„Das Corona-Virus hat die Kollektivvertragsverhandlungen massiv beeinflusst.“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Als Zentralbetriebsrat bei der Bank Austria ist Adi Lehner für über 7000 Mitarbeiter zuständig. Im Interview spricht er darüber wie der Corona-Virus die Kollektivvertrags-Verhandlungen im Bankensektor beeinflusste und was Unternehmen für eine ausgewogene Work-Life-Balance der Angestellten tun können und wie sich die Arbeitnehmervertretung über Grenzen hinweg organisiert.

KOMPETENZ: Adi, du bist seit Mitte 2000 Betriebsrat und seit 2014 Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der Bank Austria. Was waren die entscheidendsten Phasen deiner Tätigkeit über die Jahre?

ADI LEHNER: Ich bin in einer Phase in den Betriebsrat gekommen in der es nie wieder ruhig geworden ist. Erst war es die Übernahme der Bank Austria durch die HVB, dann die Fusion mit der Creditanstalt, die uns intensiv beschäftigt hat. 2006 ist die HVB von der UniCredit übernommen worden, wieder mit vielen Strukturveränderungen. Wegen der Fusionen hatten wir eigentlich fast immer Personalreduktionspläne zu verhandeln. Die Anzahl der Filialen wurde deutlich reduziert, Abteilungen, die es doppelt gab wurden zusammen gelegt. Dann war die Finanzkrise zu bewältigen und seit Jahren haben die KollegInnen sich auf die technischen Veränderungen einzustellen. Stichwort: Digitalisierung.

Uns ging es immer darum einen geplanten Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen zu managen. Wir konnten immer faire und gute Lösungen erreichen, wo das Einvernehmen im Vordergrund stand.

KOMPETENZ: Seit 2008 hat die UniCredit Group, der die Bank Austria angehört, einen länderübergreifenden Europabetriebsrat, dem auch du angehörst. Was sind da die Herausforderungen über sprachliche und juristische Grenzen hinweg?

ADI LEHNER: Die Sprache ist immer eine Herausforderung wenn Menschen aus so vielen unterschiedlichen Ländern zusammenarbeiten. Mittlerweile hat sich aber ein gutes Niveau auf Englisch entwickelt.  Wenn das Plenum mit über 30 Leuten tagt, dann arbeiten wir aber mit Dolmetschern.

„Eine der Kernbotschaften ist etwa, man sollte alles tun, um Privatleben und Arbeitsleben auseinanderhalten.“

Adi Lehner

Natürlich sind die Rechtsordnungen im Arbeitsrecht in den jeweiligen Ländern sehr verschieden, aber auch die gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Organisationsformen. In manchen Ländern, wie in Italien, gibt es mehrere Gewerkschaften, die die KollegInnen im Betrieb vertreten. Die kennen das auch nicht als ArbeitnehmerInnen im Aufsichtsrat vertreten zu sein. Die Stärke der Vertretung hängt nicht von einer Wahl ab, wie in Deutschland oder in Österreich, sondern von der Mitgliedsstärke im Betrieb.

In den osteuropäischen Ländern ist es dagegen wieder etwas  anders. Diese Vielfalt ist aber auch spannend und befruchtend.

KOMPETENZ: Aus eurer internationalen Kooperation ging schon im Jahr 2017 eine Joint Declaration zur Work-Life-Balance hervor. Was ist das?

ADI LEHNER: Eine Joint Declaration ist eine Vereinbarung zwischen dem Topmanagement der UniCredit und dem Europabetriebsrat. Sie gibt vor was Zielsetzung eines Work-Life-Balance-Verständnis der Gruppe sein soll und wo die einzelnen Länder ansetzen können.

Der Betriebsratsvorsitzende der Bank-Austria Adi Lehner im Interview
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Eine der Kernbotschaften ist etwa, man sollte alles tun, um Privatleben und Arbeitsleben auseinanderhalten. Es gibt Länder, die kennen keine Väterkarenz, die haben ein eher geringes Angebot an Gesundheits- oder Präventionsmaßnahmen. Betriebskindergärten sind nicht in allen Ländern Standard, oder freie Tage bei bestimmten familiären Anlässen.

In Österreich ist vieles davon im Kollektivvertrag oder überhaupt im Gesetz geregelt. In manchen Ländern ist das anders. Manche Punkte der Vereinbarung sind für Österreich also nicht so relevant.

KOMPETENZ: Was ist es, was darin für Österreich Relevanz hat?

ADI LEHNER: Das wären Botschaften, wie ‚Respect the Private Life‘ oder ‚Leave Work at Work‘. Klingt zwar logisch, doch in Zeiten der Digitalisierung ist es eine Herausforderung Lösungen zu finden, die das tatsächlich umsetzen.

Beispielsweise war es nicht unüblich seine privaten Geräte, wie Handy oder Notebook, auch beruflich zu nutzen. Das ist mit dieser Vereinbarung nun Geschichte. Die Arbeitsmittel werden von der Firma zur Verfügung gestellt, um zu verhindern, dass Privat und Arbeit vermischt werden. Das hat auch sicherheitstechnische Gründe für die Firma.

KOMPETENZ: Was gibt es für ArbeitgeberInnen in Österreich in puncto Work-Life-Balance noch zu verbessern, was macht da euer Arbeitgeber?

„Im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und bei den freiwilligen soziale Leistungen, lässt sich immer etwas verbessern.“

Adi Lehner

ADI LEHNER: Im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und bei den freiwilligen soziale Leistungen, lässt sich immer etwas verbessern. Dazu zählen Betriebskindergarten, Gesundheitsmaßnahmen, die Unterstützung von Freizeitaktivitäten und so weiter. In der Bank Austria hat sich der Arbeitgeber nach einem intensiven Dialog mit Betriebsrat entschlossen die sogenannten „Flexible Fringe Benefits“, sozusagen eine Auswahl an freiwilligen Sozialleistungen aus denen MitarbeiterInnen auswählen können, anzubieten.

KOMPETENZ: Aber besteht da nicht die Gefahr, dass sich der Arbeitgeber zunehmend ins Privatleben der Beschäftigten drängt?

ADI LEHNER: Das ist immer eine Gratwanderung, aber ich sehe das nicht. Die Nutzung ist ja eine freiwillige Entscheidung der MitarbeiterInnen, es ist nur ein Angebot. Der Betriebskindergarten etwa ist ein Angebot, für jene, die in vernünftiger Entfernung zum Bank Austria-Campus wohnen. Der sperrt um 7 Uhr auf und schließt um 19 Uhr, hat also sehr ArbeitnehmerInnen-freundliche Öffnungszeiten.

Freiwillige Sozialleistungen sind da um die MitarbeiterInnen stärker an das Unternehmen zu binden, sie dienen aber auch dazu das Wohlbefinden zu fördern oder die sozialen Kontakte der KollegInnen untereinander zu forcieren. Ich finde das gut. Unser Freizeit- und Bildungszentrum am Kaiserwasser kann man aber auch mit der ganzen Familie nutzen.

KOMPETENZ: Wie hat sich der Blick aufs Thema Work-Life-Balance bei deinen KollegInnen über die Jahren verändert?

ADI LEHNER: Die Einstellung der Menschen, die neu zu uns kommen hat sich wesentlich verändert, vor allem bei jungen Kollegen. Sie helfen uns als Betriebsrat damit das Thema Work-Life-Balance, Arbeitszeit und Selbstgestaltungsmöglichkeiten in den Verhandlungen zu positionieren.

Wir haben vor ein paar Jahren mal zwei ‚Superwochenenden‘ gefordert; also zwei verlängerte Wochenenden frei, somit vier freie Tage zusätzlich zum Urlaub. Vor allem jungen KollegInnen hat das gefallen und viele haben uns rückgemeldet, dass sie sogar ein Jahr auf eine Gehaltserhöhung verzichten würden, wenn wir das raus verhandeln könnten. Wir haben die Superwochenenden nicht durchsetzen können, bleiben aber dran und werden weiter für zusätzliche Freizeittage kämpfen.

Die Jungen wollen nicht nur eine spannende Arbeit. Sie haben auch kein Problem mal ein paar Tage intensiv aufs Gas zu steigen, aber sie wollen auch ihre Freizeit haben und diese selbst gestalten können. Der Anspruch ist deutlich anders als früher. Das finde ich positiv.

„Wenn jemandem die Arbeitsbedingungen nicht passen, dann geht er. Früher war eine Anstellung in einer Bank eine Lebensstelle wo man in Pension geht. Das hat sich verändert. Und das hilft uns deutlich in den Verhandlungen.“

Adi Lehner

Der zweite Unterschied: Wenn jemandem die Arbeitsbedingungen nicht passen, dann geht er. Früher war eine Anstellung in einer Bank eine Lebensstelle wo man in Pension geht. Das hat sich verändert. Und das hilft uns deutlich in den Verhandlungen.

KOMPETENZ: Ihr habt gerade den neuen Kollektivvertrag für rund 75.000 Beschäftigte in der gesamten Finanzbranche verhandelt. Nach der ersten Runde konntet ihr schon ein Ergebnis erzielen. Worum ging es?

ADI LEHNER: Die Verhandlungen haben am 10. März begonnen, wir hatten gehofft bis Ende März fertig zu sein. Ganz klassisch forderten wir eine lineare Gehaltserhöhung für die KollegInnen in der Finanzbranche, also für alle KollegInnen in Banken, Sparkassen, Raiffeisen-Instituten, Volksbanken oder Hypobanken. Andererseits haben wir schon seit einigen Jahren die Forderung nach einem zusätzlichen freien Tag. Auch diese Forderung haben wir wieder eingebracht. Wir hatten uns gut auf die Verhandlungen vorbereitet und hohe Erwartungen. Die Ergebnisse der Branche waren gut, das bestätigt auch die Nationalbank. Trotz der niedrigen Zinsen haben wir das zweitbeste Ergebnis der gesamten Branche in den letzten 10, 12 Jahren.

Dann ist alles ganz anders gekommen. Das Corona-Virus und die Folgen haben die Verhandlungsrunde massiv beeinflusst. Genau zum Start der Verhandlungen hat die Regierung die ersten radikalen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus getroffen. Allen war klar, es weiß keiner, was da auf uns zukommen kann und welche Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft dies haben kann und wird. Die Verhandlungen wurden aber unabhängig davon unberührt höchst engagiert, von gegenseitigem Respekt geprägt, aber phasenweise sehr emotional geführt.

Am Ende haben wir uns überraschend auf ein akzeptables Ergebnis verständigt, mit dem man angesichts der Rahmenbedingungen, gut leben kann.

Kurz zusammengefasst: Die KV-Gehälter der Branche werden um 2 Prozent linear erhöht und dies nach nur einem Verhandlungstag. Ich habe so ein Verhandlungsrunde noch nicht erlebt, aber außergewöhnliche Rahmenbedingungen verlangen unorthodoxe Vorgangsweisen.

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