Die Gesellschaft redet kaum darüber, aber nimmt sie in Anspruch. Rund 40 bis 45 Prozent aller Arbeitsstunden werden unbezahlt und nur 10 bis 15 Prozent von Care-Tätigkeiten in institutionalisierter, bezahlter Form erbracht.

Unbezahlte Arbeitstätigkeiten sind enorm wichtig, sie halten die Gesellschaft zusammen und schaffen die Basis für das, was die Wirtschaft leistet. Das Problem ist die fehlende Sichtbarkeit und die fehlende ökonomische Bewertung privat geleisteter Sorgetätigkeiten. Die Bedeutung der Sorgeleistungen wird auch im Wirtschaftskundeunterricht selten thematisiert. Die fehlende Sichtbarkeit und Anerkennung bedingen die fehlende ökonomische Bewertung.

Der Sozialökonom Christian Berger sieht verbindliche Väterquoten und gleichzeitig finanzielle Anreize für Väterbeteiligungen als als mögliche Wege zu mehr Gleichstellung.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Sehen Sie einen Ausweg aus dieser eingefahrenen Situation?

BERGER: Es gibt keine Patentrezepte, aber einige interessante „Good Practice Beispiele“, also Wege, wie es gehen kann, Arbeit gerechter zu bewerten und aufzuteilen. In den skandinavischen Ländern gibt es verbindliche Väterquoten und gleichzeitig finanzielle Anreize für Väterbeteiligungen. So gibt es etwa einen nicht übertragbaren Anspruch auf Elternurlaub – wird dieser von Vätern nicht in Anspruch genommen, gehen Einkommen und auch Karenzzeiten verloren.

KOMPETENZ: Finanzielle Anreize würden Wirkung zeigen?

BERGER: Ja. Starke finanzielle Anreize, die Väter dazu bringen, längere Karenzzeiten in Anspruch zu nehmen,  verändern etwas in der Risikoverteilung in weiblichen und männlichen Biografien. Die potentielle Mutterschaft alleine wäre dann kein Wettbewerbsnachteil mehr im Berufsleben. Ich plädiere neben förderlichen institutionellen Rahmenbedingungen und Väterquoten auch für ein starkes Anreizmodell, damit Väter sich an der Erziehungs- und Sorgearbeit stärker beteiligen.

KOMPETENZ: Sind Sie für eine Abschaffung des Mutterschutzes?

BERGER: Nein, im Gegenteil sollte man überlegen, den Mutterschutz in einem Wohlfahrtsstaat sogar noch auszudehnen. Immerhin erfahren Frauen, die Mütter werden oder sind, nach wie vor viel Diskriminierung.

Durch steuernde Maßnahmen wie Väterquoten und einen sehr hohen Einkommensersatz während der Karenzzeiten, könnte erreicht werden, dass einerseits die Frauenerwerbsbeteiligung noch weiter steigt und es andererseits für Männer selbstverständlich wird, sich stärker an der Sorgearbeit zu beteiligen. Das könnte die gesamte Arbeitskultur, die Familien- und Geschlechterbeziehungen verändern.

„Wichtig wäre jedoch, ein verpflichtendes Pensionssplitting nur in Verbindung mit verbindlichen Maßnahmen zur Väterbeteiligung oder auch der Reduktion der Normalarbeitszeit einzuführen.“

Christian Berger

Zudem wäre auch an Maßnahmen wie das Pensionssplitting, also an die verbindliche Aufteilung von Pensionsbeiträgen zwischen Vater und Mutter während der Karenzzeit oder der Elternteilzeit, zu denken. Ein solches Modell würde Frauen für den Fall der Trennung oder im Alter zumindest teilweise finanziell absichern.

Wichtig wäre jedoch, ein verpflichtendes Pensionssplitting nur in Verbindung mit verbindlichen Maßnahmen zur Väterbeteiligung oder auch der Reduktion der Normalarbeitszeit einzuführen, da andernfalls die Gefahr besteht, dass sich Frauen vermehrt in traditionellen Rollen, prekären Arbeitsverhältnisse und persönlichen Abhängigkeiten wiederfinden

KOMPETENZ: Wäre das eine Aufwertung des Mutterschutzes und der Versorgungsarbeit?

BERGER: Genau! Derzeit lockern sich die Geschlechterrollen nur bei beruflich privilegierten Arbeitnehmern, für die eine Beteiligung an der Sorgearbeit einen Benefit darstellt. Kinderbetreuung ist eine Klassenfrage und hat mit der jeweiligen Position in der sozialen Hierarchie zu tun. In der Öffentlichkeit stehen derzeit wenige aber coole Papamonate unzähligen Mamajahren gegenüber.

KOMPETENZ: Wie kann Sorgearbeit aufgewertet werden?

BERGER: Man muss darum auf vielen Plateaus ringen. Sexistische Werbung muss stärker reguliert werden, Geschlechtersensibilität muss in die Bereiche Bildung und Erziehung stärker Eingang finden.

Ein ganzheitlicher Blick auf das, was Arbeit ist – von der frühen Bildung bis zur Universität – würde eine Aufwertung der unbezahlten Arbeit bringen. In der Schweiz wird jedes Jahr auf einem sogenannten „Satellitenkonto Haushaltsproduktion“ der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit zur gesamten Bruttowertschöpfung in Bezug gesetzt. Unbezahlte Arbeiten von Privatpersonen werden mittels Marktkostenmethode mit einem Arbeitskostenansatz monetär als fiktiver Geldfluss geschätzt. Für 2016 wurde so ein Volumen von mehr rund 410 Milliarden Franken erbrachter Leistungen errechnet. Werden solche Zahlen veröffentlicht, bekommt die Öffentlichkeit ein Gespür für die Dimension und den Wert der unbezahlten Arbeit. Dabei wurde hier die emotionale Sorgearbeit noch gar nicht mitberechnet.

KOMPETENZ: Wem brächte das Vorteile?

BERGER: Ich sehe Vorteile für die gesamte Gesellschaft. Ein höheres Bewusstsein für den Wert der unbezahlten Arbeit und eine Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit würde die Enthierarchisierung der Geschlechter fördern und zu mehr Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen wie auch für Männer beitragen.

Zur Person

Christian Berger ist 28 Jahre alt, lebt in Wien und arbeitet im Bereich Wirtschaft der Arbeiterkammer Wien. Nach seinem Studium Anthropologie und Sozioökonomie studiert er derzeit Jus. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Gleichstellungsrecht sowie feministische politische Ökonomie. Er ist Sprecher des Frauenvolksbegehrens und Mitautor des Buchs „Wen Kümmert’s? Die unsichtbare Sorgearbeit in der Gesellschaft.

Buchtipp

Elisa Tomaselli (Hrsg.)

Wen kümmert´s? Die (un-)sichtbare Sorgearbeit in der Gesellschaft.

ÖGB Verlag, ISBN 978-3-99046-433-5, 172 Seiten, 19,90 Euro

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