Für viele Beschäftigte ist die Ausübung ihres Berufs bis zum Pensionsalter kaum vorstellbar. Unternehmen müssen sich zukünftig mehr um Modelle „altersgerechten Arbeitens“ bemühen, fordert IFES-Geschäftsführer Reinhard Rams.
Nur rund ein Viertel der AltenpflegerInnen kann sich vorstellen, ihren Beruf auch wirklich bis zur Pension auszuüben. Bei Bankangestellten hingegen sind es rund 80 Prozent, denen eine Anstellung bis ins Alter von 65 Jahren durchaus machbar erscheint. Der Arbeitsklima Index 2020 im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich (AK OÖ) zeigt, dass eine hohe Arbeitsbelastung vor allem älteren Beschäftigten zu schaffen macht und Unternehmen neue Wege finden müssen, auf diese Herausforderungen zu reagieren.
Die zehn Prozent der zufriedensten ArbeitnehmerInnen bewegen sich auf der Indexskala bei rund 140 Punkten, bereits seit 20 Jahren. Auffällig an der diesjährigen Erhebung ist, dass die Zufriedenheitswerte im Schnitt zwar gut sind, aber die Werte jener, die besonders unzufrieden mit ihrem Anstellungsverhältnis sind, im Verlauf der letzten Jahre beständig sinken. In Zahlen ausgedrückt: Die Gruppe der unzufriedensten Beschäftigten erreichte bis zum Jahr 2013 noch Werte von um die 70 Indexpunkte, heute sind es etwa zehn Punkte weniger. Am wenigsten zufrieden sind TextilarbeiterInnen, Reinigungskräfte sowie FabriksarbeiterInnen und Beschäftigte am Bau.
„Besonders sinnstiftend“, aber eben auch „enorm anstrengend“
Woran das liegt, kann Reinhard Raml erklären. Er ist Geschäftsführer des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES), welches federführend an der Erhebung beteiligt ist. „Grundsätzlich spielt die körperliche Anstrengung eine große Rolle“, erklärt Raml. Von Belang ist jedoch auch, ob ein „Auskommen mit dem Einkommen“ möglich ist, welche Entscheidungsspielräume und Flexibilität einem Beschäftigten am Arbeitsplatz gewährt werden und ob die Möglichkeit besteht, sich beruflich weiterzubilden. Zu hohen Zufriedenheitswerten führen laut Studie auch hohe Karriere- und Aufstiegschancen, vor allem bei jüngeren ArbeitnehmerInnen. Bei den Älteren sind es vor allem die Chancen am Arbeitsmarkt, die für die Zufriedenheit ausschlaggebend sind.
„Wenn es darum geht, ob Beschäftigte sich vorstellen können, ihren Job bis zum Pensionsalter auszuüben, ist die körperliche Anstrengung der Faktor Nummer eins.“
Reinhard Raml, IFES-Geschäftsführer
Wenn es darum geht, ob Beschäftigte sich vorstellen können, ihren Job bis zum Pensionsalter auszuüben, ist „die körperliche Anstrengung der Faktor Nummer eins“, so der IFES-Geschäftsführer. Hier schneiden Pflegeberufe, vor allem AltenpflegerInnen, am schlechtesten ab, auch wenn diese Berufsgruppe in Sachen Zufriedenheitswerten eher weiter vorne angesiedelt ist. Die Pflege, erklärt Raml, mag „körperlich und emotional enorm anstrengend“ sein, ist gleichzeitig aber für viele der Beschäftigten „besonders sinnstiftend“. Das bedeutet, auch wenn viele PflegerInnen im Moment ihren Beruf als sehr erfüllend erleben, erscheint für sie eine solche Anstellung aufgrund der physischen und psychischen Belastung über Jahre und Jahrzehnte hinweg wenig attraktiv.
„Altersgerechtes Arbeiten“
Laut Raml müssen sich ArbeitgeberInnen zukünftig um Modelle „altersgerechten Arbeitens“ bemühen, um hier gegenzusteuern. Denn Fakt ist, bereits heute sind über eine Million der in Österreich Beschäftigten älter als 50 Jahre – und der demographische Wandel wird diese Tendenz noch verschärfen. Raml schlägt hier beispielsweise flexiblere Arbeitszeitmodelle vor, wie etwa eine Vier-Tage-Woche oder die Befreiung von Schichtarbeit und Nachdiensten. Auch über eine generelle Reduktion der Wochenarbeitszeit sollte in diesem Zusammenhang nachgedacht werden. „Im Alter“, so Raml, „braucht ein Körper einfach mehr Regenerationszeit“. Unternehmen müssten dem Rechnung tragen.
LeiharbeiterInnen wenig zufrieden
Dass die Zufriedenheitswerte der ohnehin schon Unzufriedenen in den letzten Jahren weiter nach unten tendierte, lasse sich mit der Zunahme atypischer, befristeter Beschäftigungsformen erklären, meint Raml. In der Vergangenheit setzen Unternehmen zunehmend auf LeiharbeiterInnen. Diese fühlen sich im Betrieb oftmals „als Mitarbeiter zweiter Klasse“, so der IFES-Geschäftsführer. LeiharbeiterInnen sind sozial schlechter abgesichert als regulär Beschäftigte und müssen mit der ständigen Unsicherheit leben, ihren Job bald wieder los zu sein. Das wirkt sich auch im Verhältnis zu den anderen KollegInnen aus. LeiharbeiterInnen, so erklärt Raml, fühlen sich im Betrieb sozial weniger akzeptiert und daher auch häufiger isoliert als andere.
Das geht auch direkt aus den Ergebnissen der Arbeitsklima-Studie hervor: Die soziale Einbindung der wenig zufriedenen Beschäftigten im Betrieb verschlechtert sich offenbar zusehends. Jene Angestellten mit extrem niedriger Arbeitszufriedenheit sind laut Index nur in 45 Prozent der Fälle mit der Beziehung zu ihren ArbeitskollegInnen zufrieden. Noch vor 20 Jahren lag dieser Wert bei über 75 Prozent. Die Zunahme befristeter Verträge und von Formen atypischer Beschäftigung – also Anstellungsverhältnisse mit wenig sozialer Sicherheit – sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass eine gewisse Gruppe der Beschäftigten unzufrieden ist mit ihrer derzeitigen Arbeitssituation. Die letzten Erhebungen, so Raml, deuten zudem darauf hin, dass die Unsicherheit unter den Beschäftigten allgemein wieder etwas ansteigt.
Langfristig betrachtet habe sich der österreichische Arbeitsmarkt in den letzten 20 Jahren polarisiert, erläutert Raml. Das bedeutet, dass einerseits ein Anstieg hochqualifizierter Jobs zu verzeichnen ist. Jobs mit hohen Zufriedenheitswerten, in denen die Beschäftigten das Gefühl haben, sich verwirklichen zu können. Auf der anderen Seite steigt auch die Zahl geringqualifizierter Jobs an.
Der Arbeitsklima Index
Gibt es neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder dem Börsenindex jede Menge Indizes, die die wirtschaftliche Leistung eines Landes zu beurteilen versuchen, sind Erhebungen über die wirtschafts- und sozialpolitische Situation der Beschäftigten rar. Aus diesem Grund erhebt die AK OÖ seit 23 Jahren den Arbeitsklima Index der österreichischen Beschäftigten. Dieser beruht auf Vierteljährlichen Umfragen von insgesamt rund 4000 Befragten pro Jahr, die das Institut für empirische Sozialforschung gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut SORA erhebt. Im Vordergrund steht dabei die subjektive Sicht der ArbeitnehmerInnen hinsichtlich ihrer derzeitigen Situation im Betrieb und ihrer Erwartungen für die Zukunft.